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Transparenz-Lücke in Regierungsämtern: Das Problem, wenn es bei Politikern „privat“ wird
Ob eine Wirtschaftsministerin zum Fall Guttenberg mauert oder eine Justizministerin nichts über ihr Treffen mit einer Verfassungsrichterin sagt – Regierende können weitgehend selbst steuern, wann ihr Dienst endet.
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Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) ist unter Druck geraten. Der Grund: Ihr Lebensgefährte, der Ex-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg, ist Mitgesellschafter einer Firma, die von Reiches Ministerium Fördergeld bekommt. Zudem soll sie bei einem internationalen Treffen von Unternehmern und Regierungsvertretern in Österreich aufgetaucht sein, das Guttenberg mit dem österreichischen Ex-Kanzler Sebastian Kurz organisiert haben soll.
Vorwürfe der Einflussnahme werden bestritten. Allerdings werden bislang auch nicht alle Umstände und Verhältnisse offengelegt, die Vorwürfe begründen könnten. Bereits auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Andreas Audretsch zur Teilnahme der Ministerin am Guttenberg-Gipfel hatte das Ministerium erklärt, zu „nicht-dienstlichen Terminen“ Reiches werde „grundsätzlich keine Auskunft“ gegeben.
Mithin soll es sich – wenn es eine Teilnahme gab – um eine private Teilnahme gehandelt haben. Nun hat die Grünen-Fraktion nachgefragt. In der Regierungsantwort, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es wiederum: Katherina Reiche sei „nicht als Bundesministerin bei der Veranstaltung“ gewesen.
Die Abgrenzung zwischen amtlicher Tätigkeit und nichtamtlicher Tätigkeit trifft grundsätzlich jedes Mitglied der Bundesregierung in eigener Verantwortung.
Die Bundesregierung in ihrer Antwort zu einer parlamentarischen Anfrage zum Fall Reiche
Die Antwort liefert auch den Maßstab mit, wann ein Treffen „dienstlich“ und wann es als „nicht-dienstlich“ gelten soll: „Die Abgrenzung zwischen amtlicher Tätigkeit und nichtamtlicher Tätigkeit trifft grundsätzlich jedes Mitglied der Bundesregierung in eigener Verantwortung.“
Hier zeigt sich eine Schwäche im Kontrollsystem, die auch bei anderen sensiblen Kontakten sichtbar wird. Etwa beim Treffen zwischen Richtern des Bundesverfassungsgerichts und Regierungsmitgliedern – die sich als Prozessbeteiligte in Karlsruhe wiederfinden können.
Eine laut Regierung „seit Jahrzehnten bestehende Tradition der Begegnungen der beiden Verfassungsorgane“, die allerdings in den vergangenen Jahren zunehmend umstritten ist. Nach außen wirkt es, als spreche sich die staatliche Exekutive mit ihren judikativen Kontrolleuren ab.
Gericht und Regierung reagieren darauf mit Transparenz: Die Öffentlichkeit darf mittlerweile wissen, wann und wo Treffen stattfanden und zu welchen Themen es Ansprachen gab. Entsprechend wurde eine parlamentarische Anfrage der AfD nach der letzten Zusammenkunft am 9. Oktober im Bundeskanzleramt umfassend beantwortet.
Erst ein Treffen im Kanzleramt, dann ein privates zum Mittagessen
Tags darauf traf sich Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) jedoch noch einmal mit einer Richterin zum Mittagessen. Der Termin wird zwar in der Regierungsantwort ausdrücklich genannt. Auf Nachfrage des Tagesspiegels heißt es jedoch, dass es sich um „ein privates Treffen der Ministerin“ gehandelt haben soll, „das diese nicht in amtlicher Funktion wahrgenommen hat“.
Dazu gibt es keine behördliche Auskunft – und zwar unabhängig davon, ob zwischen beiden Themen verhandelt wurde, die einen Bezug zu Regierung oder Gericht haben. Denn der „zugrundeliegende Vorgang“ als solcher habe bereits „keinen dienstlichen Charakter“.
Ergebnis: Kanzler sowie Ministerinnen und Minister treffen kaum Transparenzpflichten, wenn sie Termine als privat deklarieren und es vermeiden, diese über ihre Büros laufen zu lassen. Ein Freibrief für informelles Handeln, den etwa der frühere Chef des Bundeskanzleramts Wolfgang Schmidt (SPD) in der Zeit der Ampel-Regierung nutzte, um in der Cum-Ex-Affäre von Kanzler Olaf Scholz (SPD) Einfluss auf Medienberichte zu nehmen.
Die Justiz verlangt eine „Gesamtschau“
Die Rechtsprechung hat sich dem Transparenzproblem der Abgrenzung von dienstlichem und nichtdienstlichem Handeln der Regierenden vor allem anhand des presserechtlichen Auskunftsanspruchs angenähert. Auch hier soll entscheidend sein, ob ein Vorgang, zu dem Auskunft verlangt wird, „dienstlichen Charakter“ hatte. Maßgeblich soll etwa nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen aber nicht die Meinung des Amtsträgers sein, sondern eine „Gesamtschau aller relevanten Umstände“.

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Mithin könnte eine solche „Gesamtschau“ ergeben, dass Katherina Reiches etwaige Anwesenheit bei dem Treffen in Tirol doch mehr mit der Amtsausübung als Ministerin zu tun hatte, als es nach Auskunft des Ministeriums den Eindruck macht. Es fehlt an Informationen, um dies näher zu beurteilen – etwa, wie die Politikerin dort vorgestellt wurde und was sie mit anderen Gästen besprochen hat.
Minister und Ministerien, Kanzler und Kanzleramt haben es damit weitgehend in der Hand, die Reichweite ihrer Transparenzpflichten zu steuern. Denn je weniger Informationen dazu aus den Behörden kommen, desto weniger kann eine „Gesamtschau“ dafür sprechen, dass ein formal als privat deklariertes Treffen eben doch im Kern einen „dienstlichen Charakter“ hatte.
Der Grünen-Abgeordnete Audretsch ist in dieser Beurteilung beim Fall Reiche entschieden: Gespräche mit Ministern und Würdenträgern anderer Länder über Sicherheit, Rüstung und Dual-Use-Güter, das alles sei „kein netter Ausflug mit dem Lebensgefährten“. Reiche verschanze sich hinter dem Begriff „privat“ und verschleiere damit, was in den Tiroler Bergen passiert sei.
Das für den Dienstsitz der meisten Bundesministerien maßgebliche Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geht bei der öffentlichen Kontrolle sogar noch einen Schritt zurück und will sich für die Abgrenzung dienstlich/nichtdienstlich daran orientieren, ob ein Minister beim fraglichen Vorgehen „dienstliche Ressourcen“ in Anspruch genommen hat. Nur dann soll die Behörde verpflichtet sein, Näheres mitzuteilen.
Im Fall Reiche gibt es dafür keine Anzeichen. Es kann höchstens sein, dass die Ministerin für die Tour ihr Dienstfahrzeug benutzte. Aber auch dazu weiß man nichts Genaues: „Wie alle Mitglieder der Bundesregierung kann Bundesministerin Reiche ihren Dienstwagen uneingeschränkt auch privat nutzen“, heißt es. „Einzelne Fahrten werden nicht erfasst.“
Hinweis: Die im Artikel genannten Gerichtsbeschlüsse sind in Eilverfahren ergangen, in denen der Tagesspiegel Antragsteller war.
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