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Streit in der Koalition: Reiche lehnt höhere Erbschaftssteuer ab – SPD-Generalsekretär beharrt darauf
In der Union mehren sich die warnenden Stimmen vor einer höheren Abgabe auf Erbe. Die Wirtschaftsministerin sie darin „Gift“ für den Wirtschaftsstandort. Klüssendorf pocht auf eine Anhebung.
Stand:
Die finanziellen Spielräume des Bundes sind äußerst begrenzt, in der schwarz-roten Koalition wird darüber debattiert, wie mehr Geld in die Staatskasse kommen an. In der SPD wird als eine Möglichkeit erwogen, Erbschaften höher zu besteuern. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche von der CDU lehnt dies kategorisch ab, wie sie nun deutlich machte – und bekommt umgehend scharfen Widerspruch vom Koalitionspartner.
„Meine grundsätzliche Überzeugung bleibt, dass jede Erhöhung von Steuern dem Standort eher schadet, als nutzt“, sagte die CDU-Politikerin der „Bild am Sonntag“. „Wie bei der sogenannten Reichensteuer oder einer Vermögensabgabe bin ich bei einer Erbschaftsteuer skeptisch, wenn diese dazu führt, dass Unternehmen entscheiden, sich aus Deutschland zurückzuziehen“, fügte Reiche hinzu. Steuererhöhungen seien in einer Zeit wachstumshemmender Bedingungen „Gift“.
Die soziale Marktwirtschaft funktioniert dann am besten, wenn der Kuchen wächst.
Katherina Reiche, Wirtschaftsministerin (CDU)
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn hatte die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland als Problem bezeichnet. Er verwies darauf, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer erwartet werde und die Koalition die Steuer dann eventuell neu regeln müsse.
Auch Kanzleramtschef Frei gegen Vorstoß der SPD
Während die SPD die Äußerungen des CDU-Politikers begrüßte, reagierte Kanzleramtschef Thorsten Frei ablehnend. Die Erbschaftsteuer sei „hochkomplex, und hohe Privatvermögen werden bereits besteuert“, sagte er der „Welt am Sonntag“.
„Problematisch wird es beim Generationenwechsel in Familienunternehmen. Eine harte Verschärfung würde oft zum Verkauf zwingen“, warnte Frei. Kapital, das als Steuer abgeführt werde, fehle für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, argumentierte der CDU-Politiker. „Deshalb ist die Erbschaftsteuer immer auch Strukturpolitik.“ Spekulationen schafften Unsicherheit, Unternehmen bräuchten aber Planbarkeit.
Vor allem wer große Summen erbt oder geschenkt bekommt, kann solidarisch mehr beitragen.
Tim Klüssendorf, SPD-Generalsekretär
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf dagegen dringt auf eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. „Diejenigen mit den allerhöchsten Vermögen müssen endlich mehr Verantwortung übernehmen, damit wir die breite Mitte in diesem Land weiter entlasten können“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Vor allem wer große Summen erbt oder geschenkt bekommt, kann solidarisch mehr beitragen.“

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Klüssendorf weiter: „Viele Menschen leisten jeden Tag ihren Beitrag für unsere Volkswirtschaft, aber die Verteilung des erarbeiteten Wohlstandes ist schon lange aus dem Gleichgewicht geraten.“ Der Sozialstaat sei nur zu sichern, „wenn alle fair mitziehen“.
Reiche will Einkommensteuer rasch senken
Reiche sprach sich für eine rasche Senkung der Einkommensteuer aus, um die Konjunktur anzukurbeln. Eine „vorübergehende Verminderung eines Steuereinkommens“ führe am Ende dazu, dass mit „mehr Produktivität auch tatsächlich mehr Wohlstand“ geschaffen werden könne.
Aktuell schrumpften die Wirtschaft und die Steuereinkommen. Dadurch schrumpfe auch der „Kuchen“, mit dem Geld verteilt werden könne.
„Die soziale Marktwirtschaft funktioniert dann am besten, wenn der Kuchen wächst“, sagte Reiche in dem Interview. „Wir müssen zu entwachsenen Kuchen kommen. Und das kann ich nur machen, indem ich attraktive Steuersysteme, eine attraktive Höhe von Sozialabgaben, geringere Bürokratie habe, um es am Ende Unternehmen leicht zu machen, zu beschäftigen und zu wachsen.“
Reiche will „Wirtschaftsstandort nochmal kritisch unter die Lupe nehmen“
In Deutschland gebe es eine hohe Teilzeitquote und relativ viele Urlaubstage. „Und nirgendwo ist die Kombination aus geringen Arbeitsstunden und Krankheitsständen so hoch. Und das führt dazu, dass die Standorte weniger produktiv sind. Arbeiten muss sich lohnen – das heißt, wir sollten die Einkommensbelastung durch Steuern reduzieren.“
Reiche sagte, die Bundesregierung habe sich für den Herbst vorgenommen, „den Wirtschaftsstandort nochmal kritisch unter die Lupe zu nehmen“.
„Ich glaube, dass wir eine gemeinsame Basis, ein gemeinsames Verständnis darüber brauchen, in welcher Situation befinden wir uns“, sagte die Ministerin. Die schwarz-rote Koalition müsse „Stärken und Schwächen und jene politischen Hebel kühl analysieren, an die wir nochmal rangehen können“.
Die schwarz-rote Bundesregierung hat für die laufende Legislaturperiode eine Senkung der Einkommenssteuer vereinbart. Allerdings steht der Beschluss im Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt.
Reiche kritisiert hohe Energie- und Nebenkosten
Reiche betonte mit Blick auf die geforderte Steuerreform jedoch auch: „Den schönen Bierdeckel, den wir mal als Idee hatten – das werden wir so nicht hinbekommen.“
Reiche sagte weiter: „Die Lage ist ernst. Wir haben mittlerweile drei Millionen Arbeitssuchende. Wir sind seit 2019 in einer Nichtwachstumsphase, also wirtschaftliche Entwicklung läuft auf null in den letzten beiden Quartalen. Es gab zwischendurch kleine Aufhellungseffekte, die wir aber erklären mit vorgezogenen Exporten in die USA, bevor die Zölle zuschlugen. Energiekosten sind hoch, Lohnnebenkosten sind sehr, sehr hoch und der Standort braucht echt ein Fitness-Programm.“
Wesentliche Investitionsentscheidungen in den vergangenen Jahren seien nicht mehr für den Standort Deutschland getroffen worden, sondern in Regionen mit niedrigeren Energie- und Nebenkosten.
„Wir sehen Unternehmensinsolvenzen, wir sehen aber auch diesen schleichenden Prozess. Was heute nicht in Deutschland investiert wird, sondern woanders, ist für 20 Jahre und länger entschieden. Ein Job entsteht nicht, er entsteht woanders, aber er fällt auch nicht weg automatisch.“
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