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Gut gerechnet – oder nicht? Familienministerin Lisa Paus steht wegen der Kindergrundsicherung in der Kritik.

© IMAGO/Political-Moments/imago

Streit um Kindergrundsicherung: Wozu braucht sie 12 Milliarden Euro? Paus bleibt eine Antwort weiter schuldig

Seltsam ruhig geworden um die Kindergrundsicherung? Nur an der Oberfläche. Ministerin Paus geht bei ihrem Prestigeprojekt in die Offensive. Zentrale Fragen aber bleiben offen.

| Update:

„Das Projekt wird auf jeden Fall was“, sagt Familienministerin Lisa Paus, und es passt zur Gesamtlage, dass sie das so explizit betonen muss. Flankiert von Soziologin Bettina Kohlrausch und Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher trat die grüne Ministerin am Dienstag in Sachen Kindergrundsicherung vor die Presse. Ihre Botschaft: „Wir sind aus wissenschaftlicher Perspektive auf dem richtigen Weg.“

Lange ist es noch gar nicht her, das große innerkoalitionäre Grollen um die Kindergrundsicherung. Der FDP sind die 12-Milliarden-Euro-Pläne der Ministerin zu teuer, publikumswirksam gerieten Paus und Kabinettskollege Christian Lindner aneinander. Zuletzt ist es seltsam ruhig geworden.

Doch das kann nicht mehr als eine Atempause sein. Denn inhaltlich ist der Konflikt noch lange nicht ausgestanden.

Auf Fragen nach Zahlen antwortet Paus ausweichend

Kohlrausch und Fratzscher standen nun parat, um der Ministerin zu sekundieren. „Ich als Wissenschaftler...“. „Aus wissenschaftlicher Perspektive...“: So begannen viele ihrer Sätze auf der Pressekonferenz im Ministerium. Als wollten sie zeigen, dass die Ministerin die Wahrheit auf ihrer Seite hat.

Aber hat sie das? Eine konkrete Rechnung, wofür genau sie 12 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt braucht, ist die Ministerin der Öffentlichkeit bis heute schuldig geblieben. Welcher Teil des Konzepts kostet wie viel? Wie hoch sollen die Regelsätze werden? So genau weiß man das nicht. Auf Fragen antwortet Paus ausweichend, auch bei der Pressekonferenz am Dienstag wieder.

Nur ihre Grundbotschaft ist klar: Es brauche die Kindergrundsicherung unbedingt, angesichts von Millionen armutsgefährdeten Kindern in Deutschland. Er sehe die Kindergrundsicherung als eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen für Deutschland, sagte Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Langfristig würden die Sozialsysteme entlastet. Außerdem seien Familien mit geringem Einkommen im Moment durch die hohe Inflation zwei- bis dreimal so stark belastet wie Familien mit hohem Einkommen.

Fehlt es an Geld oder an Chancen? Auch um diese Frage geht es beim Streit um die Kindergrundsicherung.
Fehlt es an Geld oder an Chancen? Auch um diese Frage geht es beim Streit um die Kindergrundsicherung.

© picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd

Soziologin Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wies darauf hin, es gebe eine doppelte Unwucht im System. Zum einen, weil arme Familien Leistungen, die ihnen zustehen, oft nicht in Anspruch nehmen. Zum anderen, weil wohlhabendere Familien durch den Kinderfreibetrag absolut sogar mit mehr Geld gefördert werden als ärmere Familien über das Kindergeld ausgezahlt bekommen.

Gegen all das soll die Kindergrundsicherung Abhilfe schaffen. Paus möchte nicht nur die bisherigen Leistungen zusammenfassen und besser zugänglich machen, sondern auch die Regelsätze erhöhen. Beim ersten Punkt besteht in der Koalition Einigkeit, beim zweiten nicht.

„Ich gehe davon aus, dass dann auch ein schlüssiges Konzept einschließlich belastbarer Berechnungsgrundlage vorgelegt wird.

Matthias Seestern-Pauly, familienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Die Koalitionspartnerin FDP gab der Ministerin am Dienstag per Pressemitteilung eine Spitze mit. Er begrüße, dass Paus nach der Sommerpause ein Gesetz vorlegen wolle, ließ der familienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Matthias Seestern-Pauly, mitteilen. „Ich gehe davon aus, dass dann auch ein schlüssiges Konzept einschließlich belastbarer Berechnungsgrundlage vorgelegt wird.“

Eine Anfrage der Opposition wurde nur karg beantwortet

Paus betont immer wieder, sie habe ein schlüssiges Konzept vorgelegt. Seit ein paar Wochen kursiert ein Eckpunktepapier aus ihrem Ministerium. Aber auch dort lässt sich nicht nachlesen, wie genau sich die 12 Milliarden Euro herleiten.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger hatte das im März per parlamentarischer Anfrage herauszufinden versucht. Auch damals fiel die Auskunft nicht besonders erhellend aus. „Die Regelungsinhalte der Kindergrundsicherung werden noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Ich bitte daher um Verständnis, dass hierzu keine Angaben gemacht werden können“, ließ die Parlamentarische Staatssekretärin Ekin Deligöz (Grüne) mitteilen.

Der Umgang mit dem Parlament ist mehr als fragwürdig.

Heidi Reichinnek, Sprecherin der Linksfraktion für Kinder- und Jugendpolitik

Und dann ist da noch der Unmut der Opposition. Via Twitter ärgerte sich nun Heidi Reichinnek, Sprecherin der Linksfraktion für Kinder- und Jugendpolitik. Das Ministerium verweigere ihr systematisch Informationen zur Kindergrundsicherung. Schriftliche Fragen zur Berechnung der Kosten würden inhaltsleer beantwortet, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz abgelehnt.

Sie habe sich daher die Pressekonferenz vor Ort anschauen wollen. „Darf ich aber auch nicht. Der Umgang mit dem Parlament ist mehr als fragwürdig“, schrieb Reichinnek. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigt, dass Reichinnek die Teilnahme verwehrt wurde. Da stecke aber keine böse Absicht hinter, es habe sich nun einmal um eine Veranstaltung für Journalistinnen und Journalisten gehandelt.

Reichinneks Fazit: „Zur Kindergrundsicherung gibt es wenig Konkretes, viel Pathos, einen Zeitplan, der gehörig wankt, und scheinbar eine Menge Angst vor Kritik von links.“

Nur Ministerin Paus gibt sich optimistisch. Sie hoffe, die Koalition werde sich noch vor der Sommerpause auf Eckpunkte einigen können, sagte sie am Dienstag. Nach der Sommerpause werde es dann einen Gesetzentwurf geben, sie sei „optimistisch“. Es ist ein Optimismus, der bei Kabinettskollege Lindner vermutlich nicht unbeobachtet bleibt.

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