
© dpa/Christoph Soeder
Nach Absturz bei Europawahl: Hofreiter zieht Kanzlerkandidatur der Grünen in Zweifel
Grünen-Politiker Hofreiter will, dass seine Partei nur dann einen Kanzlerkandidaten aufstellt, wenn eine realistische Chance auf den Wahlsieg besteht. Die sieht er derzeit nicht.
Stand:
Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter hat nach dem schwachen Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl einen eigenen Kanzlerkandidaten bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr in Zweifel gezogen.
„Klar ist, dass wir eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten nur aufstellen, wenn eine realistische Chance auf einen Wahlsieg besteht“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“.
„Nach dem heutigen Ergebnis muss man sich genau überlegen, ob das der Fall ist“, so Hofreiter weiter. Es sei auf alle Fälle viel Arbeit nötig, fügte Hofreiter hinzu. Ziel müsse sein, bei der nächsten Bundestagswahl ein besseres Ergebnis als 2021 zu erzielen.
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Auch der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour zeigte sich enttäuscht über das schwache Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl. „Das ist kein Ergebnis, mit dem wir zufrieden sind“, sagte er am Sonntagabend im ZDF. „Unser Anspruch ist ein anderer.“ Um über Konsequenzen zu reden, müsse man sich die Zahlen jetzt erst einmal genau anschauen.
Gefragt nach den Folgen für die Ampel sagte Nouripour, die Koalition müsse die gute Politik, die sie mache, nach vorne stellen. „Und wir müssen liefern“, betonte er und nannte dabei explizit den Bundeshaushalt 2025.
Nach dem vorläufigen Ergebnis erzielten die Grünen in Deutschland 11,9 Prozent. Bei der Wahl vor fünf Jahren hatten sie mit 20,5 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Europawahl erreicht.
Die Co-Chefin der Grünen Ricarda Land sagte auf einer Pressekonferenz am Montag über die Kanzlerfrage: „Die K-Frage werden wir zur gegebenen Zeit beantworten und die Zeit ist nicht jetzt.“
Katrin Göring-Eckardt: Sorgen der Menschen mehr in den Fokus rücken
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sieht den Ausgang der Europawahl in Deutschland als Aufforderung an die Ampel-Koalition, Fragen von Gerechtigkeit bei ihrer Politik stärker in den Blick zu nehmen. Offenbar sei es der Koalition nicht gelungen, deutlich zu machen, dass Maßnahmen in einer Zeit großer Umbrüche damit verbunden werden müssten, dass es gerecht zugehe, sagte die Grünen-Politikerin am Montag im Deutschlandfunk.
Unter den Anpassungsmaßnahmen an die zum Teil katastrophalen Klimaveränderungen würden zumeist jene leiden, „die nicht das dicke Portemonnaie haben“. Göring-Eckardt warnte in dem Zusammenhang vor parteipolitischer Profilierung. Es gehe bei den notwendigen Schritten nicht darum, ob eine Partei gut aussehe, sondern darum, wie man die Anpassung gemeinsam hinbekomme.
In Göring-Eckardts Heimatland Thüringen scheiterte die AfD bei den Kommunalwahlen aber bei allen Stichwahlen. Göring-Eckardt sieht das als „wichtiges Zeichen und guten Erfolg“.
Cem Özdemir: Sorgen der „normalen Menschen“ in den Mittelpunkt rücken
Bundesagrarminister Cem Özdemir räumte im ZDF-„Morgenmagazin“ ein, bei Fragen von Sicherheit und Migration würden die Grünen nicht als jene wahrgenommen, die gute Antworten hätten. „Das Schlüsselwort ist Vertrauen. Die Grünen haben an Vertrauen eingebüßt“, räumte der Grünen-Politiker und frühere Europaabgeordnete ein. Seine Partei dürfe das Wahlergebnis nicht schönreden. Anspruch der Grünen sei, in die Mitte der Gesellschaft „auszugreifen“. Das schaffe man nur, wenn man die Sorgen der „normalen Menschen“ in den Mittelpunkt rücke.
Wirtschaftsweise: Heizungsgesetz habe „viel Vertrauen beim Wähler zerstört“
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm führt das schwache Abschneiden der deutschen Grünen bei der Europawahl auch auf deren Klimaschutzpolitik zurück. Das Heizungsgesetz etwa habe „viel Vertrauen beim Wähler zerstört“, sagte Grimm den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Montag. „Ein großes Problem erscheint mir, dass Klimaschutz nicht besonders überzeugend umgesetzt wird.“
Statt sich mit der FDP auf einen marktorientierten Ansatz mit starkem Emissionshandel zu einigen, hätten sich die Grünen „dazu verstiegen, in großem Umfang mit Förderung und Subventionen zu arbeiten“. Dafür fehle aber das Geld. Auch bei den jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren kämen die Grünen nur auf etwa elf Prozent - „hier scheint sich der Fokus zu verschieben“, sagte Grimm den Funke-Zeitungen.
Mit Blick auf den Klimaschutz sei das „bedenklich“. Die Wirtschaftswissenschaftlerin warnte vor falschen Weichenstellungen in Europa beim Klimaschutz. Viele Unternehmen hätten ihre Geschäftsmodelle auf die Klimaschutzziele ausgerichtet. „Es wird nun darauf ankommen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärker zu fokussieren, ohne durch Kehrtwenden beim Klimaschutz für Verunsicherung zu sorgen“, mahnte sie.
Die kommenden Jahre würden „extrem anspruchsvoll“. „Wenn wir uns in Europa nicht marginalisieren wollen, dann muss es gelingen, die Union wirtschaftlich stärker zu integrieren, nach innen – etwa über eine echte Kapitalmarktunion – und nach außen über Handelsabkommen.“
Grünen-Spitze: „Kann kein Weiter-so geben“
Bei einer Pressekonferenz der Grünen am Montag hat sich Co-Parteivorsitzende Ricarda Lang eine andere Gangart in der Regierungsarbeit angekündigt. „Es kann kein weiter so geben“, sagte Lang.
Omid Nouripour, Co-Vorsitzender der Grünen, sieht im schlechten Europawahl-Ergebnis für die Ampel einen Auftrag an die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP, Vertrauen zurückzugewinnen. In dem Wahlergebnisse sehe man auch einen Auftrag an die Bundesregierung, Vertrauen zurückgewinnen zu müssen. „Wir müssen das Land vor Parteifragen stellen“. Einen Grund, Neuwahlen anzustreben, sieht Nouripour nicht.
Vor den anstehenden Verhandlungen zum Haushalt rief Nouripour dazu auf, Streit nicht mehr öffentlich austragen zu wollen. „Wir haben Haushaltsverhandlungen vor uns, die nicht einfach sind“, sagte Nouripour. Man führe ernste Gespräche, allerdings nicht in der Öffentlichkeit. Die groben Differenzen seien mittlerweile hinreichend bekannt.
Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke kündigte auf der Pressekonferenz an, in Europa trotz des schlechten Wahlergebnisses mitgestalten zu wollen. „Wir wollen mitregieren“, sagte Reintke. Man sei bereit, Ursula von der Leyen zu einer demokratischen Mehrheit zu verhelfen. Dafür wolle man die Weiterführung des Green Deal und die Unterstützung von Rechtsstaatlichkeit in den Mittelpunkt stellen. (Reuters, dpa, AfP, Tsp)
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