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Abgeordnete unterhalten sich während einer Bundestagssitzung.

© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Soli-Abschaffung für fast alle: Wer den Soli weiter zahlen muss – und wer nicht

Die entscheidende Frage ist: Gehöre ich zu den oberen zehn Prozent? Alle anderen sollen ab 2021 keinen Soli mehr zahlen. Doch die ersten Klagen sind schon angekündigt.

30 Jahre nach dem Mauerfall wird der Soli für den Aufbau Ost zum Auslaufmodell. Der Solidaritätszuschlag wird für rund 90 Prozent der Zahler abgeschafft, wie der Bundestag am Donnerstag beschloss. Weitere 6,5 Prozent sollen ihn noch teilweise entrichten, je höher das Einkommen, desto mehr. Nur die reichsten 3,5 Prozent werden weiterhin voll zur Kasse gebeten. Der Abbau sei möglich, weil die Deutsche Einheit weit vorangekommen sei, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Die weitgehende Reduzierung sei „auch ein Zeichen des Erfolges des Zusammenwachsens in Deutschland“.

Der Staat wird dadurch nach Rechnung des Finanzministeriums im ersten Jahr rund 10,9 Milliarden Euro weniger einnehmen. Dieses Geld sparen die Steuerzahler, bei einigen macht das wenige Hundert, bei manchen jedes Jahr mehr als Tausend Euro aus. Doch es gibt erhebliche Bedenken. Denn eigentlich, meinen viele, dürfte es den Soli schon ab Januar überhaupt nicht mehr geben.

Der CDU-Abgeordnete Olav Gutting sprach in der Debatte von der „größten Steuerentlastung seit vielen, vielen Jahren“. Die Streichung erfolge ohne jegliche Gegenfinanzierung, es werde nicht versteckt an anderer Stelle erhöht. Nach Ansicht der Union ist die Teil-Abschaffung aber nur ein erster Schritt hin zu einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags in der nächsten Legislaturperiode. Dies sei eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. „Dieser Frage muss sich auch der Koalitionspartner stellen“, sagte Gutting.

Der AfD-Politiker Stefan Keuter dagegen sagte, er könne jeden Bürger nur ermuntern, dagegen zu klagen. Der Soli müsse für alle wegfallen. Sein Fraktionskollege Kay Gottschalk sprach von einer „verdeckten Vermögensteuer“. FDP-Fraktionsvize Christian Dürr kritisierte, der Mittelstand werde nicht entlastet - und das in einem Konjunkturabschwung. Die Union tue stattdessen alles dafür, dass Scholz SPD-Vorsitzender werde.

Der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Joachim Lang, forderte, die Politik solle den Soli bereits ab 2020 und für alle Steuerzahler abschaffen. Auch wenn die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal leicht gewachsen sei, gebe es keinen Grund zur Entwarnung.

„Die konjunkturellen Aussichten für die stark exportorientierte deutsche Industrie bleiben trübe. Die Rezessionsgefahr ist nicht gebannt“, sagte Lang. Die Politik müsse schnell und wirksam gegensteuern. „Die Bundesregierung muss mehr dafür tun, öffentliche Investitionen zu steigern und die Bedingungen für private Investitionen zu verbessern.

Die Details zur Abschaffung des Solidaritätszuschlages:

DER ZUSCHLAG
Der Soli wurde als Sondersteuer vor allem für den Aufbau Ostdeutschlands nach der Deutschen Einheit eingeführt. Er beträgt 5,5 Prozent der Körperschaft- oder Einkommensteuer, insgesamt brachte er dem Staat im vergangenen Jahr 18,9 Milliarden Euro ein. Arbeitnehmer zahlen ihn genauso wie selbstständige Handwerker und Unternehmen. Das Geld ist - wie alle Steuereinnahmen - nicht zweckgebunden und fließt in den Bundeshaushalt ein. Es wird also nicht direkt etwa in neue Straßen oder Schwimmbäder in den ostdeutschen Bundesländer gesteckt.

FÜR WEN ER WEGFÄLLT
Für 90 Prozent der heutigen Zahler wird der Soli komplett entfallen, für weitere 6,5 Prozent zumindest zum Teil. Nur die Top-Verdiener - 3,5 Prozent der heutigen Zahler - bekommen ihn weiter in voller Höhe abgezogen. Ab welchem Einkommen künftig noch Soli fällig wird, hängt nicht nur vom Einkommen, sondern auch von den Lebensumständen ab. Denn der Zuschlag hängt von der Höhe der Einkommensteuer ab, für die es unterschiedliche Freibeträge etwa für Kinder, Alleinerziehende oder verheiratete Paare gibt.

Wer muss zahlen Wann und wie viel muss man zahlen
Singles Ledige sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer zahlen ab 2021 keinen Soli mehr, wenn sie im Jahr nicht mehr als etwa 73.000 Euro brutto verdienen. Bis zu einem Einkommen von 109.000 Euro fällt nur noch ein Teil ab, wer mehr verdient, zahlt wie bisher.
Familienohne Kinder Hier kommt es darauf an, ob beide Partner verdienen oder nur einer. Ein zusammen veranlagtes kinderloses Ehepaar, bei dem nur ein Partner verdient, wird bis zu einem Bruttolohn von etwa 136.000 Euro voll entlastet und bis rund 206.000 Euro teilweise. Wenn beide gleich viel verdienen, muss bis zu einem gemeinsamen Bruttolohn von rund 148.000 Euro kein Soli gezahlt werden. Ab etwa 219.000 Euro Jahresbruttolohn fällt der volle Zuschlag an.
Familienmit Kindern Auch hier kommt es darauf an, ob beide Elternteile verdienen oder nicht. Bei einer Familie mit Alleinverdiener und zwei Kindern liegt die untere Grenze bei einem Bruttojahreslohn von circa 152.000 Euro, bis 221.000 Euro fällt nur ein Teil-Soli an. Wenn beide Eltern gleich viel verdienen, zahlen sie bis zu einem gemeinsamen Bruttojahreslohn von rund 164.000 Euro keinen Soli mehr, ab 234.000 Euro fiele er dann wieder voll an.
SelbstständigeHandwerker Nach Rechnung des Ministeriums sind 88 Prozent der zur Einkommensteuer veranlagten Gewerbetreibenden vom Soli befreit. Das sind etwa 370.000 Personen, zum Beispiel selbstständige Handwerker. Weitere 27.000 müssen zumindest nicht mehr die volle Summe zahlen.
Unternehmen Wer eine GmbH betreibt und dafür Körperschaftssteuer zahlt, ist von der Reform ausgenommen - das kritisiert etwa der Steuerzahlerbund.
Sparer Auch wer gut verzinste Sparguthaben hat, muss auf Kapitaleinkünfte unter Umständen weiter Soli zahlen - nämlich dann, wenn er mehr als 801 Euro Zinsen im Jahr einstreicht. Das betrifft vor allem alte Verträge - denn heutzutage sind die Zinsen deutlich niedriger.

WIE VIEL MAN SPART
Eine Familie, die überhaupt keinen Soli mehr zahlen muss, kann nach Berechnungen des Münchner ifo-Instituts je nach Einkommen und Lebenssituation mehr als 1500 Euro im Jahr sparen. Auch wer noch einen Teil-Soli zahlen muss, kann mehrere Hundert Euro sparen. Wer sehr wenig verdient, profitiert allerdings kaum - weil er nach Angaben des Finanzministeriums schon heute keinen oder nur wenig Soli zahlt.

Das Finanzministerium hat einige Beispiele berechnet:

Solidaritätszuschlag - der Gesetzentwurf zur Abschaffung des Soli mit Beispielen
Solidaritätszuschlag - der Gesetzentwurf zur Abschaffung des Soli mit Beispielen

© Tsp

DIE BEDENKEN
Vor allem Union und FDP sind unzufrieden. Sie verlangen, dass der Soli schon ab Januar komplett abgeschafft wird - auch für Großverdiener und millionenschwere Unternehmen. Dabei äußern sie auch verfassungsrechtliche Bedenken: Da der Solidarpakt zur Unterstützung der ostdeutschen Bundesländer Ende 2019 auslaufe, dürfe danach auch kein Soli mehr verlangt werden.

Wenn er nicht reagiere, müsse sich Finanzminister Olaf Scholz (SPD) darauf vorbereiten, den Steuerzahlern in wenigen Jahren 50 Milliarden Euro zurückzuzahlen. Einzelne Verbände haben schon Klagen angekündigt. Die Bundesregierung weist die Bedenken ab: Die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung seien noch längst nicht gestemmt. Würde der Soli sofort komplett abgeschafft, würden dem Bund im kommenden Jahr Einnahmen von rund 11 Milliarden Euro fehlen.

Wirtschaftsverband kündigt Verfassungsbeschwerde

Aus der Wirtschaft kommt massive Kritik an der vom Bundestag beschlossenen Soli-Abschaffung für 90 Prozent der Zahler - verbunden mit Ankündigungen einer Verfassungsbeschwerde. Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, sagte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur: „Die Mehrzahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestags hat heute mit dem Soli-Beschluss sehenden Auges gegen unsere Verfassung verstoßen.“ Vor allem Unternehmer, Selbstständige, aber auch gut verdienende Facharbeiter würden weiter belastet.

„Der Soli ist somit eine Strafsteuer für die Mitte der Gesellschaft“, so Ohoven. „Dagegen muss und wird sich der Mittelstand wehren. Wir haben eine Verfassungsbeschwerde ausgearbeitet. Sobald das verfassungswidrige Gesetz in Kraft getreten ist, werden wir sie beim Bundesverfassungsgericht einreichen.“ (dpa)

Theresa Münch

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