zum Hauptinhalt
Der ukrainische Generalstab hat Fotos veröffentlicht, auf denen zu sehen ist, wie die ukrainischen Truppen moderne Himars-Systeme gegen russische Ziele einsetzt (Symbolbild).

© IMAGO/Cover-Images

Ukraine-Invasion Tag 231: Der Plan hinter 140 Himars-Angriffen auf eine Brücke in Cherson

Kremlchef sendet bei russischer Energiewoche ambivalente Signale. Habeck rechnet im nächsten Jahr mit Rezession. Mehr als 90.000 russische Soldaten sollen „unwiederbringlich“ verloren sein. Der Überblick am Abend.

Stand:

Die Ukrainer rücken im Süden des Landes in der Region Cherson weiter vor. Heute bestätigte Kiew die Eroberung von fünf Dörfern. Was nach nicht viel klingt, könnte Teil einer Strategie sein, die russischen Truppen in Cherson endgültig von der Versorgung auf dem Landweg abzuschneiden.

Anfang Oktober waren die ukrainischen Truppen durch die Verteidigungslinien im Norden von Cherson gebrochen und rückten innerhalb weniger Stunden rund 20 Kilometer vor. Dem vorausgegangen waren wochenlange verlustreiche Kämpfe für beide Seiten. Laut russischen Militärbloggern soll nur das schlechte Wetter und eine gesprengte Bürcke einen weiteren Vormarsch der Ukrainer verhindert haben.

Das Ziel der Ukraine ist laut westlichen und russischen Beobachtern klar: Die Truppen wollen auf der Westseite des Flusses Djnepr bis auf die Höhe der russisch besetzten Stadt Nova Kachowka auf der Ostseite des Flusses nachrücken. Dort befindet sich ein Damm, der trotz zahlreichen Angriffen noch immer den Übergang über den Fluss gewährt.

Gelingt den Ukrainern die Besetzung des Dammzugangs auf der Westseite, würde einerseits der russische Nachschub abgeschnitten. Gleichzeitig könnten auch die Ukrainer versuchen, auf die Ostseite vorzustoßen. Rund 40 Kilometer sind die Ukrainer derzeit noch vom Dammzugang entfernt.

Schaffen die Ukrainer es bis dahin, wären die Folgen für die russischen Truppen in Cherson dramatisch. Denn einen weiteren Übergang gibt es nicht. In der Stadt Cherson haben die Ukrainer laut eigenen Angaben die Antoniwka-Brücke bisher rund 140 Mal mit Himars-Raketenwerfern beschossen. Sie ist für das Militär unbrauchbar, nur Fähren könnten noch eingesetzt werden. Die Russen könnten sich nur noch in der Stadt verschanzen. Dort würde ihnen aber bald die Munition ausgehen. In diesem Fall bliebe nichts als die Kapitulation.

Eine gute Lösung außer den Rückzug aus den noch besetzten Teilen von Cherson gibt es für die Russen in diesem durchaus wahrscheinlichen Szenario nicht. Sie haben viele ihrer besten und erfahrendsten Truppen in der Region zusammengezogen, um die Ukrainer zu stoppen. Scheitert das, bedeutet das den Verlust bedeutender Teile eben dieser Truppen. Und die fehlen Putin und seinen Generälen gerade am meisten. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Bei der russischen Energiewoche sendet der Kremlchef ambivalente Signale. Er stellt Gaslieferungen in Aussicht und droht der EU zugleich mit einem Lieferstopp bei Energie. Mehr hier.
  • Robert Habeck rechnet im nächsten Jahr mit einer Rezession in Deutschland. Auch die Inflation bleibt hoch. Zunächst dürfte die Wirtschaft aber noch etwas zulegen. Er warnt: „Wir erleben derzeit eine schwere Energiekrise, die sich immer mehr zu einer Wirtschafts- und Sozialkrise auswächst.“ Mehr hier. 
  • Der russische Präsident befinde sich in einer „Eskalationsspirale“, sagt Politologe Gerhard Mangott. Ein diplomatischer Ausweg aus dem Krieg sei kaum mehr möglich. Eine „nukleare Eskalation“ werde wahrscheinlicher. Mehr hier. 
  • Mehr als 90.000 Soldaten der russischen Armee sollen „unwiederbringlich“ verloren sein, berichtet das russische Exilmedium „Meduza“ unter Berufung auf das russische Investigativprojekt „iStories“. Die Informationen sollen von einem Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB und einem ehemaligen Sicherheitsmitarbeiter Russlands stammen. Zu den „unwiederbringlichen“ Verlusten sollen jedoch nicht nur getötete Soldaten zählen, sondern auch jene, die im Kampf so schwer verletzt wurden, dass sie nicht mehr eingesetzt werden können. Zudem gehören zu den Verlusten Militärpersonal, das vermisst wird oder sich unerlaubt vom Dienst entfernt habe. Mehr in unserem Live-Blog. 
  • Russland hat nach Angaben aus Nato-Kreisen inzwischen einen erheblichen Teil seiner präzisionsgelenken Munition verbraucht. Aufgrund der westlichen Sanktionen könne die russische Industrie nun nicht alle Munitionsarten und Waffensysteme herstellen, sagt ein Insider. Dieser deutet an, dass es einige Monate dauern könne, bis die von Russland eingeleitete Mobilisierung von 300.000 Soldaten erfolgt sei.
  • Das Atomkraftwerk in Saporischschja ist der Internationalen Atom-Energieagentur (IAEA) zufolge wieder am externen Stromnetz angeschlossen. IAEA-Chef Rafael Grossi schreibt auf Twitter, er sei von seinen Leuten vor Ort entsprechend informiert worden. Grund für den Ausfall am Morgen sei der Beschuss einer weiter entfernten Anlage gewesen, „was unterstreicht, wie prekär die Situation ist“, schreibt Grossi.
  • Mindestens zwölf weitere EU-Staaten wollen „Spiegel“-Informationen zufolge unter den Raketenschutzschirm, den Bundeskanzler Olaf Scholz im August vorgeschlagen hatte. Damit gemeint ist ein gemeinsames Luftverteidigungssystem. Am Mittwoch soll demnach am Rande des Nato-Verteidigungsministertreffens im Brüsseler Hauptquartier eine gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet werden.
  • In Russland findet nach Darstellung des Präsidialamtes keine verstärkte Mobilmachung von Reservisten statt. „Es gibt keine neue Welle“, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Mittwoch vor der Presse. Er reagierte damit auf Berichte einiger Vertreter von Regionalbehörden, sie würden verstärkt militärisch erfahrene Männer zur Armee einberufen.
  • Bei einem russischen Angriff auf die ostukrainische Stadt Awdijiwka sind nach Angaben des ukrainischen Gouverneurs der Region Donezk mindestens sieben Menschen getötet und acht verletzt worden. Der von vielen Menschen besuchte Markt der Stadt sei getroffen worden, teilt Pawlo Kyrylenko mit.
  • Die schweren russischen Luftangriffe haben nach Angaben aus Kiew seit Montag rund 30 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur getroffen. Es sei das erste Mal seit Beginn des Krieges Ende Februar, dass Russland die Energieinfrastruktur „auf dramatische Weise ins Visier genommen“ habe, sagte der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko dem US-Sender CNN am Dienstag. Als einen Grund für die Angriffe sah Haluschtschenko, dass ukrainische Stromexporte den europäischen Ländern helfen würden, weniger russisches Gas und Kohle nutzen zu müssen.
  • Verteidigungsminister und hochrangige Militäroffiziere aus rund 50 Staaten kommen sich am Mittwochmorgen im Nato-Hauptquartier in Brüssel zur sechsten Sitzung der Ukraine Defense Contact Group zusammen. Dabei handelt es sich um eine von den Vereinigten Staaten geführte Koalition, die Kiew mit militärischer und humanitärer Hilfe versorgt.
  • Das Institute for the Study of War (ISW) untermauert Berichte des ukrainischen Militärs, dass Russland Waffen, Ausrüstung und Munition aus Belarus erhält. Dem Institut zufolge gibt es öffentlich zugängliche Daten, die nahelegen, dass Russland derzeit Züge belädt, die von Belarus aus südlich und östlich gelegene Einsatzgebiete in der Ukraine versorgen sollen. Die Experten gehen allerdings nicht davon aus, dass diese Aktivitäten „Bedingungen für einen groß angelegten russischen oder belarussischen Bodenangriff“ gegen die Ukraine von Belarus aus schaffen.
  • Wegen der Explosion auf der für Russland strategisch wichtigen Krim-Brücke sind nach Behördenangaben acht Personen festgenommen worden. „Zum derzeitigen Zeitpunkt sind im Zusammenhang mit dem Strafverfahren fünf russische Staatsbürger und drei Staatsbürger aus der Ukraine und Armenien festgenommen worden“, teilte der Pressedienst des russischen Geheimdienstes FSB am Mittwoch der Nachrichtenagentur Interfax zufolge mit.
  • Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow dankt US-Präsident Joe Biden für vier zusätzliche Himars-Raketenwerfer (High Mobility Artillery Rocket System). „Himars-Zeit: Eine gute Zeit für die Ukrainer und eine schlechte Zeit für die Besatzer“, schreibt er nach der Ankunft der mobilen Mehrfachraketenwerfer auf Twitter. Inzwischen sind 20 Himars an die Ukraine geliefert worden.

Hintergrund und Analyse

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })