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Andrea Nahles, Bundesvorsitzende der SPD, ist in ihrer Partei zunehmend umstritten.

© Carsten Koall/dpa

Wenn keiner Deinen Job will: Planspiele über Nahles-Nachfolge laufen ins Leere

Andrea Nahles verliert in der SPD an Rückhalt – doch die Konkurrenz ist überschaubar. Der Parteivorsitz ist zum Himmelfahrtskommando geworden.

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Die Spargelfahrt des Seeheimer Kreises über die Seen der Berliner Umgebung lädt stets zu Wortspielen aller Art ein. Mal ist vom sinkendem Schiff SPD die Rede, mal vom heimlichen Steuermann Olaf Scholz, der von Andrea Nahles längst das Kommando übernommen habe. Am 4. Juni ist es wieder so weit, wenn die konservative Strömung in der SPD-Bundestagsfraktion, der Seeheimer Kreis, mit der MS Havel Queen ablegt, um mit rund 400 Gästen über den Wannsee zu schippern und meist mäßig gut gekochten Spargel zu verspeisen.

Wenn es kommenden Sonntag nicht ganz dramatisch ausgeht, also die 15-Prozent-Marke bei der Europawahl deutlich überschritten wird und die CDU in der roten Hochburg Bremen die SPD nicht vollständig abhängt, dürfte auch Andreas Nahles mit an Bord der MS Havel Queen sein. Aber ihr Schiff befindet sich bereits vorher in schwerer See. Schon jetzt ist die Fraktions- und Parteichefin Gegenstand vieler Krisengespräche in der SPD. Ihr politisches Schicksal dürfte weniger an Brüssel oder Bremen hängen, sondern vielmehr an Brandenburg. Dort und in Sachsen wird am 1. September gewählt. Wenn die SPD in Brandenburg die Macht verliert, könnten die Dämme brechen.

Denn ebenfalls im September steht turnusmäßig die Neuwahl der Fraktionsspitze an – und dann könnte es wie bei Volker Kauder in der Unions-Fraktion, der von Ralph Brinkhaus gestürzt wurde, Gegenkandidaten geben.

Miersch ist keiner, der offen den Konflikt sucht

Von den Seeheimern über die Netzwerker bis zur Parlamentarischen Linken verliere Nahles in der Fraktion an Rückhalt, heißt es. Es wird darauf verwiesen, welchen Einfluss unter den 152 SPD-Abgeordneten insbesondere die Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit insgesamt 62 Abgeordneten haben. Ein Name, der nun immer häufiger fällt, ist der von Matthias Miersch. Er ist Sprecher der Parlamentarischen Linken, kommt aus Niedersachsen und wäre schon bei der Bildung der großen Koalition fast Umweltminister geworden.

Wenn sich die SPD aufs Wasser wagt: Anfang Juni lädt der "Seeheimer Kreis" wieder auf den Ausflugsdampfer "Havel Queen" - Gelegenheit, sich selbst zu inszenieren.
Wenn sich die SPD aufs Wasser wagt: Anfang Juni lädt der "Seeheimer Kreis" wieder auf den Ausflugsdampfer "Havel Queen" - Gelegenheit, sich selbst zu inszenieren.

© Kay Nietfeld/picture alliance / dpa

Miersch gilt als Mann des Ausgleichs, nicht als intriganter Strippenzieher. Der 50-jährige Rechtsanwalt könnte als Kompromisskandidat Chancen haben, heißt es. „Der hat das drauf“, sagt ein Abgeordneter im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er könne Brücken bauen, sei kein Ideologe und rhetorisch beschlagen.

Aber er ist keiner, der offen den Konflikt sucht. Im Dezember 2017 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion gewählt, ist zuständig vor allem für die Themen Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie Energie, aber auch Ernährung und Landwirtschaft sowie Tourismus. Miersch ist überzeugt, dass die Sozialdemokratie ohne starke ökologische Akzente keine Zukunft hat. Allerdings ist der Chef des mitgliederstarken SPD-Unterbezirks Region Hannover durchaus zu pragmatischem Handeln fähig: Medien-Anfragen zum Thema VW-Skandal ließ der Umweltpolitiker auf dem Höhepunkt des Skandals mehrfach unbeantwortet – wohl aus Rücksicht darauf, dass der Konzern in seinem Heimatland Niedersachsen der wichtigste Arbeitgeber ist.

Wie nervös die Stimmung im Nahles-Lager ist, zeigt die Tatsache, dass Versuche abgeblockt wurden, eine Sonderfraktionssitzung nach der Europa- und Bremen-Wahl anzusetzen. Solche Sitzungen können eine Eigendynamik entwickeln.

Doch ein "Weiter so" wird Nahles nicht mehr lange durchhalten können, zu wenig bewegt sich nach oben, zu groß ist bei vielen die Sorge um den Zustand der ältesten demokratischen Partei Deutschlands. Und viele Abgeordnete könnten nach der nächsten Wahl ihr Mandat verlieren.

Nahles sei kaum vermittelbar

Wenn es um eine Alternative zu Nahles geht, wurde zunächst öfter der Chef der NRW-Landesgruppe, Achim Post, genannt, er gilt aber aktuell als nicht besonders chancenreich. So bezeichnet ein Bundestagsabgeordneter mit Einfluss die Spekulationen als "absoluten Quatsch", wonach Post genug Truppen hinter sich versammeln könnte, um Nahles an der Fraktionsspitze zu beerben. Wer immer das gestreut hat, Post dürfte es geschadet haben. Gerne wieder mehr Einfluss hätte Ex-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz, ebenfalls aus NRW, aber auch er gilt als nicht sehr chancenreich.

Offen ist, ob zum Beispiel die konservativen Seeheimer Miersch, einen Befürworter rot-rot-grüner Planspiele, wählen würden. Aber die Konkurrenz scheint momentan überschaubar, falls es im Herbst zur Entscheidung käme. Auf einen Wechsel in der Bundestagsfraktion konzentrieren sich derzeit die Überlegungen, da es unter den Abgeordneten besonders brodelt.

Sie bekommen in den Wahlkreisen zu hören, dass die Politik ja ganz okay sei, aber Nahles sei mit ihren Auftritten kaum vermittelbar. Ausgeschlossen scheint, so sagen es Abgeordnete unisono, dass Nahles, die lange auf Partei- und Fraktionsvorsitz hingearbeitet hat, ein Amt freiwillig abgibt. Für einen möglichen Wechsel an der Parteispitze gibt es aber ohnehin kaum Ideen oder Ambitionen, das einst "schönste Amt neben Papst" (Franz Müntefering) ist zum Himmelfahrtskommando geworden.

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