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Nach tödlichen Polizeischüssen auf Lorenz A.: Grüne und Linke verlangen unabhängige Aufklärungsbehörde
Mit mehreren Schüssen von hinten wird ein 21-Jähriger in Oldenburg von der Polizei getötet. Nun ermittelt die Nachbardienststelle. Die Zweifel an der Unabhängigkeit sind groß.
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Die Trauer ist groß: In München, Düsseldorf, Berlin, Braunschweig, Hannover, Frankfurt und vielen anderen Städten in Deutschland sind an diesem Wochenende Menschen auf die Straße gegangen, um an Lorenz A. zu erinnern. Allein in Oldenburg, wo der 21-jährige Deutsche in der Nacht auf Ostersonntag von einem Polizisten erschossen wurde, demonstrierten rund 10.000 Menschen.
Doch in die Trauer mischt sich Wut. Denn der junge schwarze Mann, der zuvor vor einer Bar mehrere Menschen mit Reizgas besprüht und offenbar auch mit einem Messer gedroht hatte, wurde auf der Flucht vor der Polizei durch drei Schüsse von hinten getötet. Insgesamt schoss der 27-jährige Beamte, der routinemäßig vorübergehend suspendiert wurde, fünfmal.
Der Fall löst eine erneute Debatte über strukturellen Rassismus in der Polizei aus. „Das Vertrauen in eine Institution, die eigentlich uns schützen soll, steht auf dem Spiel“, sagte Suraj Mailitafi, Sprecher der Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“, am Rande der Oldenburger Kundgebung. „Es geht um lückenlose Aufklärung.“
Doch genau daran wachsen die Zweifel. Wie üblich bei tödlichen Polizeischüssen üblich, hat die benachbarte Polizeidienststelle in Delmenhorst die Ermittlungen in dem Fall übernommen. Dort war 2021 ein 19-jähriger Geflüchteter in Polizeigewahrsam kollabiert und später verstorben. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen später ein, das Misstrauen blieb.
Seit Jahren steigt die Zahl tödlicher Polizeischüsse. Allein im Jahr 2024 starben 22 Menschen durch Schüsse von Polizeibeamten – so viele wie noch nie, seit die Statistik 1991 erstmals erhoben wurde. Und der Trend scheint sich fortzusetzen. In 2025 starben bereits elf Personen durch Polizeikugeln.
In vielen Fällen geht es dabei um Notwehr, häufig gegenüber psychisch verwirrten Menschen. Insgesamt steigt auch die Gewalt gegen die Polizei immer weiter. Im vergangenen Jahr wurden 111.496 Angriffe auf Polizeibeamte gezählt. Ebenfalls ein Höchststand.
Im Fall Lorenz A. fordert nun auch die Politik Aufklärung. „Zeitnah, transparent und lückenlos“, müsse dies geschehen, fordert etwa die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Lamya Kaddor. „Erste Anhaltspunkte lassen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns aufkommen“, sagte sie dem Tagesspiegel.
Wenn Polizeibeamt:innen gegen Kolleg:innen ermitteln, besteht zwangsläufig ein Interessenkonflikt, auch wenn die Ermittlungen formal an eine andere Dienststelle übergeben werden.
Linken-Politikerin Clara Bünger fordert eine unabhängige Ermittlungsbehörde.
Es sei daher grundsätzlich richtig, dass die Polizei aus dem Nachbarkreis ermittle. Das reiche aber nicht aus. „Wünschenswert wäre es dennoch, eine unabhängige Behörde neben der Staatsanwaltschaft mit der Aufklärung zumindest mitzubetrauen“, sagte Kaddor. So könnte etwa die Arbeit von unabhängigen Polizeibeauftragten, wie es sie teils schon gibt, Vertrauen in die Polizei zurückgewinnen.
„Mit eigenen Ermittlungsbefugnissen und Einsichtsrechten könnte dieser die Arbeit der Polizei selbst unabhängig untersuchen und bewerten und so der Öffentlichkeit ein eigenes Bild präsentieren“, sagt Kaddor.
Auch Clara Bünger, Innenpolitikerin der Linkspartei, zweifelt an der Unabhängigkeit der Ermittlungen im Fall Lorenz A.: „Wenn Polizeibeamt:innen gegen Kolleg:innen ermitteln, besteht zwangsläufig ein Interessenkonflikt, auch wenn die Ermittlungen formal an eine andere Dienststelle übergeben werden. Denn: Man kennt sich“, sagte sie dem Tagesspiegel.
Bünger forderte umfassende Konsequenzen: Es braucht „endlich eine wirklich unabhängige Ermittlungsbehörde mit umfassenden Befugnissen.“
Schwarz-Rot sieht keinen Reformbedarf
Doch in der künftigen Koalition von Union und SPD sieht man dafür keinen Reformbedarf. Die Hintergründe der Tat müssten selbstverständlich unabhängig und vollständig aufgeklärt werden, findet der frühere SPD-Innenminister aus Schleswig-Holstein, Ralf Stegner. „Das geschieht in Deutschland auch – wir sind nicht in den USA – und die Polizei verdient auch unser Vertrauen, dass auch dann mit aller Konsequenz gehandelt wird, wenn es Fehler und Versäumnisse oder gar Straftaten aus den eigenen Reihen gab.“
Auch Alexander Throm, Innenexperte der CDU im Bundestag, sieht keine Notwendigkeit für Reformen: „Die Polizei genießt in Deutschland sehr hohes Vertrauen, und zwar völlig zu Recht“, sagte er dem Tagesspiegel. Und erklärte weiter: „Ich habe keine Zweifel, dass auch hier die Ermittlungen professionell und unparteiisch ablaufen. Die Unvoreingenommenheit, die man von Polizei und Staatsanwaltschaft erwartet, sollten wir alle auch diesen gegenüber aufbringen.“
Ähnlich äußerte sich auch der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke: „Es braucht keine explizite unabhängige eigenständige Ermittlungsinstitution neben der Polizei“, sagte er dem Tagesspiegel.
Kopelke erklärte zudem, die Aufklärung von Straftaten sei Hauptaufgabe der unabhängigen Staatsanwaltschaften, die Polizei nur deren Ermittlungspersonal: „Deutsche Polizeiarbeit und Ermittlungsarbeit ist nicht vergleichbar mit der in Großbritannien und somit sind diese unabhängigen eigenständigen Institutionen auch nicht wirksam.“
Zudem würden Polizei und Staatsanwaltschaften ausreichend Vorsorge treffen, „um Interessenskonflikte, Befangenheit oder Intransparenz nicht entstehen zu lassen“, so Kopelke.
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