UN-Menschenrechtsrat: Streit um Bericht über Geheimgefängnisse
Im UN-Menschenrechtsrat gibt es Streit um einen neuen Bericht zur Existenz von Geheimgefängnissen weltweit. Was steht in dem Dokument und warum wehren sich manche Staaten gegen die Veröffentlichung?
Der US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba, eine litauische Reitschule und ein Gefängnis in Afghanistan: Diese Orte sind zum Synonym geworden für ein System, in dem der US-Geheimdienst CIA seit dem 11. September 2001 Terrorverdächtige ohne Rechtsgrundlage inhaftiert, verhört und gefoltert hat. Doch nicht nur die USA, auch Dutzende andere Länder auf der ganzen Welt haben im Kampf gegen den Terror Verdächtige in Geheimgefängnissen festgehalten und damit Menschenrechte verletzt. Zu diesem Ergebnis kommen Experten des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. In einem neuen Bericht dokumentieren sie Fälle in Ländern wie China, Russland, Syrien, Pakistan, Saudi-Arabien, Indien und Usbekistan. Es ist der erste Bericht, der die Praxis der geheimen Inhaftierungen weltweit untersucht.
Ein Jahr lang haben die Experten Flugdaten recherchiert, offizielle Quellen, Texte von Nichtregierungsorganisationen und Medienberichte ausgewertet und schließlich auch Gespräche mit 24 Betroffenen geführt. Obwohl die Praxis der geheimen Inhaftierung einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechte darstelle, werde sie im Namen des Antiterrorkampfes nach wie vor weltweit angewandt, so die Bilanz der Experten. Dies sei ein „ernstes Problem“, heißt es in dem 221-seitigen Bericht, der in einer vorläufigen Fassung auf der Internetseite des Menschenrechtsrates steht.
„In extremen Fällen kann diese Praxis ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“, sagte UN-Sonderberichterstatter Martin Scheinin dem Tagesspiegel. Scheinin befasst sich mit dem Schutz von Menschenrechten im Kampf gegen den Terrorismus und hat den Bericht zusammen mit dem UN-Sonderberichterstatter gegen Folter und zwei Arbeitsgruppen verfasst. Alle Fälle von geheimer Inhaftierung müssten untersucht werden, forderte Scheinin. Straflosigkeit dürfe es nicht geben. Zugleich sprechen sich die UN-Experten dafür aus, die Geheimdienste nicht mehr im rechtsfreien Raum operieren zu lassen.
Den Autoren des Berichts geht es keineswegs nur um geheime Haftanstalten wie etwa das CIA-Gefängnis in der Reitschule in Litauen, dessen Existenz erst kürzlich bekannt geworden war. Unter geheimer Haft verstehen sie all jene Fälle, in denen Menschen von staatlichen Stellen festgehalten werden, ohne dass sie Kontakt mit der Außenwelt haben oder jemand von ihrem Aufenthaltsort erfährt. Als Beispiele führen die Experten auch die Fälle des in Bremen lebenden Türken Murat Kurnaz oder des Deutschen Khaled al Masri an, die beide in Geheimgefängnisse verschleppt worden waren. Deutschland wird ebenfalls kritisiert, weil Vertreter deutscher Geheimdienste in Syrien den dort festgehaltenen Muhammad Zammar befragt haben sollen.
Die UN-Experten widmen sich den sogenannten renditions – Auslieferungen der USA an andere Staaten, in denen Verhörmethoden nicht kontrolliert werden – ebenso wie den Praktiken in Staaten, in denen nationale Sicherheit und regionaler Antiterrorkampf zum Vorwand für Menschenrechtsverletzungen geworden sind. So sprachen die Experten mit einem Mann, der Ende 2007 im russischen Nordkaukasus festgenommen worden war. In einem Geheimgefängnis in Tschetschenien wurde er verhört, gefoltert und mit dem Tod bedroht.
Der Bericht soll eigentlich bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrates im März offiziell vorgestellt werden. Doch in dem Gremium, dem 47 Staaten angehören, gibt es massiven Widerstand gegen das Papier. So kritisierte ein russischer Diplomat den Bericht während eines Vorbereitungstreffens in der vergangenen Woche scharf und forderte, ihn von der Internetseite des Menschenrechtsrates zu entfernen.
Russland ist keineswegs das einzige Land, das den Bericht lieber in der Schublade verschwinden sähe. Hinter verschlossenen Türen machte in den vergangenen Monaten eine Gruppe von Staaten Druck, um die Veröffentlichung zu verhindern. So schrieb der pakistanische UN-Botschafter am 31. Dezember 2009 an die belgische Präsidentschaft des Menschenrechtsrates. Die Organisation Islamischer Staaten, die Pakistan vertritt, gehe davon aus, dass „dieser Bericht weder in irgendeiner Sitzung des Menschenrechtsrats präsentiert noch als offizielles UN-Dokument veröffentlicht“ werden könne. Außerdem sollten dafür keine Mittel aus dem UN-Budget zur Verfügung gestellt werden. Als Begründung führte der pakistanische Botschafter an, der Menschenrechtsrat habe für die Studie nie ein Mandat erteilt. Wenig später machte der nigerianische UN-Botschafter im Namen der Gruppe afrikanischer Staaten den gleichen Einwand geltend. Der belgische Präsident des Menschenrechtsrats erteilte aber den Bemühungen, die Veröffentlichung des Berichts zu verhindern, eine Absage. Das Thema falle sehr wohl in das Mandat der Sonderberichterstatter und der Arbeitsgruppen, betonte er. Auch Großbritannien hat den Bericht scharf kritisiert, von „unbewiesenen Behauptungen“ war im Außenministerium die Rede. Aber sowohl London als auch Washington sind bereit, den Bericht im Menschenrechtsrat zu diskutieren.
Menschenrechtler gehen davon aus, dass hinter diesem Streit nicht nur der Versuch steht, unliebsame Wahrheiten unter den Tisch zu kehren. Im kommenden Jahr soll die Arbeit des 2006 gegründeten Rates auf den Prüfstand gestellt werden. Es gebe Bemühungen, die Unabhängigkeit der Sonderberichterstatter einzuschränken, sagt Peter Splinter von Amnesty International. Noch ist keine endgültige Entscheidung gefallen, wie mit dem Bericht umgegangen wird. Sonderberichterstatter Scheinin hofft auf einen konstruktiven Umgang: „Es wäre eine Schande, wenn wir nur über Verfahren reden und nicht über den Inhalt.“