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Da war die Stimmung schon angespannt: Martin Schulz und Sigmar Gabriel im Wahlkampf.

© REUTERS

Chaostage bei der SPD: Schulz' Sturz und Gabriels Beitrag

Zuletzt gab es in der SPD niemanden mehr, der Martin Schulz halten wollte. Aber auch Sigmar Gabriel könnte sich verkalkuliert haben.

Neun Sätze, verschickt per Mail um 14.14 Uhr am Freitag – so schnöde geht die Karriere eines Mannes zu Ende, den die deutsche Sozialdemokratie vor nicht so langer Zeit als einen ihrer größten Hoffnungsträger feierte. Martin Schulz tritt ab von der großen politischen Bühne. Er, der zunächst „Gottkanzler“ und 100-Prozent-Vorsitzender war, dann gescheiterter Wahlkämpfer und zuletzt nur noch ein Hindernis auf dem Weg in die große Koalition. Am Ende gab es niemanden mehr, der ihn halten wollte.

Warum es dann doch so schnell ging, hat viel zu tun mit einem anderen Sozialdemokraten, der einst ebenfalls auf Parteitagen bejubelt wurde, auch wenn das lange her ist: Sigmar Gabriel.

Der geschäftsführende Außenminister sitzt am Mittwoch dieser Woche in der abendlichen SPD-Fraktionssitzung. Die Koalitionsverhandlungen sind erst seit ein paar Stunden vorbei und es geht hoch her bei den Genossen. Martin Schulz’ Entscheidung, den Parteivorsitz gegen das Außenministeramt zu tauschen, sorgt für Unmut. Ob er es sich nicht noch einmal überlegen wolle, fragen einige. Ob es klug sei, den beliebten Noch-Außenminister Gabriel so einfach in die Wüste zu schicken, geben andere zu bedenken. Es ist schon fast ein Loblied, das hier auf ihn angestimmt wird. Aber Gabriel hört nur zu und sagt einfach nichts.

„Wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“

Das was er zu sagen hat, hebt er sich auf für den nächsten Tag. Und mit diesen Sätzen verpasst er Martin Schulz einen schweren, vielleicht den entscheidenden Stoß.

Gabriel will nämlich abrechnen mit seinem einstigen Männerfreund, der keinen Ministerposten mehr für ihn übrig hatte, obwohl er es versprochen haben soll. Der Funke-Mediengruppe sagt Gabriel mehrere Sätze, die tiefe Enttäuschung und kalte Wut atmen. „Für mich beginnt jetzt eine neue Zeit“, erzählt er. „Meine kleine Tochter Marie hat mir heute früh gesagt: ,Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ Und Gabriel beklagt: „Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt.“

Wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt – dieser Halbsatz zielt direkt auf den Noch-Parteichef. Denn Schulz hat einen Ministerposten unter Merkel nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen, versuchte sich dann aber doch das Außenamt zu sichern. Es ist dieser Wortbruch, der die SPD massiv Glaubwürdigkeit gekostet hat. Und Gabriel legt den Finger in diese Wunde.

Gabriel gegen Schulz – das unrühmliche Ende dieser Männerfreundschaft könnte der Republik ziemlich egal sein, wäre es nur eine weitere Folge in der ewigen sozialdemokratischen Seifenoper, in der Selbstzerfleischung zum Programm gehört. Die SPD gilt ja nicht umsonst als die Dramaqueen der deutschen Politik. Doch diesmal geht es um mehr. Nämlich darum, ob es in Deutschland endlich eine stabile Regierung gibt, oder ob die große Koalition am Widerstand der SPD-Mitglieder scheitert. Und am Unmut über Schulz.

Das war's

Der ist gewaltig an der Basis. Zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo die Skepsis gegenüber einer weiteren großen Koalition ohnehin besonders groß ist. Thomas Kutschaty ist Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Essen, mit 4000 Mitgliedern einer der größten im Land. Er hat in den vergangenen Tagen viele Gespräche mit den Genossen vor Ort geführt. Schulz’ Pläne hätten für „sehr große Irritationen“ gesorgt, sagt Kutschaty. „Wir sind alle davon ausgegangen, dass er Parteivorsitzender bleibt, und dass er sein Wort hält und nicht ins Kabinett Merkel geht.“ Und noch etwas treibe die Essener Genossen um: der Umgang mit Sigmar Gabriel. Dass der beliebteste SPD-Politiker über Nacht aufs Abstellgleis gestellt werde, verstünden viele nicht.

Das alles ist der engeren SPD-Führung natürlich nicht verborgen geblieben. Und die führenden Genossen wissen auch: Wenn die große Koalition nicht kommt, dann können sie alle zurücktreten. Die neue mächtige Frau der Partei, Andrea Nahles, die Stellvertreter Thorsten Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig, Malu Dreyer, Ralf Stegner und der designierte Vize-Kanzler und Finanzminister Olaf Scholz. Es wäre dann auch niemand mehr da, der die Partei als Spitzenkandidat in Neuwahlen führen könnte. Mit ihren aktuell 17 Prozent wäre diese Chaos-Sozialdemokratie dann sogar noch gut bedient.

In der SPD-Spitze müssen sie deshalb am Freitag die Notbremse ziehen – auch um sich selbst zu retten. Um 12.39 Uhr wird Schulz über einen „Bild“-Bericht mitgeteilt, dass er allen Rückhalt verloren hat. „SPD-Spitze stellt sich gegen Schulz“. Da wissen seine Getreuen im Willy-Brandt-Haus: Es wird eng, der Kampf ist kaum noch zu gewinnen.

Schulz selbst ist nicht in Berlin, lässt sich aber telefonisch auf dem Laufenden halten. Er weiß: Wenn ihm die mächtigste Frau der SPD, die Fraktionsvorsitzende und künftige Parteichefin Andrea Nahles, nicht bald beispringt, dann war es das. Er telefoniert, um herauszufinden, wer noch zu ihm steht. Die NRW-SPD ist es nicht. Nahles schweigt. Keine öffentliche Solidaritätserklärung. Das war’s. Schulz beauftragt seinen Sprecher Serkan Agci mit einer Rückzugserklärung. Neun Sätze, verschickt um 14.14 Uhr.

Vielleicht hat Gabriel sich verkalkuliert

Und Gabriel? Hat sich der Entfesslungskünstler der deutschen Politik wieder einmal aus aussichtsloser Lage befreit? Kann er nun, da Schulz aus dem Weg geräumt wurde, doch Außenminister bleiben?

So beliebt der Mann aus Goslar derzeit bei den Wählern ist, so umstritten ist er in der eigenen Partei. Mit seiner aufbrausenden Art, seiner Sprunghaftigkeit und seinen Alleingängen ist er bei manchen regelrecht verhasst. Als Martin Schulz ihn als Parteichef ablöste, mochte das anfangs niemand bedauern. Und als er sich im Wahlkampf immer wieder einschaltete und Schulz mit neuen Ideen und Vorschlägen die Show stahl, waren viele in der SPD nur noch genervt.

Doch seitdem hat Gabriel im Außenministerium Punkte gesammelt. Auch bei den Diplomaten im Auswärtigen Amt erarbeitete er sich Respekt. Dass ihm jetzt die politische Bedeutungslosigkeit droht, ein Platz auf der Hinterbank, das erscheint nicht nur den Genossen in NRW ungerecht. Der Anführer des konservativen „Seeheimer Kreises“ in der SPD, Johannes Kahrs, warf sich am Freitag sogar für Gabriel in die Bresche: „Sigmar Gabriel ist ein sehr guter Außenminister“, twitterte er. „Sigmar Gabriel sollte Außenminister bleiben. Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen.“

Doch möglicherweise hat Gabriel sich auch selbst beschädigt bei dem Versuch, den Sturz seines ehemaligen Freundes Schulz zu beschleunigen. Viele Genossen fanden es peinlich und abstoßend, dass Gabriel seine kleine Tochter vorschob, um Schulz anzugreifen. Bei allem Verständnis, das sie aufbringen können für Gabriels Enttäuschung, dass er bei der Postenvergabe leer ausgehen sollte: Die Racheaktion steht Gabriel nicht gut zu Gesicht. Am Ende könnte er sich verkalkuliert haben.

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