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Nach Debakel um Brosius-Gersdorf: Verfassungsrichter-Wahlen müssen transparenter werden
Der Streit um die Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf hat das Gerichtspersonal in Karlsruhe endgültig zum Politikum gemacht. Das birgt Risiken – die von den Abgeordneten beherrscht werden müssen.

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Drei Namen stehen an diesem Donnerstag im Zentrum nationaler politischer Aufmerksamkeit, doch eher wenigen sind sie geläufig. Sie lauten Sigrid Emmenegger, Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner und gehören den zwei Kandidatinnen und dem Kandidaten, die der Bundestag zu neuen Richtern am Bundesverfassungsgericht wählen soll.
Das war mal Routine, ist aber keine mehr. Die Abstimmung gilt nun als Nagelprobe dafür, ob die Regierung für wichtige Projekte die nötige Mehrheit zusammenbekommt. Und dies in der immer noch frühen Phase einer Legislatur, die mit einer zunächst geplatzten Kanzlerwahl alle verunsichert hat.
Klappt es, werden die Verantwortlichen sich ihrer neuen Stärke erfreuen und zur Tagesordnung übergehen. Geht es schief, sind die Folgen kaum abzusehen. Im schlimmsten Fall zeigt sich, dass die Koalition eigentlich keine ist.
Zu erwarten ist, dass es klappt. Es wäre allerdings ein Fehler, das Geschehen um die zuvor spektakulär gescheiterte Richterwahl der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf dann als Betriebsunfall abzuhaken. Hier liegt die Ursache für die herrschende Erregung und das Symptom für einen Konflikt, der die Politik länger begleiten wird. Und mit dem sie umgehen muss. Womöglich sehr lang.
Der Grund dafür ist zum einen die AfD, zum anderen ist es das Grundgesetz selbst. Das Grundgesetz schreibt vor, dass die Bundesrepublik über ein Verfassungsgericht verfügt – es gibt auch Demokratien, die ohne so etwas auskommen – und Richterinnen und Richter von Bundestag und Bundesrat bestimmt werden. Es fordert zudem eine Zweidrittelmehrheit, um daran, also am Grundgesetz selbst, etwas zu ändern.
Politik ist auf Recht und Verfassungsgericht angewiesen, um berechenbar zu sein, und das Gericht auf die Politik, um glaubwürdig zu bleiben. Das Ganze gerät außer Balance, wenn die Besetzung der Richterstühle durch die Politik als Ränkespiel erscheint.
Jost Müller-Neuhof, Rechtspolitischer Korrespondent
Für die große Umgestaltung der Republik wäre also ein breiter Konsens erforderlich. Im Kleineren soll dies auch für die wichtigen Verfassungsrichterwahlen gelten, für die deshalb – außerhalb des Grundgesetzes und leichter änderbar – ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit festgeschrieben wurde.
AfD stört den staatsbürgerlichen Frieden
Deutschland mag Einheit, Konsens, Kooperation in der Politik. Und es mag unabhängige Richterinnen und Richter in Karlsruhe, die mit teils erzieherischer Autorität darüber wachen. Seine Gesetze sind Bedingung und Ausdruck davon.
In diesen staatsbürgerlichen Familienfrieden ist die AfD mit einer Wucht gerauscht, die am Tag ihrer Gründung wohl kaum jemand vermutet hätte. Sie erklärt das gewohnte Zusammenspiel politischer Kräfte zum „Kartell der Altparteien“, das im Namen des vermeintlich echten und einzig wahren Volkes durchbrochen werden muss.
Trotz – oder wegen – des rotzigen Auftretens ihrer Protagonisten hat sie mit dieser ebenso verlogenen wie schlichten Nummer ungeheuren Erfolg. Wie es aussieht, gibt es Bedarf dafür.
Die dadurch aufgebaute Spannung wurde bei der Nichtwahl von Brosius-Gersdorf so fühlbar wie nie. Nach altem Schema hatten sich die Spitzen der Koalition still auf eine Kandidatin verständigt, die zwar profiliert, aber auch nicht linker, rechter oder aktivistischer ist als manche andere, die bereits nach Karlsruhe geschickt worden waren. Trotzdem ist den Arrangeuren das Projekt um die Ohren geflogen.
Ob es „Kampagnen“ gab, ist nicht so wichtig
Das zeigt: Es geht nicht mehr so, wie es lange ging. Man mag darüber räsonieren, ob es nun bösartige „Kampagnen“ waren, die den SPD-Vorschlag von der Platte putzten, oder Fundamentalbedenken von Unionskatholiken. Es brach sich Widerstand an einer Stelle Bahn, die Politik und Recht miteinander verschaltet.
Wohl nirgendwo ist Demokratie so empfindlich wie hier, insbesondere die auf ihre Legalität bedachte deutsche. Denn Politik ist auf Recht und Verfassungsgericht angewiesen, um berechenbar zu sein, und das Gericht auf die Politik, um glaubwürdig zu bleiben. Das Ganze gerät außer Balance, wenn die Besetzung der Richterstühle durch die Politik als Ränkespiel erscheint.
Deshalb ist die Diskretion, mit der das Personal bisher entsandt wurde, aus der Zeit gefallen. Es braucht transparentere Verfahren. Zudem müssen bedeutende Fraktionen im Parlament einen Anspruch darauf haben, einen Richterkandidaten vorzuschlagen. Bis auf Weiteres wohl auch die AfD. Anders wird die hohe Legitimation und das überparteiliche Vertrauen, die das Gericht bisher genießen darf, auf Dauer schlecht zu erhalten sein.
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