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SPD-Mitglieder entscheiden über die Koalition: Wenn eher wenige etwas zu viel zu sagen haben
Die SPD fragt ihre Basis, ob Friedrich Merz Bundeskanzler werden darf. Alle anderen Wählerinnen und Wähler gucken dabei zu. Was demokratisch aussieht, ist politisch prekär.

Stand:
CDU und SPD ringen darum, wer die meisten Mitglieder hat. Aktuell soll die CDU leicht vorne liegen, rund 365.000 zu rund 358.000. Dafür haben die SPD-Mitglieder mehr zu sagen. Die SPD veranstaltet derzeit ihr Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag.
Den Nutzen hat die SPD, weniger die Demokratie.
Jost Müller-Neuhof, Rechtspolitischer Korrespondent
Das Votum ist bindend, wenn sich mindestens ein Fünftel der Stimmberechtigten an der Online-Abstimmung beteiligt. Das wären 71.600. Rechnerisch zugespitzt: 35.801 SPD-Mitglieder könnten dann den rund 50 Millionen Wählern, die bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgegeben haben, sagen, ob es etwas wird mit Schwarz-Rot und Kanzler Friedrich Merz (CDU).
Eine Unwucht, die verfassungsrechtlich dennoch als unbedenklich gilt. Das ist selten, weil bei Juristen eigentlich alles bedenklich ist. Geführt wurden die Debatten mit Blick auf das freie Mandat der Abgeordneten und die Wahlgleichheit, Artikel 38 Grundgesetz (GG), sowie den Grundsatz der repräsentativen Demokratie, Artikel 20 GG.
Die Argumente sind abgeräumt. Denn die Abgeordneten werden durch das Votum nicht gebunden, es bindet nur die Parteiführung. Auch an der Zusammensetzung des Bundestags ändert es nichts. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher alles abgewiesen, was gegen die Praxis vorgebracht wurde.
Rechtlich unbedenklich heißt nicht, dass es politisch sinnvoll ist. Man darf Unbehagen empfinden. Fahren die Mitglieder ihrer Führung jetzt in die Parade, müsste diese wohl abtreten. Nachfolger sind kaum in Sicht, weshalb entfällt, den Vertrag nachzuverhandeln. Dann brandmauerbedingt Neuwahlen mit der AfD im Prozentrausch und einer einstelligen SPD.
Die SPD-Mitglieder haben folglich keine Wahl, wodurch ihr Votum entwertet ist. Gefeiert wird es trotzdem. „Das ist gelebte Mitbestimmung – direkt, verbindlich und stark.“ Die Mitgliedschaft wird attraktiver, und im Koalitionspoker dürfte das Votum ein Druckmittel gewesen sein, um möglichst viel SPD herauszuholen.
Funktioniert also. Nur was, wenn es künftig alle so machen? Oder Parteien Mini-Plebiszite auch für die laufende Legislatur installieren? Es liegt auf der Hand, dass solche Mitmachgeschichten nach eigenem Zuschnitt es erschweren, Mehrheiten zusammenzuführen und stabile Regierungen zu bilden. Zumal in Zeiten wie diesen, in denen politische Optionen schwinden. Den Nutzen hat die SPD, weniger die Demokratie.
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