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Die Kanzlerin Angela Merkel nach der Bayern-Wahl. REUTERS/Fabrizio Bensch

© Fabrizio Bensch/Reuters

Nach der Landtagswahl in Bayern: Merkel und Nahles - schicksalhaft verbunden

Ihre politische Zukunft ist miteinander verwoben. Wenn die große Koalition bricht, werden Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chefin Andrea Nahles fallen.

Wie sie da steht, in eine Farbe gekleidet, die keine ist, sondern zulässt, dass man darauf alles projiziert, hell, aber noch nicht grell. Annegret Kramp-Karrenbauer, die Generalin der CDU, sucht am Wahlabend nach Worten, die illustrieren, was gegenwärtig zu besichtigen ist: die Abkehr vom gewohnten Bild.

Ihr freundliches Gesicht am Stehpult im Konrad-Adenauer-Haus kann doch nicht davon ablenken, dass hier eine Lehre gezogen wird. Je länger Kramp-Karrenbauer, kurz AKK genannt, redet, umso mehr werden die Nuancierungen deutlich, die das eine Schwarz vom anderen unterscheidet. Nicht die CDU ist mehr für das allgemeine, schlechte Bild zuständig, sondern der Streit der Union im Allgemeinen und der CSU untereinander im Besonderen ist der Grund für das Debakel in Bayern. Hier wird nachkonturiert.

Und es ist, als schaue man mit ihr in ein Kaleidoskop. In ihm spiegelt sich alles mehrfach, sodass ein Muster sichtbar wird, das sich beim Drehen ändert. Wie man es auch wendet – es bleibt nicht im Metaphorischen. Alles Metaphorische nimmt jetzt Gestalt an: die Gestalt von Angela Merkel.

Ist sie nicht ein Phänomen? In der Physik werden Prismen verwendet, um weißes Licht in Regenbogenfarben zu zerlegen. Merkel erschien seit je, seit Amtsantritt als CDU-Vorsitzende und später als Bundeskanzlerin, als die, in die man Farben hineinlesen konnte. Dafür brauchte ihre Partei sie auch, auf dass sich wirklich jede und jeder in ihrer Vielfarbigkeit wiederfinden könnte. Sogar das Rot der Andrea Nahles strahlte aus ihr heraus. Und heute? Stehen sie beide, die CDU-Chefin und die SPD-Chefin, in grellem Licht, mit dem Rücken zur Wand.

Viel fehlt nicht mehr bis zur Abstimmung in beiden Parteien über das, was sie Zukunft nennen wollen. Es zieht sich zu. Die Wahl in Hessen Ende Oktober, der CDU-Parteitag Anfang Dezember, daneben ein möglicher SPD-Sonderparteitag nach Hessen.

Auf beiden Seiten kann alles das verhandelt werden, was jetzt in Rede steht: Ist Angela Merkel nach 18 Jahren im Parteivorsitz und 13 Jahren als Kanzlerin noch die Richtige, die CDU in die kommenden Jahre zu führen? Ist Andrea Nahles nach gut fünf Monaten als Parteivorsitzende und einem Jahr als Fraktionschefin noch die Richtige, die SPD in die kommenden Jahre zu führen?

Schwarz und Rot, wie soll das noch zusammenpassen?

Die Parallelität frappiert, nicht die der Jahre, der Tage, bei Weitem nicht, sondern die der Frage. Weil es inzwischen längst übers Ritualhafte hinausgeht, die Schuld bei denen zu suchen, die vor allen anderen in grellem Licht erscheinen. Die beiden bilden im Blick auf sie bereits eine Koalition der eigenen Art, eine, die bald schon gemeinsam die Kraft zu suchen scheint, die großen Probleme zu lösen, die Konflikte loszuwerden, die eigenen und die gemeinsamen. Plötzlich schiebt sich in diesem Kaleidoskop zusammen, was zusammengehören muss, wenn sie einander die Macht erhalten wollen.

Andrea Nahles.
Andrea Nahles.

© Karl-Josef Hildenbrand / dpa / AFP

Verbunden sind sie beide, Nahles und Merkel, und zwar mehr, als es nach außen hin sichtbar wird. Ihre Gespräche werden eben nicht immer offenbar, nur manchmal am Rande des Plenums im Bundestag, und der ist bekanntermaßen der geheimste aller öffentlichen Orte: Was jeder sieht, sieht keiner.

Wenn sie miteinander reden, ist das kein Farbenspiel, es ist ihr Zusammenspiel. Es geht um die Sache. Manchmal trägt Merkel dabei Grün. Dann erinnert sie wie zufällig daran, was jederzeit auch sein könnte – Grün als Signalfarbe, als eine Warnung an den, der sie sieht. Die beiden sehen doch gerade grün. Rot sowieso.

Angela Merkel hat schon längst für sich sortiert, worüber jetzt zu reden sein wird. Zwei Farben Schwarz und die Farbe Rot, wie soll das noch länger zusammenpassen? So viel ist getan, so viel ist noch zu tun, ob Pflege oder Rente oder Gesundheit oder Wohnen oder Mieten oder Digitales oder, oder, oder, so viel steht noch zu Buche im Koalitionsvertrag – doch so wenig scheint in diesen Momenten zusammenzupassen. Komplementär geht anders.

Wo Merkel für sich sortiert, sortiert Nahles sich. Die Situation ist für sie unvorhersehbar. Als sie nach dem verheerenden Ergebnis von Bayern gefragt wird, nach den Folgen, die das haben kann, nach dem, was es auch für das Zusammenwirken in Berlin bedeuten könnte, wendet Nahles sich brüsk ab, wortlos. Das hat man lange nicht gesehen. So düster wird das Bild mit einer einzigen Drehung, mit ihrer, dass die Zukunft kaum mehr zu erkennen ist.

Merkel hat von jetzt an vor allem Schwarz-Grün vor Augen. In Hessen wird demnächst gewählt, keine zwei Wochen mehr sind es bis dahin, der 28. Oktober steht quasi vor der Tür: Volker Bouffier, der Ministerpräsident und christdemokratische Landesherr, ist dazu gerade passend nach Berlin gekommen. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer präsentiert er den Slogan: „Jetzt geht’s um Hessen“, nur Stunden nach der Niederlage der CSU in Bayern. An der Seite von AKK lautet das Signal, dass gestern von gestern ist und von heute an alles anders werden muss – weil es um die CDU geht. Bei der geht es aber inzwischen auch um alles. Zu Schwarz und Grün muss vielleicht am Ende ein Gelb kommen. Das ist das nächste Farbenspiel.

Nahles ist die Spiele leid

Andrea Nahles ist diese Spiele leid. Zumal die SPD von ihnen nur betroffen, aber nicht Teil derselben ist. Ihr Rot wird immer schwächer, der letzte Sonntag lässt es blasser denn je erscheinen. Und dann das: Als Kevin Kühnert, der gefürchtete Juso-Chef, nach dem Ergebnis von Bayern gefragt wird, lässt er sich nicht lange bitten. Genug der Analyse, die kann man nicht mehr hören, sagt er. Er will reines Rot. Und mit ihm wollen das immer mehr in der Partei. Denn die Mehrheit bei den Sozialdemokraten ist inzwischen maximal verdrossen.

Was den Blick zurück auf Merkel lenkt. Auch sie hat viele Verdrossene gegen sich. Nur laut reden will darüber keiner, noch nicht. Aber der SMS-Verkehr ist rege. Der „Brinkhaus-Effekt“, die Wahl eines neuen Fraktionsvorsitzenden der Union gegen ihren Willen, hinterlässt deutlich seine Spuren. Und wo Nahles ihren Kevin Kühnert hat, da hat Merkel ihren – Wolfgang Schäuble.

Beide sprechen ihrer eigenen Partei aus der Seele. Der Junior, Kühnert, mit dem Blick dessen, der noch nicht alles gesehen hat, aber das, was er sieht, nicht gut findet. Der Senior, Schäuble, der schon alles gesehen hat, aber jetzt findet, dass es so nicht gut werden kann. Der eine wie der andere lenkt den Blick auf die Ermüdungserscheinungen. Sogar auch mit diesem Wort. Das gilt denen, die da vorne stehen, Nahles und Merkel, und den Parteien, die sich aneinander ermüden. Schäuble und Kühnert: Sie reden in einer Weise, die offenlässt, worin sie am Ende ihre Rolle sehen. Es ist ein Zusammenspiel der anderen Art, wie auf einander bezogen, ungewollt abgestimmt.

Es ist ja so: Wenn sich die Genossen Kevin Kühnert anschließen würden und die immer kleiner werdende große Koalition im ganzen Land wirklich aufkündigen wollten, dann wäre es das Ende – das von Andrea Nahles an der SPD-Spitze und von Angela Merkel an der Regierungsspitze. Sie beide sind diejenigen, die die Parteien beieinander- und sich an der Macht halten. Die CDU bräuchte dann für Schwarz-Grün-Gelb jemand anderen, weil die FDP unter Christian Lindner sich in Merkel nicht mehr wiederfinden kann und will. Während sich auf der anderen Seite die SPD in diesem Fall ganz gewiss in jemand anderem als Nahles wiederfinden wollte.

Und dann ist da noch die Parallelität im Schwinden: Die Union steht im Bund bei 26 Prozent, die SPD bei 15, beide Zahlen sind historisch tief. Die CDU alleine läge auch schon unter 20. Das hat es alles so noch nicht gegeben. Weshalb die Frage drängend wird, ob sich Merkel und Nahles halten können, bis sich ein besseres Bild ergibt.

Den Übergang mitgestalten

Nach einer für beide schweren Niederlage in Hessen könnte sich aber das ergeben: Auf beiden Seiten reden alle in der jeweiligen Führung über alles. Auch über die beiden Spitzenfrauen. Auch über einen Übergang. Aber nicht ohne sie, sondern mit ihnen, damit man sie nicht abserviert, sondern ihre Dienste anerkennt und ihnen die Möglichkeit gibt, den Übergang mitzugestalten. Von diesem so noch nie da gewesenen Versuch ist dieser Tage auch die Rede. So verstanden haben Kühnert wie Schäuble ihren Teil dazu bereits getan.

Der Tag nach Bayern: Da steht sie wieder, Annegret Kramp-Karrenbauer, und will den Blick der Wähler ganz auf Hessen lenken. Ihre Worte gehen nicht ins Leere. Eine „entsprechende Diskussionskulisse und Disziplin auf Bundesebene“ sei nötig, sagt sie und mahnt, man müsse den Wählern ausreden, dass es bei der nächsten Landtagswahl um eine „Abrechnung mit wem auch immer geht“.

Wie sie das so sagt, klingt es, als spreche sie für zwei: für Angela Merkel und für Andrea Nahles. Dass es Annegret Kramp-Karrenbauer tut, spricht auch für sich. Hier spricht die Generalin zu allen in der Union, die jetzt auf eine Personaldebatte zielen. Und sie macht deutlich, was Schwarz und Schwarz verbinden muss. Erst recht nach dem Debakel vom Vortag.

AKK kann ja auch nicht alles unterlassen, was im großen Bild ihre Konturen zu sehr schärft. Da kristallisiert sich etwas heraus, das Bild bekommt ein Muster. Denn alle Kristallisationen sind ein realisiertes Kaleidoskop. Das schrieb übrigens der große Goethe in seinen „Maximen und Reflexionen“. Und Goethe war – ein Hesse.

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