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Auf Wachstumskurs? Der Deutsche Bundestag.

© Kira Hofmann/dpa-Zentralbild/dpa

Wie groß wird der nächste Bundestag?: Tendenz deutlich steigend

Bleibt es bei dem Trend, der sich nach den Wahlen im Südwesten andeutet, dann ist im Herbst mit einem Bundestag mit erheblich mehr Abgeordneten zu rechnen.

Die CDU rutscht nach unten. Die SPD fällt leicht. Die Grünen legen zu. Das sind die drei wichtigsten Trends der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Vergleich zu den vorigen Wahlen 2016. Dass die AfD Federn lassen musste, die Situation bei der FDP weniger klar ist und die Linke im Südwesten so abschnitt wie zuvor, also schlecht, vervollständigt das Bild. Nimmt man all das zusammen und geht davon aus, dass es bei der Bundestagswahl am 26. September in etwa so kommen könnte – dann muss man sich für den Wahlabend auf eine größere Überraschung einstellen. Denn dann könnte der Bundestag noch weitaus mehr Sitze haben als die aktuell 709 Mandate (bei einer Ausgangsgröße von 598 Sitzen).

Das liegt daran, dass die Union schwächelt, die SPD nicht aus ihrem Tal herauskommt und die Grünen nicht ganz so stark zulegen, um deutlich mehr Direktmandate zu gewinnen als jetzt. Denn darum geht es: Über die Erststimmen gewonnene Direktmandate bewirken Überhänge, wenn eine Partei mehr davon bekommt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis – also dem Parteienproporz – überhaupt an Sitzen zustünde. Die dann vorgesehenen Ausgleichsmandate für andere Parteien vergrößern den Bundestag immer mehr.

Und CDU und CSU gewinnen auch in dieser Konstellation noch immer die weitaus meisten Direktmandate. Denn links der Mitte ist die SPD nicht mehr stark genug, um ordentlich gegenhalten zu können beim Gewinnen von Direktmandaten. Die Grünen wiederum sind noch nicht stark genug, um das Übergewicht der Union kompensieren zu können. Dass sie in Baden-Württemberg am Sonntag reihenweise die Direktmandate gewannen, spricht nicht dagegen – es war eine Landeswahl, vor allem eine Kretschmann-Wahl. Bei der Bundestagswahl dürfte die Union wieder stärker sein.   

Das Schwächeln der Union

Seit dem vergangenen Wahlsonntag gibt es eine neue Umfrage, die diesen Trend schon einfängt und mögliche Reaktionen auf die CDU-Maskenbeschaffungsaffäre abbildet. Laut Insa/Yougov vom Dienstag kommt die Union bundesweit derzeit auf 29,5 Prozent, Grüne und SPD landen bei je 17 Prozent. Weitere Ergebnisse: AfD 11,5, FDP 10,5, Linke acht Prozent. Die Forsa-Umfrage vom Mittwoch deutet auch in diese Richtung, sieht aber die Grünen stärker als die SPD. Basierend auf den Insa-Werten hat Matthias Moehl vom Wahlinformationsdienst „election.de“ für den Tagesspiegel gerechnet: Demnach hätte der nächste Bundestag 745 Sitze. CDU und CSU kämen zusammen auf 232 der 299 Direktmandate, der Sitzanspruch, ausgehend von der Mindestgröße von 598 Mandaten, läge jedoch deutlich darunter. Die CDU hätte 43 Überhangmandate, die CSU neun. Der Ausgleich ergibt am Ende damit 745 Abgeordnete.

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Das klingt weniger dramatisch als frühere Berechnungen, die bei einem stärkeren Schwächeln der Union von Bundestagsgrößen um 800 oder noch mehr Sitzen ausgehen. Aber von einem bestimmten Punkt an kippt die Sache. Dann sinkt die Zahl der Direktmandate für die Union, ohne dass die SPD (oder auch die Grünen) deutlich zulegen müssten. Hier kommen jene Wahlkreise ins Spiel, in denen es vor allem zwischen CDU und SPD relativ knapp zugeht. Fällt die CDU stark, dann gehen dort, wo die Sozialdemokraten noch ordentliche Ergebnisse einfahren können, Direktsitze wieder an die SPD. Das ist in und um das Ruhrgebiet der Fall, in Ostfriesland, in Südniedersachsen und Nordhessen. Unter Umständen kann es zu einem solchen Rückgang bei CDU-Direktmandaten auch kommen, wenn die Grünen in Baden-Württemberg im September doch mehr Wahlkreise gewinnen können als bisherige Prognosen andeuten.

Wann die SPD wieder ins Spiel kommt

Aber generell gilt, was Matthias Moehl mit Blick auf umkämpfte Wahlkreise sagt: „Der alte Zweikampf zwischen CDU und SPD ist der entscheidende Faktor.“ Die Grünen seien in der Fläche einfach noch nicht stark genug und in traditionellen SPD-Gebieten für viele Wähler nicht attraktiv. Je stärker die CDU schwächelt (weniger die CSU), ums so stärker „ist die SPD wieder im Spiel um die Direktmandate“, wie Moehl sagt. Selbst wenn sie bundesweit bei Werten unter 20 Prozent stagniert.

Für das Wahlverhalten kann das Signale geben. Überall dort, wo es relativ knapp steht zwischen CDU und SPD, könnten Wähler aus dem Mitte-Links-Lager mit einer Erststimme für die sozialdemokratischen Wahlkreisbewerber ein Direktmandat für die Union verhindern und damit dazu beitragen, dass der Bundestag nicht ganz so groß wird. Ähnlich ist es in Wahlkreisen, wo CDU und Grüne nahe beieinander liegen, im Osten auch, wo das für CDU und Linke gilt. Aber vorab eindeutig berechenbar ist die Wirkung es nicht.

Kleine Bewegungen, große Wirkungen

Denn schon kleinere Bewegungen zwischen den Parteien oder regional in den Wahlkreisen können das Bild deutlich verändern. Berappelt sich die CDU wieder und steigt auf Werte deutlich über 30 Prozent, ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der schwarzen Direktmandate deutlich erhöht. Dann ist mit einem sehr großen Bundestag zu rechnen – erst bei noch höheren Ergebnissen der Union Richtung 40 Prozent würde der Ausgleichsbedarf dann wieder sinken.

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Der Politikwissenschaftler Joachim Behnke von der Universität Friedrichshafen nimmt an, dass die Tendenz, die durch die Landtagswahlen, die jüngsten Affären der CDU und das Corona-Krisenmanagement entstanden sei, „vermutlich in Richtung einer weiteren Vergrößerung des Bundestags“ wirkt. Eine Konstellation, in der die Union etwa 30 Prozent erhalte und SPD und Grüne jeweils bei ungefähr 20 Prozent lägen, sei „mit die gefährlichste, die in Hinsicht auf eine Vergrößerung auftreten kann“, sagte Behnke dem Tagesspiegel. „Bundestagsgrößen von über 800 und im schlimmsten Fall von über 900 Sitzen sind dann nicht mehr auszuschließen.“

Gescheiterte Wahlrechtsreform

Dass es so kommen könnte, ist das Ergebnis der gescheiterten Wahlrechtsreform im Bundestag. Auf ein gemeinsames Modell, um das Aufblähen zu verhindern, konnten sich die Fraktionen nicht einigen. Union und SPD beschlossen dann ein Gesetz, das gegenüber dem vorherigen Wahlrecht eine geringe Dämpfungswirkung hat - es läuft jedoch nur auf ein oder zwei Dutzend Mandate weniger hinaus. Der Vorschlag von FDP, Linken und Grünen hätte etwa 50 Wahlkreise (und damit Direktmandate) geopfert, nach dem oben skizzierten Trend würde aber auch mit diesem Modell wohl ein annähernd so großer Bundestag herauskommen, wie er jetzt ist - also um die 700 Sitze. Gegen das schwarz-rote Gesetz haben die drei Fraktionen Klage in Karlsruhe eingereicht. Der AfD-Vorschlag hätte 598 Mandate garantiert, unterliegt aber verfassungsrechtlichen Zweifeln.

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