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Spirale der Gewalt. In Jerusalem wechseln sich Attentate und Vergeltungsmaßnahmen ab.

© AFP

Konflikt zwischen Israel und Palästinensern: Nahost auf dem Weg zur Implosion

Im Kalten Krieg hat die KSZE zwischen den Blöcken vermittelt. In Israel erreicht die Gewalt eine neue Dimension. Es braucht neue Unterhändler des Friedens. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Das Publikum wendet sich mit Grausen. Und es wendet sich ab. So ist es doch, sobald das Stichwort „Naher Osten“ fällt, oder? Wer will das schon noch hören, nicht? Immer wieder diese Konflikte, Auseinandersetzungen, Ausschreitungen, Tote. Neulich erst, im 50-Tage-Krieg. Immer dieser Hass, der stets aufs Neue aufflackert, als gebe es kein Morgen. Und die nächste Intifada kommt bestimmt.

Aber es ist diesmal doch nicht ganz wie gehabt. Nicht in dem Nahen Osten, der mit Israel und den Palästinensern assoziiert wird, nicht in dem, der vom „Islamischen Staat“ terrorisiert wird. Alles ist ganz nah. Der Krieg, die Kriege driften vom Ethnischen ins Religiöse, und das ist explosiv politisch. Allein schon der geografische Blick auf die Terrormiliz IS zeigt das, die versuchte Ausdehnung des – sunnitischen – Kalifatsstaates von den Grenzen des Iran – des schiitischen, der nach den verheerendsten Waffen der Menschheit zu streben scheint – bis zum Mittelmeer. Dann noch über die Grenze der Türkei, und schon gerät Europa ins Zentrum.

Das sind die ungelösten, brandgefährlichen Fragen: Wie mit dem Iran umgehen? Wie will man ihn einerseits einbinden in die Koalition der Abwehrwilligen gegen den IS, wie andererseits seine Atompläne abwehren? Wie soll außerdem ein Flächenbrand verhindert werden, in einer Region, die ohne Untertreibung ein einziges Waffenlager, ein riesiges Pulverfass ist? Und die Zündschnur ist kurz.

Das, was in Jerusalem geschehen ist und noch geschieht, diese Aktionen und Reaktionen, die Morde und das jetzt folgende Einbetonieren der Hoffnung – das ist nicht wie gehabt. Das vermittelt eine neue Dimension, die bisher unvorstellbar war, unvorstellbar im Sinne von: Bitte, lass es niemals tatsächlich so weit kommen. Ein Glaubens-, ein Religionskrieg in Jerusalem. Im Herzen Israels. Kann es wirklich immer noch schlimmer werden?

Immer mehr Menschen tragen ihre Waffen offen, die Nerven liegen blank

Nun tragen immer mehr Menschen ihre Waffen offen, werden die Nerven noch angespannter sein, als sie ohnehin schon sind. Zum Zerreißen gespannt, sagt man doch – in diesem Fall ist das wörtlich zu nehmen. Denn die Situation ist weltpolitisch von Bedeutung, weil sie die Nationen in der Beurteilung, wer denn an der Eskalation schuld sei, wieder teilen wird, anstatt dass sie schnell und gemeinsam mäßigend auf alle Konfliktparteien einwirken; und es kann Israel von innen her zerreißen.

Rund 20 Prozent der Staatsbürger Israels haben eine arabisch-palästinensische Herkunft, 84 Prozent davon sind Muslime. Das sind Zahlen, die alternativlos zu besonnenem Handeln zwingen. Denn die Alternative sieht so aus: Die israelische Regierung geht härter und härter am Tempelberg vor, die Palästinenser im Land radikalisieren sich selbst oder werden von außen radikalisiert, und da gibt es einige terroristische Organisationen. Und dann … ist die Explosion der Gewalt nahe. In Israel, das sowieso nicht von Freunden umgeben ist. Das wäre der Weg zur staatlichen Implosion.

Wo sind sie, die Unterhändler des Friedens? Wer sieht die Verantwortung nicht nur, wer übernimmt sie auch? Die ganze Region bedarf eines Plans. Da ist doch die Idee einer KSZE, einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für den Nahen Osten. Die KSZE hat seinerzeit geholfen, den Kalten Krieg zwischen atomwaffenstarrenden Staaten nicht zu einem heißen werden zu lassen. Der hätte die Welt vernichtet. Sage keiner, dass das jetzt nicht möglich wäre. Es ist zum Grausen. Wende sich jetzt keiner ab!

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