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Schwarz-rote Energiepläne: Zementiert die neue Regierung Deutschlands Abhängigkeit vom Erdgas?
Eigentlich sollte es nur noch „Übergangstechnologie“ sein. Doch Union und SPD setzen jetzt stark auf Gas und wollen deutlich mehr neue Kraftwerke bauen. Drei Expert:innen ordnen ein, was das für die Zukunft heißt.
- Claudia Kemfert
- Andreas Löschel
- Casimir Lorenz
Stand:
Halb Deutschland heizt mit Erdgas, bei Wärme ist Gas nach wie vor Energiequelle Nummer eins. Tatsächlich braucht auch die Energiewende hin zu erneuerbarem Strom neue Gaskraftwerke. Die Ampel hatte mit dem Zubau von rund zehn Gigawatt neuer Kraftwerkskapazitäten geplant. Die neue Regierung will diesen Zubau jetzt allerdings verdoppeln.
Im Koalitionsvertrag kündigt Schwarz-Rot „den Bau von bis zu 20 Gigawatt an Gaskraftwerksleistung bis 2030“ an. Sie setzt auf „langfristige Gaslieferverträge“ mit „internationalen Anbietern“.
Was internationale Gasanbieter betrifft, hat Deutschland mit seiner extremen Abhängigkeit von russischem Gas bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Jetzt möglicherweise neuen Abhängigkeiten zu schaffen, sowie die geplanten deutlich höhere Investitionen in neue Gasinfrastruktur, wird unter anderem von Grünen und Linken kritisiert. Wir fragen deshalb in unserer Rubrik „3 auf 1“ drei Expert:innen, ob die neue Bundesregierung wirklich Deutschlands Abhängigkeit vom Erdgas zementiert, und wie sich das verhindern lässt.
Alle Folgen unseres Formats „3 auf 1“ können Sie hier lesen.
Längerfristig muss der Erdgasverbrauch auf nahe null sinken
Klar ist: Um die klimapolitischen Ziele zu erreichen, muss Deutschland seinen Erdgasverbrauch reduzieren und längerfristig auf nahe null senken. Die Gas-Krise 2022 hat diese Notwendigkeit aus Sicht der geopolitischen Resilienz unterstrichen. Aber: Aktuelle Trends legen nahe, dass Deutschland noch länger auf Erdgas angewiesen sein könnte.
Die Abhängigkeit vom Gas wird dann nicht zementiert, wenn umfassendere Effizienzsteigerungen, ein Schub bei der Elektrifizierung etwa von Industrieprozessen, beziehungsweise beim Umstieg auf Wärmepumpen in Haushalten und Gewerben und eine deutliche Beschleunigung beim Wasserstoffhochlauf gelingen.
Zwar wird der Kohleausstieg neben dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien den Zubau an regelbaren Gaskraftwerken erfordern. Eine konsequente Erschließung von Flexibilitätspotentialen in der Nachfrage und bei Speichern können diesen Zubaubedarf jedoch senken. Ein Neuanlauf beim Wasserstoff erleichtert den klimafreundlichen Umstieg.
In jedem Fall ist auf eine weitere Diversifizierung im Erdgasbezug und bei den zukünftigen Lieferländern für Wasserstoff zu achten.
Die Ausbaupläne von Union und SPD sind überdimensioniert
Mit dem Bau von Gaskraftwerken im Umfang von 20 Gigawatt bis 2030 und der Ankündigung von langfristigen Gaslieferverträgen mit internationalen Anbietern zementiert die schwarz-rote Koalition unnötig die Abhängigkeit von fossilem Erdgas. Diese Verträge machen Deutschland abhängig und erpressbar von problematischen Lieferländern.
Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Anteil von fossilem Gas sinken. Auch im Gebäudesektor müssen wir uns von Gas als Heizstoff verabschieden. Im Stromsektor brauchen wir neben einem schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien mehr Marktflexibilität und Speichermöglichkeiten.
Der Bau von 20 Gigawatt an Gaskraftwerken erscheint hier überdimensioniert und kann Flexibilität und Speicherlösungen behindern. Zudem treibt er die Strompreise in die Höhe, da ein hoher CO₂-Preis fossile Energien, einschließlich Gas, verteuert. Perspektivisch werden Gaskraftwerke mit grünem Wasserstoff betrieben, sodass langfristige Gaslieferverträge überflüssig werden.
Kraftwerke allein bewirken noch keine Abhängigkeit
Gaskraftwerke allein bewirken noch keine Abhängigkeit, wenn sie langfristig vor allem als Reserve für Ausnahmefälle dienen und dann nur selten laufen. Voraussetzung ist aber, dass wir das Angebot an günstigeren Alternativen – erneuerbare Energien und Speicher – konsequent weiter ausbauen und die Förderung der Gaskraftwerke strikt auf die Investitionskosten beschränkt bleibt.
Außerdem darf die Politik sowohl die Klimaziele als auch den Emissionshandel mit steigenden CO₂-Preisen nicht verwässern. Denn nur so ergibt sich der nötige wirtschaftliche Anreiz, zukünftig auf Wasserstoff umzustellen.
Insgesamt wird der Bedarf an Gas jedenfalls immer weiter abnehmen. Hier kommen die Gaslieferverträge ins Spiel, bei denen durchaus das Risiko von Abhängigkeiten und unnötig hohen Kosten besteht. Daher muss sehr gut abgewogen werden, welche Laufzeiten und Volumina zum Bedarf passen, und dabei eher noch ein Sicherheitsabschlag eingebaut werden, damit ungewollte Marktverzerrungen durch zu viel Gas, das später abgenommen werden muss, verhindert werden.
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