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CDU-Chef Friedrich Merz will das Vermittlungsverfahren nutzen, um die Ampel-Koalition zu Änderungen beim Bürgergeld-Gesetz zu bringen.

© Foto: dpa/Michael Kappeler

Nervenkrieg ums Bürgergeld: Die Union blockiert, die SPD drängelt

Der Bundesrat befasst sich an diesem Montag mit dem Bürgergeld. CDU-Chef Merz will es verhindern und mit einem Vermittlungsverfahren punkten.

Für Hubertus Heil geht es um viel. Und auch für Friedrich Merz. Der sozialdemokratische Arbeits- und Sozialminister, gerade 50 Jahre alt geworden, seit 1998 im Bundestag, viele Jahre Fraktionsvize, seit 2018 im Kabinett will mit dem Bürgergeld seiner Partei und auch sich Befreiung verschaffen. Von der „größten Sozialstaatsreform seit zwanzig Jahren“ hat Heil zuletzt im Bundestag gesprochen, als die Ampel-Mehrheit das Bürgergeldgesetz verabschiedet hat.

Es soll die Reform einer Reform sein, welche die SPD einst als großen Fortschritt plante und umsetzte – das Arbeitslosengeld II, das aber unter dem unschönen Beinamen „Hartz IV“ auch viel Kummer brachte. Parteiinternen Streit gab es deswegen, die Linkspartei schlug daraus Kapital, und auch wenn die Reform unter Kanzler Gerhard Schröder von pragmatischen Sozialdemokraten wie Heil bis heute als durchaus sinnvoll empfunden wird – glücklich wurde die SPD nicht damit.

Bürgergeld klingt besser. Zudem soll die vorgesehene Erhöhung des monatlichen Regelsatzes für Langzeitarbeitslose von 449 auf 502 Euro bei Alleinstehenden signalisieren, dass die SPD – wie auch beim Mindestlohn – ihr Herz für die ganz Armen nicht verloren hat. Aber auch eine bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt wird mit der Reform angestrebt, bei Zuverdiensten soll es weniger Abzüge geben, das Schonvermögen wird erhöht, Sanktionen und Leistungsentzug sollen geringer ausfallen.

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Profilierung und Gegenprofilierung

Diesem Vorhaben zur Eigenprofilierung will die Union nun einen Bremsklotz entgegensetzen: ein Veto im Bundesrat an diesem Montag, ein Vermittlungsverfahren und eine gründliche Änderung des Gesetzes. Da die Ampel das Bürgergeld zum 1. Januar starten will, herrscht Zeitdruck – und das ist ein Verhandlungsvorteil für CDU und CSU.

Für den CDU-Parteichef und den Unions-Fraktionschef im Bundestag ist der Widerstand gegen das Bürgergeld eine willkommene Gelegenheit zur Profilierung als Oppositionsführer. Friedrich Merz hat daher die Latte sehr hoch gehängt: Die Reform sei ein „Systemwechsel“, da werde ein Kompromiss sehr schwierig werden.

Immerhin: Er spricht von Kompromiss. Die schwarzen Länderchefs, die ihn zuletzt auch mal ausgebremst hatten in seinem Anti-Ampel-Eifer (etwa bei der Schuldenpolitik), hat Merz auf seine Linie gebracht.

Die Länder mit Unions-Regierungsbeteiligung kommen auf 39 Stimmen, das reicht zum Blockieren. Zur Zustimmung sind 35 der 69 Länderstimmen nötig. Zwar sitzt die CDU in sieben Ländern in Koalitionen mit einer oder zwei Ampel-Parteien. Aber bei Nichteinigung im Land wird nicht zugestimmt, man spricht vornehm von Enthaltung.

Das Bürgergeld ist sozial ungerecht und unfair

Markus Söder, CSU-Chef

Erklärt haben sich die Landesregierungen von Hessen (schwarz-grün), Baden-Württemberg (grün-schwarz) und Schleswig-Holstein (schwarz-grün): Sie werden dem Gesetz wegen des CDU-Vetos nicht zustimmen.

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der mit SPD und Grünen regiert, hat angekündigt, sein Land werde nicht zustimmen. In Brandenburg regiert eine rot-schwarz-grüne Koalition. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach zuletzt davon, die Union noch überzeugen zu wollen. Deren Fraktionschef im Landtag, Jan Redmann, hat aber angekündigt, Brandenburg werde sich enthalten.

Bedeckt gehalten haben sich bis zuletzt die Regierungen von Nordrhein-Westfalen (schwarz-grün) und Sachsen-Anhalt (schwarz-rot-gelb): Sie erklären vor der Bundesratssitzung an diesem Montag um 11 Uhr nicht, wie sie abzustimmen gedenken. Aber alles andere als eine Nicht-Zustimmung wäre eine Überraschung – und eine Düpierung für Merz.

Erstes Vermittlungsverfahren für die Ampel

Es ist nach knapp einem Jahr Regierungszeit das erste Verfahren im Vermittlungsausschuss für Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Seinen. Wohin die Union zielt, hat am Tag vor der Sondersitzung der Länderkammer noch einmal CSU-Chef Markus Söder klargestellt. Der bayerische Ministerpräsident sagte der „Bild am Sonntag“, das Bürgergeld sei „sozial ungerecht und unfair“, wenn die Ampel ein Ergebnis wolle, dann müsse sie bei Sanktionen, Schonvermögen und Leistungsprinzip nachgeben.

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CDU und CSU wollen mithin eine härtere Version des Bürgergelds – als Signal an ihre Klientel, dass staatliche Unterstützung, bezahlt aus Steuergeld, ganz so einfach nicht zu beziehen sein wird.

Ich fürchte, dass sich Merz und die Union argumentativ verrannt haben

Dagmar Schmidt, SPD-Sozialpolitikerin

Andererseits unterstützen auch Unions-Sozialpolitiker den Ansatz, zu mehr Weiterbildung zu kommen – also das Fördern zu stärken. Die Wirtschaft leidet unter Arbeitskräftemangel, da gilt es, auch unter Langzeitarbeitslosen vermehrt zu suchen. Dafür müsse es aber auch in den Jobcentern mehr Personal geben, wird argumentiert.

Die SPD sieht an diesem Punkt die Chance, die Union zu einem schnellen Einlenken zu bewegen. Mit dem Wechsel zu einem stärkeren Fördern und hin zu „umfangreichen Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten“ wolle man vor allem dem Fachkräftemangel entgegenwirken, sagte die SPD-Sozialpolitikerin Dagmar Schmidt der Deutschen Presse-Agentur. „Ich fürchte, dass sich Friedrich Merz und die Union argumentativ verrannt haben“, sagte Schmidt.

Kompromiss Ende November - oder erst vor Weihnachten?

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) forderte am Sonntag die Union auf, Parteitaktik bleiben zu lassen und sich im Vermittlungsausschuss schnell zu verständigen. „Wir brauchen Klarheit bis zur Bundesratssitzung am 25. November, damit die Arbeitsagentur noch alles vorbereiten kann, um das Bürgergeld ab Januar auszuzahlen“, sagte sie der „Rheinischen Post“.

Aber das wird die Union wohl nur bei deutlichen Zugeständnissen mitmachen. Zieldatum dürfte daher eher der 16. Dezember sein, dann könnten Bundestag und Bundesrat einen Kompromiss billigen.

Vor dem Kompromiss steht noch die Konstituierung des Vermittlungsausschusses. Er besteht aus 16 Bundestagsabgeordneten gemäß den Fraktionsstärken im Parlament – und aus 16 Vertretern der Länder. Chefs und Chefinnen der Bundestagsfraktionen sind dort ebenso dabei wie 14 der 16 Ministerpräsidenten – der Vermittlungsausschuss wird nicht gern Fachpolitikern überlassen, die Verfahren dort haben schließlich in aller Regel Chefsache-Potenzial. Im Fall des Bürgergelds müssen Bundesregierung oder Bundestag den Ausschuss anrufen.

Offiziell liegen nur die Gesetze auf dem Tisch, welche im Bundesrat nicht durchgekommen sind. Kompensationsgeschäfte sind im Ausschuss nicht möglich. Aber im Hintergrund laufen sie natürlich immer wieder. Dass im Beschluss des letzten Bund-Länder-Gipfels am 2. November vermerkt wurde, dass Bund und Länder ein Vermittlungsverfahren „nicht dazu nutzen, weitere finanzielle Forderungen zu erheben“, war bereits ungewöhnlich. Aber auch ein Zeichen, dass beide Seiten grundsätzlich kompromissbereit sind.

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