zum Hauptinhalt
Victoria Nuland, Staatssekretärin für Europa im US State Department

© reuters

Nulands "Fuck the EU": Zeichen der Ratlosigkeit

Nach außen geben sie sich harmonisch, doch intern reden Diplomaten in Europa und Amerika eine andere Sprache. Was verrät der Telefon-Mitschnitt?

Auf den ersten Blick ist es das nächste Beispiel für die Arroganz im Umgang der USA mit ihren europäischen Verbündeten. Am Mittwoch tauchte auf der Internetplattform Youtube der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Victoria Nuland, Staatssekretärin für Europa im US State Department, und dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, auf. Die beiden unterhielten sich – nach dem Gesprächskontext zu urteilen: rund zehn Tagen zuvor – über die schwierige Lage in der Ukraine und wer dort als Vermittler dem russischen Druck Paroli bieten könne. Die beiden Amerikaner favorisierten zu diesem Zeitpunkt die Vereinten Nationen.

„Die Uno könnte eine große Hilfe sein, um eine Einigung“ zwischen Präsident und Opposition in der Ukraine „wasserdicht zu machen.“ Über die EU sagte Nuland in beiläufigem Ton: „You know, fuck the EU.“

Wofür steht der Mitschnitt?

Wie bitte? So abfällig reden amerikanische Offizielle schon wieder über Europa – nach dem enormen Schaden durch die NSA-Abhöraffäre? Als das Zitat am Donnerstag die Runde machte, entschuldigte sich Nuland. Wirtz sagte: „Es hat jedenfalls einen Kontakt ins Kanzleramt gegeben.“ Nuland selbst verweigerte in Kiew jeden Kommentar. „Das war eine private, diplomatische Unterhaltung“, sagte sie über ihr mitgeschnittenes Telefonat mit Pyatt. In Brüssel ist das Zitat Stadtgespräch. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte das Abhören durch Geheimdienste scharf. „Das Gefährliche ist, dass wir ja jeden Tag erneut sehen, dass es nichts mehr in dieser digitalisierten Welt der Geheimdienste gibt, das man noch als geschützt betrachten kann“, sagte der SPD-Politiker.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Auf den zweiten Blick scheint sich das Bild, wer hier die Bösewichter sind, seit Freitag zu drehen. Automatisch stellen sich Fragen: Wer hat das Telefongespräch abgehört und mitgeschnitten? Und wer auf Youtube hochgeladen? Das Video trägt in kyrillischer Schrift den Titel „Die Marionetten des Maidan“. Der Wortwechsel zwischen Nuland und Pyatt wird auf eingeblendeten Untertiteln ins Russische übersetzt. Dmitrij Loskutow, ein Berater des russischen Vize-Premiers Dmitrij Rogosin, verbreitete den Inhalt via Kurznachrichtendienst Twitter. Loskutow schrieb auf die Frage, ob Russland eine Rolle gespielt habe: „Die Verbreitung begann schon früher.“ Auf nochmalige Nachfrage antwortete er: „Wie soll ich das wissen. Ich habe nur das Internet beobachtet (...).“ „Allein die Tatsache, dass ich reagiert habe, wird genutzt, um Russland die Schuld zu geben“, schrieb Loskutow weiter. Er legte auch Wert darauf, dass er auf Twitter sein Privatprofil benutzt habe.

Präsident Obamas Pressesprecher Jay Carney warf Russland noch in der Nacht zu Freitag vor, das Telefonat abgehört zu haben und nun zu versuchen, einen Keil zwischen Amerika und Europa bei ihrem Umgang mit den Protesten in der Ukraine treiben zu wollen.

Wegen des Nuland-Videos zog ein weiteres Video über ein abgehörtes Telefonat Aufmerksamkeit auf sich: diesmal zwischen der stellvertretenden Außenbeauftragten der EU, Helga Schmid, und dem EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski. Darin kritisiert die deutsche Diplomatin die USA: „Die Amerikaner gehen rum und erzählen, dass wir zu weich sind, während sie stärker sind, und auf Sanktionen drängen.“ Das sei unfair, die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton werde das gegenüber US-Außenminister John Kerry ansprechen. Dieser Mitschnitt trug in Russisch den Titel „Wie sie die Ukraine spalten“. Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton betonte: „Wir kommentieren durchgesickerte angebliche Telefongespräche nicht.“

Welche Rolle spielt Russland?

In der neuen Affäre zeigen sich gleich mehrere Blößen des Westens. Offenbar sind die Telefone hoher Vertreter der USA – wie auch der EU – noch immer nicht gegen Abhören geschützt. Zweitens ist die Stimmung gereizt. Sie tun sich schwer, zu einer gemeinsamen Ukraine- Strategie zu finden.

Dennoch prognostizierten diplomatische Kreise am Freitag, dass die beiden Videos am Ende den Russen weit mehr als den Amerikanern schaden werden. Hier zeige sich, zu welchen Methoden Russland im Ringen um die Ukraine greife. Moskau bemühe sich, es so darzustellen, als diktierten Amerika und Europa den Ukrainern, welchen Weg sie gehen sollen – und wann welche Vertreter der Opposition in die Regierung eintreten sollen. Die proeuropäischen Demonstranten auf dem Maidan werden zum Teil als naive „Marionetten“ denunziert, zum Teil als gefährliche Antisemiten, Nazis und Volksverhetzer.

Zwischen Russland und der EU herrscht eine "Ungleichheit der Waffen"

Diese „Ungleichheit der politischen Waffen“ war bereits ein Hauptthema in den nicht öffentlichen Gesprächen bei der Sicherheitskonferenz in München gewesen. Deutsche, andere Europäer und Amerikaner glauben, dass die Russen in diesem Machtkampf vor kaum einem Mittel zurückschrecken. Wladimir Putin halte Präsident Janukowitsch für einen „Mann ohne Eier“, einen Schwächling, der sich nicht einmal traue, die Protestbewegung gewaltsam niederzuschlagen, war eine gängige Analyse. Da Putin nicht sicher sein könne, ob auf die Loyalität ukrainischer Kräfte Verlass sei und sie auf ukrainische Bürger schießen werden, sei er willens, die berüchtigten russischen Spezialeinheiten OMON in ukrainische Uniformen zu stecken, damit die nach dem Ende der Olympischen Spiele die Proteste niederschlagen und die Ukraine in brüderlicher Hilfe in die Eurasische Wirtschaftsunion holen.

Auch bei den weniger handgreiflichen Methoden – Wahlfälschung, Erpressung mit „Kompromat“, wie man in Russland die vom Geheimdienst gesammelten oder fingierten Belastungsbeweise nennt – könne und wolle es die EU nicht mit Russland aufnehmen.

Wie soll es nun mit der Ukraine-Strategie des Westens weitergehen?

Das Nuland-Zitat „Fuck the EU“ steht für diese Ratlosigkeit. Im Kontext des Gesprächs muss es nicht unbedingt eine Verwünschung sein, es kann es auch anders gedeutet werden; sie sagt es ganz ruhig, nicht ärgerlich oder mit erhobener Stimme. Heißen soll das: „Vergesst die EU!“ Die könne es an Härte mit Russland nicht aufnehmen. Ähnliche Bewertungen fallen nach Angaben von Insidern fast täglich in den Beratungen der EU und im Auswärtigen Amt, welcher Institution man die Vermittlung in der Ukraine übertragen solle, damit Blutvergießen vermieden wird. „Vergesst die Uno“, auch von der sei nicht viel zu erwarten, urteilen deutsche Diplomaten.

In Berlin favorisiert man seit München die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die EU werde als Partei betrachtet, nicht als neutraler Vermittler in der Ukraine. In der OSZE sind sowohl Russland als auch die EU Mitglieder. Sie habe mit ihrem Vorsitzenden, dem Schweizer Bundesrat Didier Burkhalter, eine Persönlichkeit vom nötigen Format. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false