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US-Präsident Joe Biden (links) macht am Dienstag in Virginia Wahlkampf für den Demokraten Terry McAuliffe.

© Jonathan Ernst/REUTERS

Symbolträchtige Wahl in Virginia: Warum Joe Biden wieder gegen Donald Trump kämpft

Barack Obama, Kamala Harris, Joe Biden: Die US-Demokraten geben im Wahlkampf von Virginia alles. Dort steht für sie viel auf dem Spiel.

Wäre man abergläubisch, könnte man darin ein schlechtes Omen sehen. Zwei Stunden vor der angekündigten Rede von US-Präsident Joe Biden am Dienstagabend verdunkelt sich der Himmel immer mehr, es ist kalt geworden.

Die Böen werden heftiger, sie zerren an den Pappschildern, an den Schutzabdeckungen der zahlreichen Kameras, und sie reißen die große US-Flagge gegenüber des Podests, auf dem Biden gleich die noch etwas lahme Stimmung anheizen soll, aus ihrer Halterung. Die Ordner müssen sie abnehmen. Übelmeinenden Kommentatoren fällt hierzu bestimmt eine Endzeit-Schlagzeile ein – um zu verdeutlichen, dass es mit dieser Regierung bergab geht im Land.

Dabei wollen die Demokraten doch ihr Land vor dem Untergang bewahren, vor dem, was droht, wenn Donald Trump zurückkehrte. Darum wird in diesen Wochen jede Entscheidung zu einer Wahl zwischen zwei Extremen hochstilisiert. Auch die in einer Woche anstehende Gouverneurswahl in Virginia, die laut aktuellen Umfragen sehr knapp ausgehen könnte.

Hier wird er noch mit „Wir lieben Joe“-Rufen begrüßt

Auf der einen Seite stehen nach dieser Lesart die erfolgreichen Bemühungen der derzeitigen Regierung, die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen, die Gesundheitsversorgung und Sicherheit der Bürger vor Waffengewalt sowie das Bildungssystem, die Gleichberechtigung und die Infrastruktur im Land zu verbessern. Auf der anderen Seite warten demnach die immer noch Trump-hörigen Republikaner nur darauf, alle Fortschritte zurückzudrehen und die Demokratie zu unterminieren.

„Wir können das nicht zulassen“, ruft Biden den nach Angaben der Organisatoren rund 2500 Unterstützern zu, die nach Arlington gekommen sind, um sich im Wahlkampfendspurt mobilisieren zu lassen. Der Jubel zeigt: An diesem Abend gelingt das ganz gut. Hier in der Pendler-Vorstadt der amerikanischen Hauptstadt wird der Präsident noch mit „Wir lieben Joe“-Rufen begrüßt.

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Es ist bereits sein zweiter Auftritt, um für den demokratischen Kandidaten Terry McAuliffe zu werben – und vor dem Republikaner Glenn Youngkin, einem ehemaligen Fondsmanager, zu warnen, den Trump unterstützt. Aber nicht nur der Präsident steigt damit nur neun Monate nach seinem Amtsantritt wieder in den Wahlkampf ein.

Auch Kamala Harris macht Wahlkampf

Vizepräsidentin Kamala Harris wird am Freitag ebenfalls zum zweiten Mal mit McAuliffe auftreten. Und am Samstag warb Ex-Präsident Barack Obama in der Landeshauptstadt Richmond für den 64-jährigen Unternehmer, der bereits von 2014 bis 2018 in Virginia als Gouverneur regierte.

[Lesen Sie hier zudem ein Porträt der US-Vizepräsidentin: Scheitert Kamala Harris an den enormen Erwartungen? (T+)]

Dass die Demokraten so viel Schwergewichte in einen vereinzelten Regionalwahlkampf schicken, zeigt, welche Bedeutung sie diesem zugestehen – weit über den Commonwealth von Virginia hinaus. Wie sehr sie fürchten, dass ihre Anhänger am Wahltag zuhause bleiben.

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Die Sorgen sind groß, dass sich die derzeitige Negativ-Stimmung verfestigen könnte. Bidens Zustimmungswerte sind in den vergangenen Wochen stark gesunken. Dafür gibt es mehrere Gründe, zum Beispiel das Chaos beim Afghanistan-Abzug im Sommer, die stockende Impfkampagne und die steigende Inflation.

Biden muss um seine Großprojekte kämpfen – mit seiner eigenen Partei

Aber ein Grund sind auch Bidens Schwierigkeiten, trotz Mehrheiten in beiden Kammern seine wichtigsten politischen Vorhaben – billionenschwere Investitionen in Infrastruktur und den Sozialstaat – durch den Kongress zu bringen. Diese Mehrheiten sind knapp, und sie könnten bei den Zwischenwahlen 2022 gleich ganz verloren gehen. 

Demokraten seien bekannt dafür, dass sie liefern, sagt Jaime Harrison, der Vorsitzende des Democratic National Committee, also der Vereinigung der Demokraten auf Bundesebene, am Samstag in Richmond. „Und wir haben geliefert.“

[Lesen Sie zudem eine Analyse zu den Republikanern: Machthungrig, konservativ, weiblich – Die Zukunft der Republikaner liegt in der Hand von Frauen (T+)]

Nur, wenn Virginia demokratisch bleibe – hier haben Republikaner seit 2009 keine landesweite Wahl mehr gewonnen –, könne verhindert werden, dass alles rückgängig gemacht werden. „Wir sind die Mauer zwischen Hoffnung und Chaos“, sagt Harrison. Die Mauer, die vor Trump schützt.

Was, wenn die Demokraten nicht liefern?

Genau darin liegt das Problem – wenn die Demokraten eben nicht liefern, weil sie keinen Kompromiss zwischen ihren verschiedenen Positionen etwa beim Thema Steuererhöhungen finden. Dann könnte eine verlorene Wahl in Virginia als erster Dominostein gesehen werden, dem viele folgen werden.

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Obama gewann 2009 als erster demokratischer Präsidentschaftskandidat in Virginia seit Lyndon B. Johnson 1964 – was als Beleg dafür gewertet wurde, dass sich die Mehrheitsverhältnisse auch in einem lange konservativen Südstaat dauerhaft zugunsten der Demokraten verschieben. Das wird nun auf einmal wieder in Frage gestellt. 

Barack Obama greift ein

Darum steht Obama am Samstag auf dem Campus der Virginia Commonwealth University in Richmond vor vielleicht 400, meist jüngeren Zuhörern, in weißem Hemd und ohne Sakko, und ruft: „Wir können es uns nicht leisten, müde zu sein!“ Ja, das alles sei anstrengend, aber es helfe nichts. Denn: Es gehe um die Demokratie Amerikas.

Terry McAuliffe (links) begrüßt den früheren US-Präsidenten Barack Obama in Richmond, Virginia.
Terry McAuliffe (links) begrüßt den früheren US-Präsidenten Barack Obama in Richmond, Virginia.

© Kevin Lamarque/REUTERS

Lange hat sich der immer noch hoch angesehene Ex-Präsident mit solchen Auftritten zurückgehalten. Zu groß wurde die Gefahr eingeschätzt, dass der brillante Redner seinem einstigen Vizepräsidenten die Schau stehlen könnte.

Bidens rhetorische Qualitäten sind im Vergleich ja tatsächlich eher überschaubar. Aber jetzt geht es um alles, da darf sich keiner zurückhalten.

Also tut Obama, was er immer getan an: Er unterhält seine Zuhörer, motiviert und mobilisiert, indem er die großen Linien aufzeigt. 30 Minuten lang spricht er, über das, was bisher erreicht worden sei und was nun auf dem Spiel stehe. „Ich will, dass ihr von innen heraus brennt und dann wählen geht!“, sagt er. „Nur zu buhen reicht nicht!“ Seine Wirkung ist immer noch enorm.

Ende der Woche reist Joe Biden nach Europa

Am Dienstag zeigt sich indes auch der jetzige Präsident von seiner besseren Seite. Er geht Trump frontal an, überspielt die Provokationen vereinzelter Demonstranten mit einem Witz, und zum Ende seiner Rede ruft er ein ums andere Mal energisch: „Wählt, wählt, wählt!“ Seine letzten Worte gehen im rhythmischen Klatschen des Publikums unter.

Dann fährt er zurück ins Weiße Haus, wo die Arbeit wartet. Der Präsident will seinen Haushaltsplan auf gutem Weg wissen, bevor er am Donnerstag zu seiner zweiten Europa-Reise aufbricht. Er braucht den Erfolg hier mindestens so sehr wie bei der Wahl in Virginia.

Kurz, bevor Biden am Dienstag in Arlington spricht, melden Korrespondenten aus dem Weißen Haus, dass gerade die Senatoren Kyrsten Sinema und Joe Manchin eingetroffen seien. Die beiden als konservativ geltenden Demokraten muss Biden überzeugen, um seine Reformen umzusetzen und das Leben der Amerikaner wie versprochen zu verbessern – gleichzeitig muss er den linken Flügel seiner Partei halbwegs zufrieden stellen. Alles andere als eine leichte Aufgabe.

Aber immerhin hieß es zuletzt, ein Kompromiss zeichne sich ab und könne womöglich bereits am Mittwoch gefunden werden. Vielleicht stehen die Zeichen für die Demokraten und ihren Präsidenten doch gar nicht so schlecht.

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