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Neuer Drogenbeauftragter schlägt Alarm: Hendrik Streeck spricht von „pandemischer Dynamik“
Die Zahl der Todesfälle durch illegale Drogen bleibt hoch. Hendrik Streeck fordert dringend mehr Prävention sowie ein Frühwarnsystem. Doch das nötige Geld dafür ist nicht in Sicht.
Stand:
Wie dramatisch die Lage ist, macht Hendrik Streeck am Montag gleich zu Beginn deutlich. Die Zahl der Drogentoten sei „erschreckend hoch“, sagt er, die Entwicklung „alamierend“.
2137 Menschen starben im vergangenen Jahr an den direkten Folgen illegalen Drogenkonsums. Im Durchschnitt sechs pro Tag. Gegenüber dem Rekordwert von 2023 sank die Gesamtzahl zwar um 90 Tote, doch laut Streeck wäre es fatal, deshalb Entwarnung zu geben.
Ganz im Gegenteil: In den Körpern Verstorbener würden immer mehr unterschiedliche Substanzen gefunden, teilweise bis zu sechs verschiedene gleichzeitig. Streeck sagt: „Noch nie war der Mischkonsum so stark verbreitet.“ In Berlin gab es laut Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr 294 Drogentote. Dies ist ein neuer Rekord.
Streeck kritisiert „lückenhafte Datenlage“
Seit sechs Wochen ist Hendrik Streeck Beauftragter der Bundesregierung für Sucht und Drogenfragen. Zur Vorstellung der jährlichen Drogentotenzahlen hat sich sein Team das Urban-Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg ausgesucht. Für besonders besorgniserregend hält der 47-Jährige den sprunghaften Anstieg bei Todesfällen im Zusammenhang mit synthetischen Opioiden. Inzwischen würden bei jedem fünften Drogentoten Fentanyl oder Nitazene gefunden.
Diese sehr potenten Substanzen fänden sich in Deutschland oft als Beimischung unter andere Drogen. Die Konsumierenden wüssten daher häufig gar nicht, worauf sie sich einließen.
Bei der Zahl der Toten handle es sich lediglich um die „Spitze des Eisbergs“, sagt Streeck. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich sehr viel höher. Denn bis heute würden die Zahlen nur schlecht und nicht systematisch erfasst. Bei der Hälfte der Todesfälle in Deutschland wurde überhaupt kein toxikologisches Gutachten durchgeführt. Die Datenlage nennt Streeck „lückenhaft“ – die politische und medizinische Entscheidungsgrundlage sei damit „erschreckend dünn.“
Eine nachhaltige Strategie gegen Drogentote brauche jedoch valide Daten, ansonsten könne man nicht zielgerichtet helfen. Aufgrund dieser Mängel ließe sich auch nicht sagen, ob Deutschland erst am Beginn einer Fentanyl-Welle stehe und ob auch hierzulande US-amerikanische Verhältnisse drohten.

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„Wir brauchen in Deutschland ein Monitoring- und Frühwarnsystem, das seinen Namen verdient hat“, sagt Streeck. Warnungen vor neuen Substanzen kämen viel zu spät und oft erst nach Monaten in der Szene an. Die Marktveränderungen würden nur „reaktiv“ wahrgenommen werden. So sei es unmöglich, rechtzeitig Polizei, Rettungskräfte, Suchthilfen und die Betroffenen zu warnen. Mehr Aufklärung und Prävention brauche es zudem gerade für Kinder und Jugendliche.
Ich kann nicht sagen, ob mehr Gelder zu Verfügung stehen werden.
Hendrik Streeck
Bis zu seiner Berufung zum Drogenbeauftragten war Streeck der deutschen Öffentlichkeit vor allem als Virologe bekannt, der während der Corona-Pandemie Expertenrat gab. Bei der Vorstellung der Drogentotenzahlen nimmt er auf diese Zeit Bezug und sagt, die Politik dürfe nicht dieselben Fehler wie in der Pandemie machen, nämlich „zu spät zu erkennen, zu spät zu reagieren und zu lange auf Sicht zu fahren“.
Das ist insofern bemerkenswert, als dass gerade Streeck wiederholt Fehleinschätzungen vorgeworfen wurden. Im Februar 2020 riet er etwa davon ab, “jeden Tag mit einem Mundschutz herumzulaufen, denn das schädigt eher die Haut um den Mund herum”.
Ob Streecks jetzige Forderungen realistisch sind, wird vor allem von der Frage abhängen, ob die Verantwortlichen dafür die entsprechenden finanziellen Mittel aufstocken. Genau dies ist Streecks Problem: Als Suchtbeauftragter kann er zwar öffentlichkeitswirksam Forderungen aufstellen, wirklichen Gestaltungsspielraum hat er jedoch kaum.
So fällt seine Antwort auf die Nachfrage nach der Finanzierung auch weitaus zurückhaltender aus als der Rest seiner Ausführungen: „Ich kann nicht sagen, ob mehr Gelder zur Verfügung stehen werden. Überall wird gekürzt.“ In allen Ministerien würden Stellen eingespart, doch sei Prävention „ein Bereich, wo wir wirklich vorsichtig sein sollten zu kürzen.“
Wenig Besserung ist auch in einem anderen Bereich zu erwarten: Den 2137 Toten durch illegale Drogen stehen 74.000 jährliche Alkoholtote gegenüber. Zwar möchte sich Streeck für die Abschaffung des „begleiteten Trinkens“ einsetzen, also das Recht Jugendlicher, im Beisein ihrer Eltern bereits mit 14 Jahren Alkohol zu konsumieren.
Für weitergehende Reformen will er aber nicht werben. Für ein Hochsetzen des derzeitigen Mindestalters von 16 Jahren etwa bräuchte es erstmal Mehrheiten, sagt Streeck am Montag. Bei anderer Gelegenheit hatte er bereits erklärt, er sei kein Freund von Verboten oder Verteuerungen.
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