zum Hauptinhalt
Friedrich Merz Nöte werden immer größer. Er scheitert an Erwartungen, die er selbst geweckt hat.

© REUTERS/Karina Hessland

Wie lange kann das noch gut gehen?: Merz merkelt sich durch

Schlechte Umfragen und eine miserable Koordination plagen die Union. Der Kanzler ist mit seinem erlahmten Reformeifer kaum wiederzuerkennen.

Daniel Friedrich Sturm
Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Stand:

Am Sonntag entscheidet sich, wer nach zehn Jahren die von der CDU nominierte und unterstützte Kölner Oberbürgermeisterin Henrike Reker beerben wird. In der Stichwahl in Deutschlands viertgrößter Stadt stehen eine Grüne und ein Sozialdemokrat. Der CDU-Kandidat hatte nicht einmal jeden fünften Wähler für sich gewonnen.   

Köln ist nicht Deutschland, und womöglich gewinnt die CDU am Sonntag einige OB-Posten in kleineren Städten in NRW. Aber: Die Wahlschlappe in der Heimat Konrad Adenauers ist ein Indikator dafür, wie schlecht es um die Union steht. In den jüngsten Umfragen liegen CDU/CSU inzwischen unter ihrem bescheidenen Bundestagswahlergebnis von 28,5 Prozent. Manche Umfrage sieht sogar die AfD vor der Union – und zwar nicht etwa nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland. Die Werte von Friedrich Merz brechen ein.

Enorm ist der Druck, der auf Merz lastet. Er beruht auf den globalen Krisen und Kriegen, dem Nullwachstum in Deutschland, der noch viel schlechteren Stimmung. Der Druck auf Merz aber rührt auch von Merz selbst, genauer gesagt: von den von ihm im Wahlkampf und noch danach geweckten Erwartungen.

Merz ist Opfer der Erwartungen, die er selbst geweckt hat

Zwei Jahrzehnte lang war Merz als Reformer durch das Land gezogen; er konnte den Mund nicht voll genug nehmen. Im Wahlkampf warb Merz für „CDU pur“, wollte das Land regelrecht umkrempeln. Nach der Wahl, als Kanzler, kündigte er einen „Herbst der Reformen“ an. Noch im Juli wies er treffend darauf hin, seine Regierung müsse wichtige Entscheidungen in der ersten Hälfte ihrer Amtszeit treffen.

Der Merz von heute will von all dem anscheinend nichts mehr wissen. Er appelliert an die eigenen Leute, die SPD nicht zu überfordern oder gar zu ärgern („Klingbeil ist sensibel“). Auf den „Herbst der Reformen“, sagte Merz vor einer Woche, folge ein Winter der Reformen, dann ein Frühling der Reformen und so weiter. Das klingt nach der Methode lange Bank. Und es passt zu einer Koalition, die erst einmal in Kommissionen über Schuldenbremse, Sozialstaat, Rente reden will.

In seiner Regierungserklärung am Mittwoch wies Merz darauf hin, keine Partei sei mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet. Er pries den Wert des Kompromisses. Das war ein Hinweis an diejenigen in den eigenen Reihen, die noch immer von „CDU pur“ träumen, möglichst „schmerzhafte“ Reformen wollen oder meinen, im Zweifel ließe sich ohne die SPD regieren.

Merz mag noch immer dazu neigen, seine jeweiligen Überzeugungen stets mit etwas zu viel Verve in der Stimme vorzutragen. Er aber hat gelernt, dass ein Kanzler kein Vorstandsvorsitzender ist, nicht „Durchregieren“ kann. Merz ist voll im Regierungsalltag angekommen. Und der besteht aus Zwängen.

Eine weitere Merkel-Kopie braucht es nicht

Der Kanzler Merz muss mit jedem Tag im Amt mehr und mehr den Wahlkämpfer Merz verraten. Fast schon regiert Merz nach dem Stil Angela Merkels. Doch die ruhige Hand passt nicht zu Merz, gibt kein stimmiges Bild ab. Man muss die Menschen in der CDU verstehen, die sein Agieren furchtbar finden – und die sich sorgen, dass Merz’ Merkeln vor allem der AfD hilft.

Anders als unter Merkel aber ist Merz’ Regierungsmanagement nicht geräuschlos, die Prozesse rumpeln. Ständig gibt es Kommunikationspannen, erst jüngst um die „Straßen-Streichliste“. Zwischen Bundesregierung und Unionsfraktion läuft es nicht rund. Was macht eigentlich der für Koordination zuständige Kanzleramtsminister?  

Kanzler lernen im Amt, und sie neigen dazu, den Menschen nichts „zumuten“ zu wollen, siehe Merkel, siehe Olaf Scholz. Die Menschen sähen, „dass wir wirklich etwas grundlegend ändern müssen“, sagte Merz jüngst. War das eine Selbstbeschwörung? Es wäre Deutschland zu wünschen.

Die Zeiten heute nämlich sind anders als unter Merkel. Schon Scholz, der Merkel kopieren wollte, ist damit gescheitert. Merz muss jetzt klar sagen, wie er sich Reformen vorstellt, und wie er sie erreichen will. Die SPD zu schonen – das kann kein Maßstab sein. Alle drei Regierungsparteien müssen etwas wagen, und jeweils ein paar lieb gewonnene Besitzstände über Bord werfen – so sehr es der alten Merz-CDU weh tun wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })