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Russische Soldaten in Sewastopol, Ukraine.

© Foto: dpa/uncredited

Ukraine-Invasion Tag 217 : Tausende Anrufe von russischen Soldaten abgehört - „Putin ist ein Narr“

Geplante Annexion und Unterzeichnungszeremonie mit Putin, neue Erkenntnisse zu Nord-Stream-Lecks, Zehntausende fliehen aus Russland. Der Überblick am Abend.

Stand:

Die schlechte Moral der russischen Truppen könnte am Ende einer der entscheidenden Faktoren in diesem Krieg sein (Thema gestern im Newsletter). In der Nacht zum Donnerstag hat die „New York Times“ eine beeindruckende Recherche veröffentlicht, die unter anderem zeigt, wie desillusioniert viele russische Soldaten schon in den ersten Tagen des Krieges waren (Quelle hier). 

Die Reporter der Zeitung hatten Zugang zu tausenden vom ukrainischen Geheimdienst abgehörten Telefonaten russischer Soldaten mit ihren Verwandten in der Heimat. Teilweise konnte die Zeitung einzelne Soldaten identifizieren, ebenso wie den Ort, von wo aus sie anriefen. Die meisten Telefonate kamen aus den Vororten von Kiew. 

Von miserabler Planung ist dort die Rede, von überraschend heftiger Gegenwehr der Ukrainer, von hunderten Toten und fast vollständig ausgelöschten Eliteeinheiten, vom Fehlen der Nazis, die man eigentlich bekämpfen solle, von fehlender Ausrüstung, Verpflegung und Medizin. Angeprangert wird auch die heimische Propaganda, die den Feldzug als eine Spaziergang darstelle - in Wahrheit sei die Situation vor Ort die Hölle. 

Die Soldaten erzählen ihren Frauen, Müttern und Vätern auch, wie sie Zivilisten gefoltert und ermordet haben. Wie sich Leichen in den Straßen stapeln, die niemand wegräumt. Wie sie Häuser plünderten. „Willst du einen Samsung-Fernseher oder einen LG“, fragt einer der Soldaten seine Frau. 

„Putin ist ein Narr“, sagt einer von ihnen im Gespräch. „Er will, dass wir Kiew erobern, aber wir haben überhaupt keine Chance.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

Polizisten gehen vor einem geplanten Konzert auf dem Roten Platz an Bannern mit der Aufschrift «Donezk, Luhansk, Saporischschja, Cherson, Russland» vorbei.

© Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

  • Unterzeichnungszeremonie mit Putin: Die Annexion der vier ukrainischen Regionen ist für Freitag in Moskau geplant. Auf dem Roten Platz wird es auch einen öffentlichen Auftritt von Putin geben (Foto oben). Die Fläche der annektierten Gebiete (Cherson, Saporischschja, Luhansk, Donezk) entspricht der von Portugal und macht 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes aus. Mehr hier.
  • Um Soldaten und militärisches Gerät in die Ukraine zu verlegen, zieht Russland Einheiten aus der nordisch-baltischen Region, also der Nato-Grenze, ab. Militärexperten beobachten das Geschehen misstrauisch. Mehr lesen Sie hier.
  • Schäden an Nord-Stream-Leitungen: Sicherheitsbeamte beobachteten offenbar russische Schiffe kurz vor den Explosionen. Mehr hier.
  • Ersten Berechnungen zufolge könnten die Gaslecks bei den Ostsee-Pipelines so viel Methan ausstoßen wie zweieinhalb Kohlekraftwerke in einem Jahr. Umweltschützer dringen auf eine Lösung. Mehr hier.
  • Ab Mitternacht in der Nacht zum Freitag lässt Finnland keine russischen Touristen mehr ins Land. Damit könnte sich die Zahl an Einreisenden aus Russland halbieren. Mehr hier.
  • 14 Prozent über dem Vorjahreswert: Angesichts der herbstlichen Wetterlage wurde in der vergangenen Woche nun doch mehr Gas verbraucht als erhofft. Die Bundesnetzagentur fordert „erhebliche Einsparungen“. Mehr hier.
  • UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußert sich besorgt über die Vorbereitungen Russlands für eine Annexion von Teilen der Ukraine. Jeder weitere Schritt im Zusammenhang mit der Annexion der ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja wäre „eine gefährliche Eskalation“ und würde die Aussichten auf Frieden in der Region gefährden, erklärt Guterres. Mehr in unserem Live-Blog.
  • Lettland beschließt Sprachreform im Schulwesen: Kein Russisch mehr: In Lettland soll bis 2025 Lettisch schrittweise zur alleinigen Unterrichtssprache in Kindergärten und Grundschulen werden. Das Parlament in Riga stimmte am Donnerstag für die von der Mitte-Rechts-Regierung eingebrachten Änderungen am Bildungsgesetz. Demnach soll im dem baltischen EU- und Nato-Land mit einer großen russischen Minderheit der Übergang vom kommenden Schuljahr an erfolgen. 
  • Fast jeder zweite Russe hat einer Umfrage zufolge ängstlich und erschrocken auf die von Kremlchef Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung reagiert. Insgesamt 47 Prozent der Befragten beschrieben ihre Gefühlslage nach Putins Rede vor gut einer Woche mit „Angst, Furcht, Entsetzen“, wie aus am Donnerstag veröffentlichten Ergebnissen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada hervorgeht. 23 Prozent gaben dagegen an, „stolz auf Russland“ zu sein. Die Umfragen des unabhängigen Lewada-Instituts werden auch von westlichen Experten geschätzt - als vergleichsweise authentisch und nach anerkannten sozialwissenschaftlichen Prinzipien umgesetzt. 
  • Mit Blick auf die geplante russische Annexion von Teilen der Ost- und Südukraine kommt an diesem Freitag in der Ukraine der Nationale Sicherheitsrat zusammen. „Präsident Wolodymyr Selenskyj beruft für morgen dringend eine Sitzung des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ein“, teilte Präsidentensprecher Serhij Nykyforow am Donnerstag bei Facebook mit.Papst Franziskus hat nach eigenen Angaben bei den Bemühungen um einen Gefangenenaustausch in der Ukraine mitgeholfen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche erzählte davon bei einem Treffen mit Jesuiten in der vorvergangenen Woche in Kasachstan, dessen Wortlaut die Jesuiten-Zeitschrift „La Civiltà Cattolica“ nun veröffentlichte. Franziskus führte dabei nicht konkret aus, wann er geholfen hatte und ob sein Einsatz letztlich erfolgreich war.
  • Die Flucht Zehntausender russischer Männer wegen der Teilmobilmachung hat nach britischer Einschätzung zu einem enormen intellektuellen Aderlass für Russland geführt. „Unter denjenigen, die versuchen, Russland zu verlassen, sind die Bessergestellten und Gutausgebildeten überrepräsentiert“, teilte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

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