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Neue Regeln für die Grundgesetz-Hüter: Braucht das Verfassungsgericht wirklich Schutz, ist es schon zu spät
Die Hüterinnen und Hüter des Grundgesetzes sollen dem Zugriff rechtspopulistischer Parteien entzogen werden. Das ist ebenso sinnvoll, wie es hilflos wirkt – und illusorisch.

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Das Bundesverfassungsgericht ist ein mächtiger Akteur im demokratischen Staat. Es kann Gesetze für nichtig erklären oder Wahlen wiederholen lassen, es kann einzelne Bürger zum Sieger gegen die Staatsgewalt machen oder Abgeordnete gegen ihr eigenes Parlament.
Das Gericht hat in den Jahrzehnten seiner Existenz maßvoll und meist überzeugend davon Gebrauch gemacht und sich damit großes Vertrauen erworben, beim Volk ebenso wie bei dessen politischen Vertretern. Und Vertrauen ist das Fundament, auf dem ein Rechtsstaat gründet.
Der Bundestag hat nun mit breiter Mehrheit ein Vorhaben beschlossen, das gemessen an Redebeiträgen und fraktionsübergreifenden Danksagungen im Parlament wohl zu den wichtigsten der Legislaturperiode zählt. Das Bundesverfassungsgericht soll ertüchtigt werden, um künftig rechtspopulistischen Kräften widerstehen zu können.
Technisch soll wenig dafür nötig sein. Im Wesentlichen wird, was jetzt schon gilt, statt im Bundesverfassungsgerichtsgesetz im Grundgesetz festgeschrieben. Etwa, dass das Karlsruher Gericht aus zwei Senaten mit Richtern besteht, deren Amtszeit maximal zwölf Jahre dauern darf; oder dass es sich eine eigene Geschäftsordnung gibt.
Die Richter sollen in gewohnter Freiheit ihre freiheitswahrende Arbeit tun
Das Grundgesetz ist dafür gewiss ein guter und im Übrigen der richtige Ort, denn das Gericht ist ein Verfassungsorgan. Der wesentliche Unterschied: Die Verfassung kann statt mit einfacher Mehrheit nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden.
Hier liegt zugleich das Motiv für die Verschiebung. Die Höchstrichter sollen in gewohnter Freiheit ihre freiheitswahrende Arbeit tun, selbst wenn im Bundestag eine neue Mehrheit einen neuen, womöglich autoritären Ton angibt.
Polen gilt als Paradebeispiel, wie schnell der Rechtsstaat an der Spitze ruiniert werden kann. Man streicht einem Gericht die Autonomie, seine Fallreihenfolge festzulegen, oder fügt neue Senate hinzu, um sie mit politisch hörigem Personal zu besetzen.
So einfach ist es, leider. Unter neuen politischen Umständen könnte auch eine herausgehobene Institution wie das Bundesverfassungsgericht dazu verpflichtet werden, seine Fälle nach Eingangsdatum abzuarbeiten statt, wie bisher, nach deren subjektiv bemessener Bedeutung. Die vielen tausend Beschwerden und Klagen, die jährlichen in Karlsruhe eingehen, ließen das System kollabieren.
Trügerisch ist der Glaube, hier würde „Resilienz“ erzeugt.
Jost Müller-Neuhof
Ein Zweidrittel-Erfordernis soll das verhindern. Es zwingt zu breitem Konsens, statt dass im Bundestag eine knappe Mehrheit eine starke Minderheit an die Wand drücken kann. Einleuchtend, in der Tendenz konservativ und ziemlich deutsch.
Nun sollte man bei allem, was mit der in politischen Diskussionen rhetorisch unwiderlegbaren Formel „mehr Schutz“ verbunden wird, genauer hinsehen. Denn „mehr Schutz“ heißt hier: Schutz vor einer parlamentarischen Minderheit, die offenbar stärker wird. Gewissermaßen also Schutz vorm eigenen Volk.
Wirklich plausibel oder vielleicht sogar notwendig erscheint dies nur angesichts einer erstarkenden Opposition, die mit den Werten des Grundgesetzes wenig anfangen kann. Ohne AfD als antidemokratisches Menetekel sähe das Unterfangen weniger demokratisch aus; es sähe womöglich so aus, als wolle sich eine große Koalition ihren bestehenden, großen Einfluss sichern.
Ein Eindruck, der sich andeutungsweise auch in einem neuen Mechanismus zeigt, der Blockaden der Richterwahl im Bundestag auflösen soll. Dann soll künftig der Bundesrat das Gerichtspersonal allein bestimmen; ein Gremium, dem die AfD fern ist, anders als dem Parlament.
Es mag sinnvoll sein, bewährte Karlsruher Strukturen im Grundgesetz festzuschreiben, und natürlich ist es sinnvoll, destruktive Kräfte von Einflusspositionen fernzuhalten. Andererseits nimmt es Flexibilität aus dem System, wenn Regeln in die Verfassung übertragen werden, die auch gut in sogenannten einfachen Gesetzen stehen.
Trügerisch ist der Glaube, hier würde „Resilienz“ erzeugt, also eine Art Zauberkraft, die sich institutionell gegen Populismus stemmt. Das müssen schon wir selbst tun, die Zivilgesellschaft als solche.
Das Bundesverfassungsgericht ist eine mächtige, jedoch zerbrechliche Konstruktion. Braucht es wirklich „Schutz“, ist es eigentlich schon zu spät.
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