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Politik: Rein kommt nur, wer auch wieder geht

Erstmals gibt es Daten über die Visavergabe in deutschen Konsulaten – abgelehnt werden vor allem Türken und Afrikaner

Berlin - Die Bundesregierung hat zum ersten Mal ihre Ablehnungsquoten von Visumsanträgen für verschiedene Länder offengelegt. Wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervorgeht, wird im weltweiten Durchschnitt jeder zehnte Antrag auf ein Visum von einem deutschen Konsulat abgelehnt. Bei den einzelnen Ländern fallen jedoch große Unterschiede auf: So liegt die Ablehnungsquote im afrikanischen Senegal bei 60 Prozent, in Nigeria und Guinea bei über 50 Prozent, in Kongo und Ghana bei rund 40 Prozent. Aus Syrien wird jeder Dritte abgelehnt. Die mit Abstand meisten Visumsanträge gingen aus der Türkei ein. Hier erhielten im vergangenen Jahr rund 25 000 Antragsteller ein Schreiben, in dem es hieß: „Kein Visum erteilt“. Das ist doppelt so häufig wie im Durchschnitt.

Hauptkriterium für eine Ablehnung ist die Frage, ob aus Sicht der Konsulatsmitarbeiter die „Rückkehrbereitschaft“ des Reisewilligen hinlänglich bewiesen wird. Dafür gibt es allerdings keinen eindeutigen Kriterienkatalog. „Das wird in jedem Fall individuell geprüft“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Kritiker legen diesen Ermessensspielraum, der bisweilen absurde Züge annimmt, als Willkür aus.

Necile Hanim stöhnt noch heute, wenn sie an die Strapazen des letzten Sommers denkt. „Nie wieder Kulturaustausch mit Deutschland“, sagt die Vorsitzende des Istanbuler Bezirksvereins Cihangir. Im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Berlin-Mitte und dem Istanbuler Stadtteil sollten 25 Künstler aus der Türkei nach Deutschland kommen, darunter Maler, Musiker, Filmleute, Schauspieler und Schriftsteller. Doch die Begegnung wäre fast an der deutschen Bürokratie gescheitert. „Einige wussten bis zum letzten Tag nicht, ob sie mitfliegen können“, berichtet Necile Hanim. Dabei hätten viele der Künstler bereits in den USA studiert, Ausstellungen in Ländern wie Japan gemacht. Vom deutschen Konsulat seien die Künstler „wie illegale Arbeitsflüchtlinge“ behandelt worden, sagt Necile Hanim. Auch Einwanderer in Deutschland, die ihre Verwandten aus dem Ausland – etwa zu ihrer Hochzeit – einladen wollen, empfinden die strenge deutsche Visapolitik oft als Schikane.

Wegen der Reisefreizügigkeit nach dem Schengen-Abkommen streben EU-Länder eine einheitliche europäische Visapolitik mit gemeinsamen rechtlichen Bestimmungen an. Bis 2011 sollen alle Schengen-Staaten ihr Verfahren nach den Vorgaben des sogenannten Visakodex gestalten. Deutschland hat bereits jetzt einige Punkte umgesetzt: Seit April erhalten Antragsteller ein standardisiertes Formular, auf dem die „maßgeblichen Gründe“ für die Ablehnung angekreuzt werden. Bisher gab es darüber keinerlei Auskunft. Nicht geklärt wird im Visakodex weiterhin die Frage, wie die Rückkehrbereitschaft belegt werden soll. Die wichtigsten Kriterien für die deutschen Auslandsvertretungen lauten bislang „familiäre und wirtschaftliche Verwurzelung“ in der Heimat. Vor allem ledige Studenten, Künstler oder Rentner haben also weiterhin schlechte Karten. Deshalb fordern Politiker ein Umdenken in der deutschen Visapolitik.

„Menschen ohne feste Einkünfte wird hier pauschal eine mangelnde Rückkehrbereitschaft unterstellt“, kritisiert Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. „Vor allem in Fällen, in denen persönliche Einladungen und Verpflichtungserklärungen vorliegen, sollte grundsätzlich von einer Rückkehrbereitschaft der Eingeladenen ausgegangen werden.“ Mit sogenannten Verpflichtungserklärungen können Gastgeber gegen eine Gebühr von 25 Euro unterschreiben, dass sie die Rückführungskosten übernehmen, falls ihr Gast das Land nicht freiwillig verlässt. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir fordert, die Praxis der Prüfung der Rückkehrbereitschaft „grundsätzlich zu überdenken“. Sie stoße derzeit zivilgesellschaftliche Multiplikatoren aus dem Ausland und Verwandte in Deutschland vor den Kopf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich im März während eines deutsch-türkischen Wirtschaftsforums für leichter zugängliche Visa für Türken aus. Denkbar sei eine erleichtere Vergabe für Wirtschaftsvertreter, Studenten und Künstler, sagte Merkel. Voraussetzung sei jedoch, dass die Türkei ein Rückführungsabkommen unterzeichnet. Würde sie das tun, müsste sie allerdings nicht nur illegal nach Deutschland eingewanderte Türken, sondern auch Flüchtlinge aus Krisengebieten im Nahen Osten oder Bootsflüchtlinge aus Afrika auf eigene Kosten zurückholen, wenn sie über die Türkei eingereist sind. Bislang weigert sich die Türkei, das zu unterzeichnen.

Ferda Ataman

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