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Roman Abramowitsch am Dienstag in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten Erdogan und Außenminister Cavusoglu.

© IMAGO/ITAR-TASS

Putin-Handlanger oder Ukraine-Anwalt?: Die zwei Gesichter des Roman Abramowitsch

Der Oligarch Roman Abramowitsch hat einen engen Draht zu Putin, vermittelt im Ukraine-Krieg – und war möglicherweise Ziel eines Giftanschlages

Lächelnd steht er am Dienstagmorgen in Istanbul beim einem Gespräch neben dem türkischen Präsidenten Erdogan und dessen Außenminister. So ist es auf Agenturfotos zu sehen, die den russischen Milliardär Roman Abramowitsch im Dolmabahce-Palast zeigen, in dem die Türkei Staatsgäste empfängt.

Auf anderen Aufnahmen ist Abramowitsch an einem mit Blumen geschmückten Tisch zu sehen, neben sich russische und ukrainische Vertreter, die jetzt erneut zu Friedensgesprächen in die Türkei gereist sind. Offiziell gehört Abramowitsch nicht zur russischen Delegation, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Der Milliardär sei aber an den Verhandlungen beteiligt.

Der Oligarch spielt offenbar bereits seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine eine bedeutsame, wenn auch teilweise mysteriöse Rolle im Bemühen um ein Ende des Krieges. Und er hatte in den vergangenen Wochen einige persönliche Dramen zu verkraften, inklusive eines möglichen Giftanschlages.

Ein Tag vor knapp drei Wochen wird wohl einer der wegweisendsten im Leben von Roman Abramowitsch bleiben. Am 10. März konfisziert der britische Staat das Vermögen des russischen Oligarchen in Großbritannien. Damit gilt er praktisch als unerwünschte Person. Was ihn dabei am heftigsten trifft: Er muss den Fußballklub FC Chelsea nach fast 20 Jahren aufgeben. Der Verkauf des Champions-League-Siegers soll laut einem Bericht der „Times“ vom Dienstag im April über die Bühne gehen.

Im Stadion: Roman Abramowitsch auf einem Bild aus friedlicheren Tagen.
Im Stadion: Roman Abramowitsch auf einem Bild aus friedlicheren Tagen.

© Martin Meissner/AP/dpa

Abramowitsch selbst befand sich an jenem Donnerstag vor drei Wochen schon einmal in Istanbul. Dort traf er sich mit einem der ukrainischen Teilnehmer an den Friedensverhandlungen mit Russland. Und er überbrachte eine Botschaft von Wladimir Putin.

Mit dem russischen Präsidenten hatte sich der Oligarch tags zuvor in Moskau getroffen, um ihm eine handgeschriebene Notiz des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu überreichen, schreibt die britische „Times“. Diese Notizen sollen die ursprünglichen Bedingungen der Ukraine beinhaltet haben, um den Krieg zu beenden. Putins Botschaft, die Abramowitsch mit nach Istanbul nehmen sollte, lautete: „Sag ihm, ich werde sie vernichten.“

Der Mann, dem Abramowitsch die Botschaft Putins übergibt und mit dem er die festgefahrene Lage bespricht, ist Rustem Umerow. Er ist Mitglied des ukrainischen Parlaments und eine der wenigen Personen, die Selenskyj mit der Mission beauftragt hat, Frieden mit Russland zu schließen. Was genau Abramowitsch und Umerow in Istanbul besprechen, wird nicht bekannt. Klar ist nur: Seit der niederschmetternden Antwort Putins kamen sich die Verhandlungsparteien ein bisschen näher.

Dass Abramowitsch ausgerechnet Umerow trifft, ist dabei kein Zufall: Dieser zählt zu den Krimtataren, einer ursprünglich auf der von Russland annektierten Halbinsel lebende turksprachigen Ethnie. Umerow, ein ehemaliger Geschäftsmann, spricht Türkisch und Russisch.

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Wie nun mehrere Medien berichten, soll Abramowitsch auch schon einige Tage zuvor – nämlich am 3. und 4. März – zusammen mit Vertretern der ukrainischen Seite an Verhandlungen in Kiew teilgenommen haben.

Dabei sollen Abramowitsch und zwei Ukrainer von russischer Seite durch „chemische Waffen“ vergiftet worden sein. Die Berichte des „Wall Street Journal“, des Investigativ-Portals „Bellingcat“ und eines Journalisten des „Guardian“ bestätigte Abramowitschs Sprecher inzwischen.

Sie hätten über rote und tränende Augen berichtet, außerdem habe sich die Haut an Gesicht und Händen gepellt, berichtet das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Verhandlungskreise. Hardliner in Moskau hätten einen Erfolg der Friedensverhandlungen verhindern wollen, heißt es.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Oligarch Roman Abramowitsch, 2005
Russlands Präsident Wladimir Putin und Oligarch Roman Abramowitsch, 2005

© Reuters

In der Vergangenheit hat es wiederholt Giftanschläge gegen Russen gegeben, hinter denen staatliche Drahtzieher aus dem Umfeld von Putin steckten oder vermutet wurden – unter anderem beim misslungenen Mordanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny im Jahr 2020, zu dem sich nach dessen Angaben später ein Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB bekannt hat.

Zwei Jahre zuvor überlebten der ehemalige russische Spion Sergej Skripal und seine Tochter in England nur knapp einen Giftanschlag – hier waren zwei Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes die Verdächtigen. Und 2004 überlebte der damalige prowestlichen Oppositionsführer der Ukraine und spätere Präsident Viktor Juschtschenko nur knapp einen Dioxinanschlag,der ihn schwer entstellte – auch hier wird vermutet, dass Moskau dahintersteckte.

Ukrainische Teilnehmer haben die Meldungen von Abramowitschs Vergiftung bislang allerdings dementiert. Alle Mitglieder der Verhandlungsgruppen arbeiteten normal, sagte der ukrainische Unterhändler Mychajlo Podoljak örtlichen Medien zufolge. „Es gibt gerade viele Spekulationen, unterschiedliche Verschwörungsversionen und Elemente des einen oder anderen Informationsspiels.“.

Rustem Umerow teilte am Montag – ohne sich direkt auf die Meldungen zu beziehen – lediglich mit: „Mir geht's gut.“ Das sei seine Antwort auf die Meldungen der Boulevard-Presse, schreibt er weiter. „Bitte vertrauen Sie keinen unbestätigten Informationen. Wir haben auch einen Informationskrieg.“

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Auch der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow wies die Medienberichte, wonach Abramowitsch vergiftet worden sei, am Dienstag als „Lüge im Informationskrieg“ zurück. Vertreter der US-Regierung äußerten ebenfalls Zweifel an den Berichten. Geheimdienstinformationen deuteten mit großer Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass es sich um Umwelteinflüsse gehandelt hat, also nicht um Vergiftung, sagte ein US-Vertreter am Montag. Zu Details wollte er sich nicht äußern.

Von den „Bellingcat“-Rechercheuren befragte Fachleute vermuten, dass die eher geringe Schwere der Symptome dafür spricht, dass es in diesem Fall nicht darum ging, die Opfer dauerhaft zu schädigen oder umzubringen, sondern möglicherweise einzuschüchtern.

Nicht nur aufgrund der mutmaßlichen Vergiftung stellt sich die Frage: Aus welchen Beweggründen nimmt Abramowitsch an den Verhandlungen, die offenbar nicht ganz ungefährlich sind, teil? Als Putins Handlanger oder Anwalt der Ukraine? Oder gar beides?

Immerhin verliefen seine Reisen bereits vor dem nun berichteten Vorfall nicht ganz problemlos: Weil der Privatjet Abramowitschs aufgrund der Sanktionen gegen ihn nicht im europäischen Luftraum verkehren darf, muss er ein Flugzeug nutzen, das in der Türkei registriert ist.

Politexperten vermuteten zunächst, dass Abramowitsch die inoffizielle Verhandlungsposition aus Eigeninteresse einnimmt. Schließlich ist er in der Europäischen Union und auch Großbritannien nicht mehr gewollt. Ihm wird eine enge Verbindung zu Putin nachgesagt, von dem die russischen Oligarchen – und somit auch er – in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten finanziell profitiert haben sollen.

Der Reichtum Abramowitschs soll unter anderem auf privatisierte Staatsunternehmen zurückzuführen sein, die er günstig kaufte und mit deutlichem Gewinn wieder verkaufte. So beispielsweise den Ölkonzern Sibneft.

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Für Abramowitsch bedeuten die Sanktionen vor allen Dingen, dass er sich vom englischen Fußball-Klub FC Chelsea verabschieden muss, den er seit 2003 besitzt. Der Klub gehört derzeit zu den besten der Welt – und wir nun mehr oder weniger verstaatlicht. Er hatte angeboten, die Einnahmen bei einem möglichen Verkauf an Kriegsopfer zu spenden. Doch daraus wird nichts. Abramowitsch wird es aufgrund der Sanktionen nun nicht mehr möglich sein, durch den Verein an Geld zu kommen.

Ohne Geld aus dem Ausland droht Abramowitsch und vielen weiteren Oligarchen, wieder abhängiger von Putin zu werden. Um sich von dieser Abhängigkeit zu lösen, ließen sich einige von ihnen in der Türkei nieder, wo sie sich die Staatsangehörigkeit mit 250.000 Dollar erkaufen können. Abramowitsch hat dies bislang nicht gemacht, parkt seine beiden Yachten aber im türkischen Hafen von Bodrum. Will er durch seine Position also mögliche Sanktionen umgehen?

Die Luxusjacht "Eclipse" soll dem russischen Oligarchen Abramowitsch gehören.
Die Luxusjacht "Eclipse" soll dem russischen Oligarchen Abramowitsch gehören.

© -/IHA/AP/dpa

Schließlich haben Russland und die Türkei ein ambivalentes Verhältnis. Auf der einen Seite pflegen die Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Putin einen recht engen Kontakt. Eine 2020 in Betrieb gegangene Gaspipeline verstärkte die Abhängigkeit der Türkei. Auf der anderen Seite schlug sich die Türkei im Krieg auf die ukrainische Seite, schickte unter anderem Kampfdrohnen. Allerdings gilt es als wahrscheinlich, dass die Türkei eben aufgrund der Abhängigkeit auf Sanktionen verzichtet – eine gute Nachricht für Oligarchen wie Abramowitsch.

Eine gute Nachricht ist es allerdings eben auch für Putin, zu dem der Oligarch unbestrittene Verbindungen hat. Als dieser 1999 Präsident wurde, war Abramowitsch zwar bereits eine große Nummer in Russland. Den Aufstieg verdankt er mutmaßlich Putins Vorgänger Boris Jelzin. Später soll Abramowitsch dann Putin in seinen Anfangsjahren finanziell unterstützt haben, unter anderem bei der Gründung von dessen Partei „Einiges Russland“.

Zum Bruch zwischen Abramowitsch und Putin kam es nie

Als Putin den russischen Oligarchen im Jahr darauf verbot, sich in die Politik einzumischen und sich stattdessen dem System Putin unterzuordnen, ordnete Abramowitsch sich unter. Er kaufte den FC Chelsea auch deshalb, um sich ein Geschäft außerhalb dieses Systems aufzubauen und unabhängiger von Putin zu sein. Zum Bruch zwischen den beiden kam es deshalb offenbar nie.

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Neben dem FC Chelsea investierte Abramowitsch auch in großem Stil in den multinationalen Stahlkonzern Evraz, der an der britischen Börse gelistet ist. Dieser produziert unter anderem in den USA, in Kanada – und in Russland. Auch aufgrund dieser Investitionen wurde er in Großbritannien sanktioniert. Denn: Evraz wird vorgeworfen, Stahl für die Aufrüstung des russischen Militärs geliefert zu haben, auch um Panzer zu bauen. Das würde bedeuten, dass das Unternehmen den russischen Angriffskrieg unterstützt. Das Unternehmen bestreitet das.

Dass Abramowitsch Putin nach 1999 aktiv unterstützt hat, lässt sich nicht belegen. Es scheint so, als ob der Oligarch einfach seine Füße stillhielt und weiter profitierte. In der Erklärung für die britischen Sanktionen heißt es unter anderem weiter, dass Putin Abramowitsch ermöglichte, Aktien zu besseren Kursen zu kaufen und zu verkaufen. Er soll sich auch mit den Verträgen rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 bereichert haben.

Abramowitschs Mutter ist in der Ukraine geboren

Dafür, dass es Abramowitsch mit seinen diplomatischen Bemühungen ernst meint, spricht hingegen sein familiärer Hintergrund: Seine Mutter wurde in der Ukraine geboren. Außerdem sprach sich seine Tochter bereits öffentlich gegen den Krieg aus. Abramowitsch tat dies nicht direkt – allerdings soll er angeboten haben, die ukrainische Armee finanziell zu unterstützen, sagte der ukrainische Präsident Selenskyj kürzlich in einem Interview mit Journalisten mehrerer Medien.

Abramowitsch und weitere russische Oligarchen wollen demnach außerdem dabei helfen, die teils zerstörte Ukraine wiederaufzubauen und erwägen, ihr Geschäft in das Land zu verlegen. Selenskyj wiederum will jedem russische Geschäftsmann, der sich dazu durchringt, Sicherheit und Arbeit garantieren.

Selenskyj soll darüber hinaus US-Präsident Joe Biden dem „Wall Street Journal“ zufolge bereits gebeten haben, Abramowitsch vorerst nicht zu sanktionieren. Der Hintergrund: Es soll bereits eine Liste mit vorbereiteten Sanktionen gegen russische Oligarchen geben.

Den Krieg befürwortet Abramowitsch demnach offensichtlich nicht – so sind seine Spendenbereitschaft und mutmaßliche Unterstützung für die Ukraine zu verstehen. Andererseits scheint sein Draht zu Putin, ob des Treffens in Moskau, weiterhin intakt zu sein. Vielleicht nutzt er diesen Draht, um der Ukraine zu helfen – vielleicht lässt er sich aber auch nur von Putin einspannen.

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