
© IMAGO/Political-Moments/imago
„Muss schnell voll arbeitsfähig sein“ : Regierung verteidigt Schaffung 200 zusätzlicher Stellen
Schwarz-Rot wollte Personal einsparen, beantragt nun aber zahlreiche neue Mitarbeitende, vor allem fürs Digitalministerium, das Kanzleramt und den Altkanzler. Die Aufregung ist groß – zurecht?
Stand:
Im Wahlkampf hat die Union die damalige Bundesregierung noch für ein immer weiteres Aufblähen des Staatsapparates kritisiert. Auch im Koalitionsvertrag hat sich Schwarz-Rot vorgenommen, die Zahl der Beauftragten zu halbieren, Verwaltungsausgaben zu kürzen und acht Prozent der Stellen in der Bundesverwaltung und nachgeordneten Behörden einzusparen.
Sechs Wochen im Amt und mit einem Minister mehr wird der neuen Regierung aber klar: Zunächst braucht es eher mehr als weniger Personal – und die Aufregung ist groß. Am Donnerstag hat das Finanzministerium (BMF) beim Haushaltsausschuss beantragt, dass die Koalition 208 zusätzliche Planstellen und Stellen genehmigen soll.
„Der zusätzliche Bedarf ist auch durch anderweitige organisatorische Maßnahmen in den bestehenden Strukturen nicht aufzufangen“, heißt es in dem Schreiben des Haushaltsstaatssekretärs von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), das dem Tagesspiegel vorliegt.
Die neuen Stellen werden in vollem Umfang durch den Wegfall von derzeit nicht besetzten Stellen eingespart.
Ein Sprecher des Finanzministeriums
In der Opposition nimmt man die Ankündigung dankend auf. So kritisierte der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer, die Pläne der Bundesregierung stünden im Widerspruch zu ihrem Einsparungsversprechen.
Sein Pendant in der AfD-Fraktion stimmt zu, drückt es nur etwas anders aus: „Auch die neue Regierung gönnt sich, was Personalausstattung angeht, erstmal einen kräftigen Schluck aus der Flasche“, sagte Marcus Bühl. Seine Parteivorsitzende Alice Weidel sieht sich auf X gar gezwungen, folgendes klarzustellen: „Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen der etablierten Parteien.“ Doch um was für Positionen handelt es sich überhaupt?
Neue Aufgaben, neues Personal
Von den 208 beantragten Planstellen und Stellen sind fast drei Viertel allein für das neue Digitalministerium vorgesehen. Ressortchef Karsten Wildberger (CDU) steht nicht vor der Aufgabe, das Mammutprojekt Verwaltungsmodernisierung umzusetzen – er muss auch ein neues Haus komplett neu aufbauen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Um die 500 bis 700 Stellen zu besetzen, erhält er zwar Kompetenzen aus anderen Ministerien, etwa dem Verkehrs-, Wirtschafts- oder Innenministerium. Doch Wildberger benötigt auch für seine Hausleitung sowie andere Leitungs- und Zentralabteilungen Kapazitäten.
Dafür hat das BMF nun 150 Planstellen und Stellen beantragt. Dort sieht man es als Investition, die sich später durch weniger Bürokratie auszahlen wird.
Ungewöhnlich viel Personal für den Altkanzler
Der zweitgrößte Teil des Personalaufbaus soll mit 40 Stellen im Kanzleramt erfolgen. 13 davon sind für den neuen Nationalen Sicherheitsrat vorgesehen, mit dem unter Leitung von Merz’ Büroleiter Jakob Schrot künftig die deutsche Sicherheitspolitik koordiniert werden soll. Zwölf gehen an das Büro von Christiane Schenderlein (CDU), der neuen Staatsministerin für Sport und Ehrenamt.
Auch der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll acht Stellen erhalten. Ihm steht wie seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) sowie Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) ein Büro zu. Sie erhalten zum Beispiel eine Büroleitung inklusive Sekretariat, eine Referentin, einen Sachbearbeiter sowie Fahrer.
Für Scholz geht die Ausstattung über einen Beschluss des Haushaltsausschusses aus dem Jahr 2019 hinaus. Die Begründung aus dem Finanzministerium: „Aufgrund der zu erwartenden Entwicklung seiner nachamtlichen Tätigkeit, unter anderem fiel der russische Überfall auf die Ukraine in die Amtszeit, ist die personelle Unterstützung in dem vorgesehenen Umfang jedoch erforderlich.“
Die übrigen Stellen wurden für Katherina Reiches Wirtschaftsministerium (17 Stellen für die neuen Referate „Sicherheit“ und „Rüstungsindustrie“) sowie Boris Pistorius’ Verteidigungsministerium (ein neuer Staatssekretär) beantragt. Prüfen wird das Vorgehen neben dem Haushaltsausschuss auch der Bundesrechnungshof.
Finanzierung durch Umschichtung
Was in der Berichterstattung bisher weitgehend unterging: dass alle 208 beantragten Planstellen und Stellen nicht zur bestehenden Personalausstattung hinzukommen, sondern woanders abgebaut werden.
So heißt es auf der letzten Seite des BMF-Schreibens an den Haushaltsausschuss, dass dafür Stellen aus den Einzelplänen 08 und 14 – das sind die Haushaltspläne für das Finanz- sowie Verteidigungsministerium – gestrichen werden. Zusätzliche Kosten fallen also nicht an.
„Die neuen Stellen werden in vollem Umfang durch den Wegfall von derzeit nicht besetzten Stellen eingespart“, bestätigte auch ein BMF-Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage. Nötig sei schlicht, neue inhaltliche Schwerpunkte umzusetzen und Ressortzuschnitte entsprechend schnell personell abzubilden.
Dazu sind 208 Planstellen und Stellen angesichts der Dimension des bereits bestehenden Staatsapparates überschaubar wenig. Nach Zahlen des Innenministeriums arbeiten über 524.000 Menschen auf Bundesebene im Öffentlichen Dienst. Selbst wenn man nur die rund 34.000 bei den Bundesministerien beschäftigten Personen betrachtet, macht der Personalzuwachs weniger als ein Prozent aus.
Im BMF sieht man die Pläne daher nicht im Widerspruch zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben, bis 2029 mindestens acht Prozent Personal einzusparen. „Dieses ambitionierte Ziel wird bereits in 2025 angegangen und von den Ressorts stringent verfolgt“, teilt ein Sprecher mit.
„Die Bundesregierung muss bei den aktuellen Herausforderungen schnell voll arbeitsfähig sein“, so der BMF-Sprecher weiter. Wie ernst es Schwarz-Rot damit tatsächlich meint, wird man schon kommende Woche sehen. Dann werden der Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 sowie die Eckwerte für 2026 vorgestellt.
- AfD
- Alice Weidel
- Angela Merkel
- Bundesfinanzministerium
- Bundesregierung
- CDU
- Die Grünen
- Gerhard Schröder
- Lars Klingbeil
- Olaf Scholz
- SPD
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: