
© dpa/Kay Nietfeld
Streit mit Faeser um Migration: Union warnt im Bundestag vor „gesellschaftlichem Großkonflikt“
Nancy Faeser verschärfe die Migrationslage, kritisiert die Union. Die Ministerin weist die Vorwürfe zurück und wirft der Union vor, mit dem Thema Wahlkampf zu machen.
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Mit scharfen Attacken gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Union am Freitag im Bundestag einen Kurswechsel in der Migrationspolitik gefordert. Faeser torpediere auf europäischer Ebene eine Einigung auf eine bessere Steuerung der Migration über Asylverfahren an den Außengrenzen, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor den Abgeordneten.
Die Innenministerin sei in der Flüchtlingspolitik „kein Zugpferd“, sondern „das Trojanische Pferd zur Verschärfung der Migrationskrise“. „Wir bieten Ihnen an, dieses Thema mit uns zu lösen, weil es sonst zu einem gesellschaftlichen Großkonflikt sich entwickeln kann“, sagte Dobrindt. „Die Asylzahlen steigen, die Kommunen sind überlastet, die gesellschaftliche Akzeptanz schwindet.“
Die Union reagierte damit auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der vor gut zwei Wochen seinerseits der Union einen „Deutschland-Pakt“ zur Modernisierung des Landes angeboten hatte.
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Union bringt eigenen Antrag zur Migration ein
Die Union brachte als eigenen Vorschlag für einen Deutschland-Pakt zur Migration einen Antrag ein. Er fordert die Regierung auf, „die irreguläre Migration spürbar zu reduzieren, um Bund, Länder und Kommunen zu entlasten“. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten für beschleunigte Asylverfahren solle um Georgien, Moldau, Indien, Tunesien, Marokko und Algerien erweitert werden.
Unsere Maßnahmen wirken. Wir steuern und ordnen Migration.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Nach dem Vorbild der Grenze zu Österreich sollten auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz Grenzkontrollen eingeführt werden. Mit relevanten Herkunftsstaaten sollten wirksame Vereinbarungen zur Rücknahme ihrer Staatsangehörigen abgeschlossen werden. Bund und Länder sollten ihre Anstrengungen zu freiwilliger Rückkehr und Abschiebungen verstärken.
Faeser wies die Vorwürfe der Opposition zurück. „Unsere Maßnahmen wirken. Wir steuern und ordnen Migration“, sagte die SPD-Politikerin im Bundestag. Faeser verwies in ihrer Rede auf die geplante Reform des europäischen Asylsystems, gemeinsame Arbeit mit polnischen und tschechischen Behörden an den Grenzen und verstärkte Bundespolizei zur sogenannten Schleierfahndung.
„Wir handeln also schon, wo Sie nur fordern.“ Sie wies zudem Berichte zurück, wonach eine Erleichterung des Familiennachzugs für Flüchtlinge geplant sei. Das habe sie im Moment nicht vor, sagte die Innenministerin.
Faeser warf ihrem Vorredner Dobrindt vor, mit seinen Äußerungen die Debatte anzuheizen. Vorschläge aus der Union für eine Migrationsobergrenze seien Populismus, der nur die Rechtsextremen stärke. „Gehen Sie nicht weiter auf dem Irrweg, Wahlkampf auf dem Rücken von Menschen zu machen, die vor Krieg und Terror bedroht sind.“ Es gebe keine einfachen Lösungen.
Kretschmer will Zahl für die Aufnahme Geflüchteter festlegen
Die Begrenzung der Migration ist derzeit stark diskutiertes Thema. Im Vorfeld der Debatte im Bundestag hatte sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geäußert und bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine Zahl zur Orientierung gefordert. „Wir sollten uns auf eine realistische Größenordnung verständigen, beispielsweise 200.000 Flüchtlinge pro Jahr“, sagte der CDU-Politiker der „Freien Presse“.
Das sei eine Zahl, an der man sich orientieren könne. „Dann kann man darüber sprechen, mit welchen Instrumenten man diese Zahl erreicht.“ Zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen jährlich gefordert.
Die EU könne Polen bei der Sicherung der Außengrenzen unterstützen und Deutschland habe die Möglichkeit zu Kontrollen an deutschen Grenzen, sagte Kretschmer. Außerdem brauche es wirksame Rückführungsabkommen. Tunesien, Marokko und Algerien sollten ihm zufolge als sichere Herkunftsländer ausgewiesen werden. Es müsse zudem geklärt werden, wie mit straffälligen Asylbewerbern umgegangen werden solle.
„Und es geht um die Fragen, die die italienische Ministerpräsidentin Meloni aufgerufen hat: Wie hoch sind die Sozialleistungen für Asylbewerber in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa? Und welche Auswirkungen hat diese Diskrepanz?“
Von Januar bis August 220.116 Asylanträge in Deutschland
Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zufolge haben von Januar bis August dieses Jahres insgesamt 220.116 Personen einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Das entspricht einer Zunahme von 77,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Zudem hat die Bundespolizei laut Faeser in diesem Jahr bis Ende Juli 56.052 unerlaubte Einreisen registriert. Hinzu kommen mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflohen sind.
Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, kritisierte politische Diskussionen um eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen auf der nationalen Ebene. Es gebe ein Grundrecht auf Asyl, auch die Genfer Flüchtlingskonvention gelte, sagte Haßelmann am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“.
Wir können diese Obergrenzendebatten so nicht führen.
Britta Haßelmann, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag
„Wir können diese Obergrenzendebatten so nicht führen.“ Es gebe keine einfachen Lösungen, es sei nicht möglich, etwaige Aufnahmegrenzen „an irgendetwas“ festzumachen. Für die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge sei letztlich der europäische Verteilungsschlüssel „ganz entscheidend“, fügte die Grünen-Politikerin an.
Forderung nach mehr Geld für Kommunen
Lösungen könnten deshalb auch nur auf der europäischen Ebene gefunden werden. Entscheidend sei, „dass wir in ganz Europa gleichmäßig verteilen“.
Für die Kommunen forderte Haßelmann mehr Geld. Städte und Gemeinden bräuchten jetzt „dringend zuverlässige Finanzunterstützung“ durch den Bund und die Länder. Sie seien „in einer absolut schwierigen Lage“. Sie bräuchten Hilfe, um Integrationsleistungen anzubieten und Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen.
Zurückhaltend äußerte sich Hasselmann zur Debatte um Sach- statt Geldleistungen für Geflüchtete. Die Möglichkeit bestehe bereits heute für Städte und Gemeinden, sagte sie. Diese nutzten sie allerdings so gut wie nie, weil dies einen „unglaublichen Bürokratieaufwand“ bedeute. Für die aktuellen Probleme gebe es keine einfachen Lösungen. Das sei „unbequem, aber so ist es“.
AfD fordert radikale Begrenzung der Zuwanderung
Scharfe Kritik am Vorschlag von CDU/CSU kam auch von der Linkspartei. Die Innenpolitikerin Clara Bünger warf der Union vor, „nur auf Abschottung und Entrechtung“ zu setzen.
Sie nannte es im Bundestag bezeichnend, dass die von Söder und CDU-Chef Friedrich Merz geforderte Obergrenze von 200.000 Migranten pro Jahr in dem Antrag nicht enthalten sei. CDU und CSU wüssten natürlich, dass eine solche Obergrenze gegen das Recht auf Asyl und somit gegen das Grundgesetz verstoße.
Eine radikale Begrenzung der Migration forderte die AfD. Mit Blick auf die auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa anlandenden Menschen sagte der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann: „Das sind Männer, vor denen wir Schutz brauchen.“
Er fügte hinzu, es müsse dagegen etwas getan werden, „denn die Masse zieht ja weiter, nach Deutschland, die Zahlen sind gigantisch“. Die Folge seien hierzulande eine „wuchernde Parallelgesellschaft“ und: „Überall werden Frauen bedrängt.“ (dpa, AFP, Reuters)
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