
© ZDF/Christian Schoppe
Zoff bei „Maybrit Illner“: „Die Leute können dieses politisch Korrekte nicht mehr hören“
Bei „Maybrit Illner“ stellen die Gäste fest, dass es größere Probleme gibt als das Bürgergeld. Trotzdem dreht sich die halbe Sendung darum. Dann kracht es zwischen Philipp Türmer und Paul Ziemiak.
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Der Herbst hat begonnen, von den angekündigten Reformen ist allerdings wenig zu spüren. „Sozialstaat: Teuer, ungerecht, missbraucht?“, fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend im ZDF. Die Sendung in der TV-Kritik.
Die größte Erkenntnis
Rund die Hälfte der Sendezeit wird, grob geschätzt, auf den Dauerbrenner Bürgergeld verwendet. Ironischerweise bemerkt die Moderatorin schon nach wenigen Minuten: „Es ist nicht der größte Brocken, das Bürgergeld, es gibt wirklich viel größere Probleme in diesem Land.“ Beinahe alle Gäste teilen diese Auffassung.
So merkt die Journalistin Eva Quadbeck an, es sei nicht sinnvoll, das Bürgergeld als „Teufel des Sozialstaats“ darzustellen. VDK-Präsidentin Verena Bentele sagt, das Bürgergeld werde übermäßig thematisiert. Man könne damit „so schnell Hallen zum Brodeln bringen“, darin lauere eine Gefahr.
Selbst der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos), der sonst gerne mit großer Freude Außenseiterpositionen vertritt, sagt, dass die von ihm geforderten Kürzungen beim Bürgergeld „natürlich nicht die Lösung unserer Finanzprobleme“ seien. Man solle das Thema deshalb „nicht überhöhen“.
Es ist nicht der größte Brocken, das Bürgergeld, es gibt wirklich viel größere Probleme in diesem Land.
Maybrit Illner, ZDF-Moderatorin
Aus dieser Erkenntnis folgt allerdings: nichts. Illner fragt Quadbeck lediglich, warum sich Union und SPD „ausgerechnet“ auf das Thema Bürgergeld konzentrieren. Die Parteien könnten sich damit eben profilieren, antwortet die Journalistin.
Vielleicht könnte es auch daran liegen, dass Talkshows tagein, tagaus auf dem Bürgergeld herumreiten, anstatt sich jenen größeren Problemen zu widmen, von denen Illner spricht. An diesem Abend hätte sie die Chance, das zu ändern. Illner ergreift sie nicht.
Der größte Streit
Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen, hält das Bürgergeldthema für höchst relevant. Zwar kann er nicht beziffern, wie viele Bürgergeldbezieher durch härtere Sanktionen in Arbeit gebracht werden könnten. Allerdings beteuert er: „Es geht am Ende auch nicht um die absolute Zahl, sondern um Gerechtigkeit.“
Das ist ein gutes Stichwort. Nach einer schier endlosen Debatte darüber, in welchen Konstellationen Arbeitnehmer vielleicht doch weniger Geld zur Verfügung haben als Sozialleistungsbezieher (Verena Bentele atmet betont tief aus), kann sich Illner dazu durchringen, auch die andere Seite der Gerechtigkeitsfrage in den Blick zu nehmen. Es geht um die Vermögensverteilung in Deutschland, die Unionsfraktionschef Jens Spahn kürzlich als „Problem“ bezeichnete.
„Ist das nicht auch eine Form von leistungslosem Einkommen?“, fragt Illner Ziemiak mit Blick auf ererbtes Vermögen. „Das ist erarbeitetes Geld, das ist versteuertes Geld“, antwortet der wie aus der Pistole geschossen. „In Form einer Erbschaft?“, fragt Illner etwas ungläubig. „Es ist erarbeitet worden, es ist versteuert worden“, wiederholt Ziemiak. Viel Geld stecke außerdem in Betrieben.
„In der Analyse“ schließt sich Türmer Jens Spahn an. Kein Wunder, schließlich klang der fast wie ein Juso. Es überrasche ihn jedoch, sagt Türmer mit zunehmend lauter werdender Stimme, wie man sich über Bürgergeldbezieher empören könne, über Milliardenerben aber nicht. Schließlich seien diese Erbschaften „völlig leistungslos und komplett unverdient“. Man soll ihm den Ärger ruhig anhören, so scheint es.
„Wenn Sie diese Toleranz hätten bei Leuten, denen es dreckig geht, wie Sie das haben, wenn Leute auf Ihrer Yacht sitzen ...“, wirft Türmer seinem CDU-Kontrahenten an den Kopf. „Es ist polemisch“, empört sich Ziemiak daraufhin mehrmals.
Wie sein Parteifreund Spahn hält er es für geboten, das ausstehende Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Erbschaftssteuer abzuwarten, bevor weiter darüber debattiert wird. Vor diesem Urteil, so schätzt es auch die Politikjournalistin Eva Quadbeck ein, werde es keine Entscheidungen in der Sache geben.
Der Tiefpunkt der Sendung
Kurz darauf kommt Illner schon wieder auf das leidige Bürgergeld zu sprechen. „Wir müssen unbedingt darüber reden, dass dieses Bürgergeld auch missbraucht wird“, behauptet sie. Über Reformansätze für das mit stetig mehr Steuergeld am Leben erhaltene Rentensystem oder die langen Wartezeiten auf Arzttermine in Deutschland muss dagegen scheinbar nicht gesprochen werden.
„Gegen bandenmäßigen Betrug müssen wir unbedingt etwas tun“, betont Juso-Chef Türmer. Damit wäre das Thema eigentlich vom Tisch, denn wenig überraschend teilen alle anderen Gäste diese Auffassung.
Aber es wäre keine Talkshow, wenn man sich an dieser Stelle ernsthaft über mögliche Lösungsansätze unterhalten würde. Stattdessen entbrennt ein Streit um die Frage, wer die Schuld an diesen Missständen trägt – und wie man darüber sprechen sollte. Es wird der Tiefpunkt der Sendung.
Ob man EU-Ausländern, die vielfach Sozialleistungen beziehen, die Zuwendungen einfach streichen kann, fragt Illner Ziemiak. „So einfach ist es nicht“, setzt der an. Statt aber näher zu erklären, warum das so ist, oder konkrete Reformansätze zu präsentieren, wählt Ziemiak den einfachen Weg.
Er wolle „mal nicht drum herumreden“, fährt der CDU-Politiker fort: „Es geht hier um Menschen aus Südosteuropa, vor allem Rumänien und Bulgarien, es geht vor allem im Bereich von Sinti und Roma.“ Das beantwortet weder die Frage der Moderatorin, noch bringt es die Debatte voran, einer ethnischen Minderheit ein solches Etikett anzuheften.
Es geht hier um Menschen aus Südosteuropa, vor allem Rumänien und Bulgarien, es geht vor allem im Bereich von Sinti und Roma.
Paul Ziemiak, Generalsekretär der NRW-CDU, über Sozialleistungsmissbrauch
Die Moderatorin sieht jedoch keinen Anlass, solche Pauschalurteile kritisch zu hinterfragen. Das überlässt sie Türmer, der sogleich ordentlich draufhaut. „Genau das, was Sie gerade betreiben, ist eben falsch“, hält er Ziemiak vor. „Diese Verbindung, dass das Sinti und Roma wären...“, Türmer stockt, schwenkt um, „...da wird hier grade auf ganz populistische Knöpfe gedrückt.“
Er sei bei vielen Terminen in von Sozialleistungsbetrug betroffenen Städten gewesen, erwidert Ziemiak. „Man soll jetzt auch nicht sagen, das sind Sinti und Roma, man soll nicht sagen Rumänien und Bulgarien – die Leute können dieses politisch Korrekte nicht mehr hören.“
Wie die EU-Freizügigkeitsregeln konkret angepasst werden könnten, um Missbrauch vorzubeugen, bleibt indes offen. Auch Palmer, der in der Sendung ungewohnt zurückhaltend auftritt, kann lediglich darauf hinweisen, dass das Problem „auf EU-Ebene gelöst werden muss“. Nur wie? Bei „Illner“ erfährt man es jedenfalls nicht.
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