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Eine Hand mit Tütchen voller Heroin.

© Getty Images/Rattankun Thongbun

Risikofaktor Politik: „Die Abgeordnetentätigkeit gehört mit zu den stressigsten Berufen“

Der SPD-Politiker Manuel Gava räumt ein, regelmäßig Kokain konsumiert zu haben. Er kandidiert nicht wieder für den Bundestag. Ein Stressforscher warnt vor zu hoher Belastung für Abgeordnete.

Stand:

Der 33-jährige SPD-Bundestagsabgeordnete Manuel Gava wird bei der Bundestagswahl nicht mehr für den Bundestag kandidieren, obwohl er diesem erst seit 2021 angehört. Dem Tagesspiegel gegenüber räumte der Osnabrücker ein, regelmäßig Kokain konsumiert zu haben. Er habe dem Druck im Berliner Politikbetrieb und privaten Problemen entfliehen wollen, führte Gava aus. „Ich habe Scheiße gebaut.“

Der Fall des jungen Abgeordneten beschäftigte auch die Führungsgremien der SPD. Bundesfraktionschef Rolf Mützenich sprach am Dienstag in einem Statement vor der Fraktionssitzung von einer „wirklich sehr schwierigen menschlichen Situation eines Kollegen“, von den Problemen sei ihm zuvor nichts bekannt gewesen. „Ich bedauere das sehr und ich hoffe, dass dieses Schicksal nicht zu einer Tragödie wird.“ Die SPD würde Gava „nach allen Kräften“ unterstützen, der Abgeordnete müsse sich allerdings auch rechtlichen Maßnahmen stellen, sollte es solche geben.

Ich bedauere das sehr und ich hoffe, dass dieses Schicksal nicht zu einer Tragödie wird.

Rolf Mützenich, Bundesfraktionschef SPD

Gava dürfte nicht der einzige Abgeordnete im Bundestag sein, der regelmäßig oder gelegentlich zu illegalen Drogen greift. Laut offiziellen Statistiken kommen mehr als fünf Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens mit illegalen Drogen in Kontakt, der Bundestag dürfte einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Vor mehr als 20 Jahren wurde der Bundestag von einer „Kokain-Affäre“ erschüttert. Ein TV-Sender berichtete damals, in 22 von 28 Toiletten des Reichstages seien bei Proben Reste des weißen Pulvers nachgewiesen worden.

Kokain gehört zu den am meisten konsumierten illegalen Drogen.

© dpa/Christian Charisius

Kokain gehört zu den am meisten konsumierten illegalen Substanzen in Deutschland, hinzu kommt ein hoher Konsum legaler Drogen wie Alkohol oder Cannabis. Gelegentlich sorgen bislang eher kleinere Drogenaffären von Abgeordneten für Schlagzeilen. Prominenteste Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die früheren Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) und Michael Hartmann (SPD), die – im Jahr 2016 und 2014 – mit geringen Mengen Crystal Meth in Verbindung gebracht wurden. Beide ehemaligen Politiker sind nicht vorbestraft, nach Zahlungen von Geldauflagen wurden die Verfahren gegen sie eingestellt.

Gefühl der Verlorenheit

Während sich Beck zu der Angelegenheit nicht weiter äußern wollte, erklärte Hartmann später, er sei damals süchtig nach Arbeit gewesen. „Ich war durch und habe mir das nicht eingestanden“, wird der Ex-Politiker in dem Buch „Alleiner kannst du gar nicht sein: Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst“ aus dem Jahr 2020 zitiert (erschienen im dtv-Verlag). „Die Droge war ein Ventil, um das Gefühl von Verlorenheit auszuschalten.“ Sie sollte leistungsfähiger machen und eine Angst bekämpfen, die unter Abgeordneten offenbar weit verbreitet ist: Die Angst vor Versagen, vor Bedeutungsverlust, vor der Abwahl.

Angst ist das Hauptproblem vieler Abgeordneter.

Jan Korte, Abgeordneter Linskpartei

Die Autoren Horand Knaup und Peter Dausend widmen in ihrem 450 Seiten umfassenden Buch ein eigenes Kapitel den „Süchten und Ängsten“ im Berliner Politikbetrieb. Der Linken-Abgeordnete Jan Korte berichtet darin von einem Gefühl von Angst, das viele Politikerinnen und Politiker verspürten. „Kann ich bestehen? Kriege ich das hin? Angst ist das Hauptproblem vieler Abgeordneter“, sagt Korte in dem Buch.

Im Gegensatz zu Substanzen wie Crystal Meth oder Kokain, die – werden Abgeordnete in deren Besitz oder beim Konsum solcher ertappt – in der Regel zu einer Affäre führen, ist der Konsum von Alkohol gesellschaftlich akzeptiert. Obschon Alkoholsucht laut offizieller Statistik mit Abstand am meisten verbreitet ist und zu den häufigsten stationären Suchttherapien in Krankenhäusern führt.

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, Mitglied des Bundesvorstandes seiner Partei, spricht im Buch „Alleiner kannst du gar nicht sein“ über Gefahren, die ein Abgeordnetenmandat fernab der Heimat mit sich bringe. 2010 wurde Kubicki – damals war er Mitglied des Landtags von Schleswig-Holstein – gefragt, warum er nicht nach Berlin, ins Zentrum der politischen Macht, wechseln wolle. „Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock“, gibt der FDP-Politiker in dem Buch ziemlich freimütig zu Protokoll.

Risikofaktor „für Substanzmissbrauch“

Dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages, auch der Landesparlamente, einer hohen Belastung ausgesetzt sind, davon ist auch der Berliner Stressforscher und Psychiater Mazda Adli überzeugt. „Tatsächlich ist der Alltag von Bundestagsabgeordneten extrem stressig. Viele von ihnen haben Arbeitstage, die fast keine Pausen zulassen“, sagt Adli dem Tagesspiegel. Die Abgeordnetentätigkeit gehöre zu den „stressigsten Berufen“ überhaupt. „Das kann mitunter zum Risikofaktor für Substanzmissbrauch werden“, sagt Adli, ohne den Fall des SPD-Politikers Gava bewerten zu wollen.

Der Stressforscher sieht, nicht zuletzt durch die sozialen Medien, den Druck auf Politikerinnen und Politiker stetig wachsen. Der Leistungsdruck sei überdurchschnittlich hoch, zudem seien Abgeordnete permanent „öffentlicher Kritik und Anfeindungen“ ausgesetzt. „Das addiert sich zu erheblichem Stress.“ Zugleich sei die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit gegenüber von Abgeordneten sehr hoch.

„Viele tragen das Bild im Kopf von Politkern als unfehlbaren Personen. Begeht diese Person aber Fehler, werden Verfehlungen kaum nachgesehen“, gibt Adli zu bedenken. „Es gibt leider wenig Toleranz bei Gesundheitsproblemen von Politikern, gerade was psychische Probleme betreffen.“ Hier würden „Alkohol und Drogen dann manchmal zur ersehnten Entlastung. Und sind aber dabei eine zusätzliche erhebliche Gesundheitsbelastung.“

Stressforscher Adli berät in seinen Sprechstunden auch Abgeordnete dazu, wie diese mit Dauerstress am besten umgehen können. Er würde sich wünschen, „dass es ein größeres Verständnis und eine höhere Akzeptanz dafür gibt, dass auch Abgeordnete psychische Erkrankungen oder Krisen erleiden können.“

Politikerinnen und Politiker erfüllten eine wichtige Funktion für die Gesellschaft. „Wenn wir als Gesellschaft mehr Verständnis und Wertschätzung für die Arbeit von Abgeordneten aufbringen können“, schließt Adli, „wäre damit schon sehr viel von dieser Belastung und von diesem Druck genommen.“

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