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Der damalige EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im März 2016.

© dpa

Konkurrenten um das Kanzleramt: Schulz und Merkel sind Europa-Partner im Geiste

Die Deutschen kennen Martin Schulz bislang vor allem als Europapolitiker und als Verbündeten von Kanzlerin Angela Merkel. Bei der Bundestagswahl treten sie gegeneinander an.

Als Innenpolitiker ist Martin Schulz bislang ein weit gehend unbeschriebenes Blatt. Die SPD wolle die Demokratie verteidigen und die Alltagssorgen der Menschen stärker in den Mittelpunkt stellen, sagte er am Mittwoch nach seinem ersten Auftritt als designierter Kanzlerkandidat vor der Bundestagsfraktion. Konkreter will Schulz erst am kommenden Sonntag nach seiner Nominierung durch den SPD-Vorstand werden. Dann hält der Kandidat eine Grundsatzrede in der Parteizentrale, in der er Leitlinien und konkrete Projekte für den Wahlkampf benennen will.

In Brüssel hat sich Schulz indes über die Jahre hinweg den Ruf eines zähen Verfechters der europäischen Idee aufgebaut. Der scheidende SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte am Dienstagabend im Willy-Brandt-Haus gesagt, Schulz sei ein „deutscher Europäer und ein europäischer Deutscher“. Doch wofür steht der 61-Jährige, der 2004 den Vorsitz der sozialdemokratischen Fraktion in Brüssel übernahm und anschließend von 2012 bis zur vergangenen Woche als EU-Parlamentschef amtierte, als Europapolitiker genau?

Streit über den siebenjährigen EU-Haushalt

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Schulz, der vor der Bekanntgabe seines Wechsels in die Bundespolitik im vergangenen November ursprünglich eine dritte Amtszeit als EU-Parlamentschef anstrebte, seine Karriere nun auf der nationalen Bühne fortsetzt. Immer wieder hatte er in seiner Brüsseler Zeit schließlich die Nationalstaaten einer Blockade bei der Fortentwicklung der EU bezichtigt. Die Staats- und Regierungschefs führten sich bei ihren Gipfeltreffen ähnlich zerstritten auf wie der Wiener Kongress von 1814/15, klagte Schulz häufiger.

Mit der gleichen Energie, mit der er den Egoismus der Nationalstaaten anprangerte, kämpfte er vor Ort für die Brüsseler Gemeinschaftsinstitutionen – also das Europaparlament und die EU-Kommission. Das Europaparlament führte er Anfang 2013 in eine kalkulierte Konfrontation mit den Mitgliedstaaten, als es um die Aushandlung des siebenjährigen EU-Budgets von 2014 bis 2020 ging. Als das EU-Parlament Ende 2013 schließlich dem Haushaltskompromiss zustimmte, konnte der Parlamentschef Schulz aber nicht verhindern, dass auch das EU-Budget dem europaweiten Sparkurs zum Opfer fiel.

2014 bewarb sich Schulz dann um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Der SPD-Mann verzichtete während des Europawahlkampfs damals allerdings auf harte verbale Angriffe auf den christsozialen Gegenkandidaten, seinen Duz-Freund Jean-Claude Juncker. Am Ende machte Juncker das Rennen. Als Gewinner standen indes die Europaparlamentarier da – denn sie entschieden letztlich über den neuen Kommissionschef. Ob sich dieses von Schulz eingefädelte Verfahren auf Dauer halten lässt, ist allerdings offen.

Schulz ist kein "Hurra-Europäer"

Obwohl sich Schulz immer wieder für eine Stärkung der Brüsseler Institutionen einsetzte, wäre es falsch, ihn als „Hurra-Europäer“ zu bezeichnen. Denn der Ex-Bürgermeister aus Würselen hat sich auch nie davor gescheut, Fehler in der EU-Konstruktion klar zu benennen. So sagte er im vergangenen Juni in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass man sich langfristig Gedanken darüber machen müsse, ob wirklich 28 EU-Kommissare in Brüssel gebraucht würden. Die Regelung geht darauf zurück, dass jedes Mitgliedsland einen Vertreter in die Kommission schickt. Praktikabel ist sie nicht, denn in Brüssel gibt es mehr Kommissare als Aufgabenfelder.

Der rote Faden: Einsatz für europäische Grundwerte

In jedem Fall zieht sich der Einsatz für europäische Grundwerte wie ein roter Faden durch Schulz’ Wirken im EU-Parlament. 2003 hatte er dort bei einem inzwischen legendären Auftritt den Italiener Silvio Berlusconi wegen dessen Doppelrolle als Ministerpräsident als Medienunternehmer attackiert.

Dass für ihn der Rechtsstaat nicht verhandelbar ist, wurde zuletzt am Beispiel der Türkei sichtbar: Schulz setzte sich im vergangenen Jahr dafür ein, dass die Abstimmung über die Visabefreiung im EU-Parlament auf Eis gelegt wird, da Ankara EU-Standards bei der Meinungsfreiheit im Kampf gegen den Terror vernachlässigt.

Mit Euro-Bonds blitzte er bei Merkel ab

Während der Euro-Krise gab es ein weiteres Thema, mit dem er sich profilierte: die Einführung so genannter Euro-Bonds, mit denen ein Teil der Verschuldung von Krisenstaaten wie Griechenland vergemeinschaftet werden soll. Mit der Idee, dass die Euro-Staaten gemeinsam Staatsanleihen mit einheitlichen Zinssätzen herausgeben sollen, biss er allerdings bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Granit.

Trotz der Differenzen in diesem Punkt hat Schulz einen engen Draht zur Kanzlerin. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zu Beginn des vergangenen Jahres lobte er ausdrücklich Merkels Einsatz für eine EU-weite Verteilung der Migranten und eine Vereinbarung mit Ankara zur Bekämpfung der Schleuser.

Einig weiß er sich mit der Kanzlerin auch in der Forderung einer Reform des Dublin-Systems – also jenes Systems, das Staaten wie Griechenland und Italien die Hauptlast bei der Aufnahme der Flüchtlinge aufbürdet. Ob eine solche Reform kommt, ist ungewiss. Denn sie wird nicht nur von osteuropäischen Staaten abgelehnt, sondern auch von dem konservativen französischen Präsidentschaftsbewerber François Fillon.

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