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Vor dem Duell.

© ARD/ZDF/Claudius Pflug/Claudius Pflug

Sticheleien, Vorwürfe, ein Hauch von Loriot: So lief das erste TV-Duell zwischen Scholz und Merz

Olaf Scholz und Friedrich Merz diskutierten zur Primetime. Wo waren sich die beiden einig? Wo lagen die Unterschiede?

Stand:

Nach einer halben Stunde fällt schließlich doch noch ein Kraftwort. Die Schließung dreier Kernkraftwerke inmitten einer Energiekrise sei doch eine „Schnapsidee“ gewesen, sagt Friedrich Merz. Olaf Scholz nimmt es gelassen. Konfrontativer wird es dann auch erst einmal nicht.

Die Ausgangslage des Duells

Als das Duell am Sonntagabend um 20.15 Uhr beginnt, weiß Olaf Scholz, dass er dringend punkten muss. Um doch noch Kanzler zu bleiben, braucht es zwei Wochen vor der Wahl eine dramatische Trendwende. Am besten ein einschneidendes Ereignis: einen Lucky Punch des Kanzlers. Oder einen Patzer des Herausforderers von einer Dimension, dass sich zu Hause die Zuschauer Hände vor ihre Köpfe schlagen und denken: Gott sei Dank hat Angela Merkel diesen Mann damals ausgebootet.

Die Umgangsformen der Kontrahenten

Nach einem Patzer sieht es zunächst überhaupt nicht aus. Im Gegenteil: Die beiden Kontrahenten bleiben höflich, wahren die Form, lassen sich gegenseitig ausreden. Sticheleien klingen durchweg zivilisiert, nur gelegentlich wird es ein bisschen passiv-aggressiv.

Merz sagt etwa: „Lesen Sie es doch einfach mal im Grundgesetz nach, es steht da.“ Scholz sagt: „Ich finde, Sie reden drumherum.“ Merz sagt: „Die Bundesregierung hat ja nicht nichts getan.“ Scholz erwidert: „Danke auch. Das ist großzügig.”

Mitunter erinnert das TV-Duell eher an Loriots Badewannensketch als an ein Streitgespräch über Migrationspolitik.

Die Frage, die sich aufdrängte

Ernst wird es, als Moderatorin Maybrit Illner fragt, warum Friedrich Merz nicht noch vier Wochen gewartet hat mit seinem Vorpreschen in der Asylpolitik. Merz antwortet, auch hier, mit ruhiger Stimme, dass er es nach der Tat von Aschaffenburg mit seinem Gewissen nicht verantworten konnte, länger zu warten. Und wie sehr es ihn geschmerzt habe, dass Michel Friedman aus der CDU ausgetreten ist? Es habe hunderte von Neueintritten in die Partei gegeben, antwortet der Parteivorsitzende kühl.

Tatsächlich bedröppelt sieht er aus, als Scholz sagt, die Union habe durch Inkaufnahme von AfD-Stimmen im Bundestag einen Tabubruch begangen – und dass er nicht sicher sein könne, ob Merz diesen nicht wiederholen werden. Merz beteuert, es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Allerdings sei das gemeinsame Stimmen im Bundestag auch keine Zusammenarbeit gewesen.

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Beide wollen Härte in der Migrationspolitik

Einig sind sich beide, dass Deutschland einen harten Kurs gegen illegale Migration brauche. Scholz erklärt allerdings, er habe diesen Kurs schon durchgesetzt. In diesem Januar habe Deutschland den niedrigsten Wert an Asylgesuchen seit 2016, die Zahl der Abschiebungen sei um 70 Prozent gestiegen im Vergleich zum Beginn seiner Kanzlerschaft. Merz kontert: In vier Tagen erreichten so viele Migranten Deutschland, wie in einem Monat abgeschoben werden.

Scholz warnt dann noch vor einem Alleingang in der Migrationspolitik und dem Aushebeln von EU-Regeln: „Warum soll man so doof sein?“ Merz bleibt ruhig.

Scholz greift kaum an

Der Patzer von Merz, auf den das Scholz-Lager hofft, wäre umso wahrscheinlicher, desto mehr Merz von seinem Kontrahenten unter Druck gesetzt wird. Doch Olaf Scholz greift nicht an, sondern bleibt in der Rolle des Besonnenen, des verlässlichen Staatsmannes und des Nervenstarken. Also desjenigen, der im Ernstfall lieber durchatmet und in Ruhe abwägt, ehe er reagiert. Manche sagen, auf diese Weise wird die Bundesrepublik Deutschland seit 2005 regiert.

Beide betonen, dass die gegenseitigen Angriffe der vergangenen Wochen nicht schlimm gewesen seien. Man kenne sich ja und halte das aus. Einmal holt Merz einen Zettel aus der Innentasche seines Jacketts und liest ein Zitat von Scholz vor. Der bedankt sich, dass das Zitat vollständig vorgelesen wurde: „Das ist sehr honorig.“

Dank des disziplinierten, in diesen Tagen ungewohnten Debattenstils werden auch Unterschiede in der Sache deutlich: Scholz will die Mietpreisbremse verlängern, Merz ist da skeptisch, weil sie womöglich Anreize für Neubauten mindere. Behörden dürften nicht Gendern, sagt Merz. Die seien keine „Volkserziehungsanstalt.“ Scholz sieht das anders. Merz ist bereit, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, Scholz nicht.

Der stärkste Moment des Herausforderers

Kurz wird es ruppig, als es um die Wirtschaft geht. Deutschland sei im dritten Jahr einer Rezession, sagt Merz, er beklagt drei Millionen Arbeitslose trotz 700.000 offener Stellen, zehntausende Insolvenzen und außerdem einen „Kapitalabfluss aus Deutschland, wie wir ihn in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gesehen haben.“

Hier hat Scholz wenig entgegenzusetzen. Er spricht von 46 Millionen Erwerbstätigen und dass dies doch eine gute Grundlage sei, um Wachstum zu schaffen. Zudem verweist er noch auf die Herausforderungen der Weltwirtschaft und sagt diesen Satz: „Ich habe die Ukraine nicht überfallen“.

Merz könnte jetzt draufhauen, aber er bleibt diplomatisch: „Ich muss Ihnen einfach sagen, ich bin einigermaßen erschüttert, mit welcher Wahrnehmung Sie heute Abend den Zustand unserer Wirtschaft beschreiben.“

Der stärkste Moment des Kanzlers

Als sie über Steuergerechtigkeit diskutieren, unterstellt Merz dem Kanzler, er wolle den Spitzensteuersatz auf 60 Prozent anheben. Olaf Scholz widerspricht, und dann folgt sein stärkster Moment: „Ich finde einfach, wer drei Millionen verdient, kann ein bisschen mehr Steuern bezahlen. Und das finden Sie nicht“, sagt Scholz. Und dann weiter: „Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.“

Einig sind sich beide dann wieder in der Frage, was der Bundestag ohne FDP wäre. „Ärmer, aber durchaus lebensfähig“, sagt Merz. Scholz stimmt ihm zu.

Auch die Moderatorinnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner harmonieren deutlich besser als Illner 2021 im Gespann mit ARD-Chefredakteur Oliver Köhr. Sie treten als Team auf. Stellenweise wünscht man sich eine Prise Markus Lanz herbei, mehr Bohren, Nachhaken. Aber es bleibt auch so ein gelungener Auftritt der Moderatorinnen.

Das Fazit des ersten Duells

Nein, eine Trendwende kann Olaf Scholz an diesem Abend nicht einleiten. Es wird weitere Gelegenheiten geben. Aber Scholz wird jetzt sehr viel Glück brauchen.

Am Ende dieses Abends scheint es eher noch klarer, dass die SPD nach dem 23. Februar wohl zwischen zwei Optionen wählen muss: Juniorpartner in einer Koalition unter Kanzler Merz oder Wundenlecken und Neuaufbau in der Opposition. Der Umgangston deutet darauf hin, dass die Spitzenkräfte beider Parteien auch nach dem Wahltag miteinander reden können und wollen.

Friedrich Merz hat bereits anklingen lassen, er glaube, seine Pläne für eine striktere Migrationspolitik am ehesten mit der SPD als Koalitionspartner umsetzen zu können. Auf dem Bundesparteitag der CSU am Samstag zeigte er sich hoffnungsvoll, dass viele SPD-Abgeordnete schon am Morgen nach der Wahl auf seine Linie einschwenken werden. Also diejenigen, die der mutmaßliche Einbruch des SPD-Stimmanteils nicht um den Sitz im neuen Parlament gebracht hat.

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