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Je besser es finanziell geht, desto größer die Zufriedenheit mit der EU.

© picture alliance / Uli Deck/dpa

Umfrage zur Zufriedenheit mit der EU: Ja zum Projekt, nein zur Bürokratie

In den Ost-Ländern wächst der Zuspruch zur EU, in Großbritannien sinkt er. Tendenziell fühlen die Bürger sich von der EU-Politik übergangen. Ein Gastbeitrag.

- Michael Dimock ist Präsident des Pew Research Center, Thomas Paulsen ist Vorstand der Körber-Stiftung

Der 30. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin steht bevor, von der Feierstimmung im Jahr 1989 sind wir allerdings weit entfernt. Die Vorstellung von Europa, vereint durch liberale demokratische Prinzipien und offene Märkte, wurde in den letzten Jahren durch nationalistischen Populismus, den Zustrom von Flüchtlingen, Schuldenkrisen und die schwierigen Beziehungen zu den USA infrage gestellt. Diese und andere Entwicklungen haben das Vertrauen selbst der treuesten Unterstützer des europäischen Projekts erschüttert.

Wie eine neue Umfrage des Pew Research Center zur öffentlichen Meinung in Europa jedoch zeigt, haben die Menschen die Ideale, die Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus geeint haben, nicht aufgegeben. Allerdings sind sie vom gegenwärtigen Stand der Politik enttäuscht und befürchten, dass die Blütezeit Europas der Vergangenheit angehört.

In den Ost-Ländern wächst der Zuspruch

Die Umfrage, an der rund 19.000 Menschen in 14 EU-Mitgliedstaaten auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs teilgenommen haben, kommt zu dem Ergebnis, dass in der Öffentlichkeit in Mittel- und Osteuropa die historischen Veränderungen, die sich vor drei Jahrzehnten ereignet haben, überwiegend positiv gesehen werden. In Ländern wie Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn und Litauen befürworten große Mehrheiten den Übergang zu einer Mehrparteiendemokratie und freien Märkten. Teilweise hat die Unterstützung seit der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren sogar noch zugenommen. Beispielsweise heißen gegenwärtig 69 Prozent der Litauer den Wechsel zur Marktwirtschaft gut, verglichen mit 50 Prozent im Jahr 2009.

Die Einstellung der Europäer zur Europäischen Union ist heute weitgehend positiv. In allen 14 Mitgliedstaaten, die an der Umfrage teilnahmen, haben mehr als die Hälfte der Befragten eine positive Einstellung zur EU. In den meisten Staaten sagt eine Mehrheit der Bevölkerung, dass die Mitgliedschaft in der EU gut für ihr Land ist und die wirtschaftliche Integration die nationale Wirtschaft gestärkt hat. Aber es gibt auch Vorbehalte gegenüber der EU. Weniger als die Hälfte der Befragten im Vereinigten Königreich und in der Tschechischen Republik halten die Mitgliedschaft für positiv, und in einigen Ländern, die in den letzten Jahren mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten – wie z. B. Frankreich, Griechenland, Bulgarien und Italien – stellt ungefähr die Hälfte der Befragten die wirtschaftliche Integration als schlecht für ihr Land dar.

Ja zum Projekt, nein zur Bürokratie

Wie bereits früher in Meinungsumfragen des Pew Research Center nachgewiesen wurde, sind die Europäer größtenteils weiterhin der Auffassung, dass die EU für Frieden, Wohlstand und Demokratie steht, doch sie monieren auch, dass Brüssel sich einmischt, ineffizient ist und den Bezug zu den Bedürfnissen der normalen Bürger verloren hat. Negative Einstellungen gegenüber der EU finden sich weitaus häufiger bei Personen, die entweder rechten oder linken populistischen Parteien nahestehen.  

Ebenso wie die Menschen an die Werte der EU glauben, aber enttäuscht darüber sind, wie sie funktioniert, unterstützen viele Europäer in ihren Aussagen die Demokratie nachdrücklich, sind aber unzufrieden damit, wie sie derzeit funktioniert. Es gibt eine breite Unterstützung für viele grundlegende demokratische Rechte und Institutionen wie die Existenz einer unabhängigen Justiz, Gleichberechtigung der Geschlechter, freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit. Doch mindestens zwei Drittel der Befragten in Schweden, in den Niederlanden, in Polen, Deutschland, Griechenland, Bulgarien, im Vereinigten Königreich und in Italien sind unzufrieden damit, wie die Demokratie in ihrem Land funktioniert.

In allen Ländern wird Bürgerferne beklagt

Die Frustration darüber, dass es Politikern an Bezug zu den Menschen fehlt, fördert die Unzufriedenheit der Menschen mit der Demokratie. Aus allen 14 Staaten der EU, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, stimmen im Mittelwert lediglich 28 Prozent der Befragten mit der Aussage überein: „Die meisten gewählten Amtsträger interessieren sich dafür, was Menschen wie ich denken.“ Auf die Frage, ob sie die Zukunft ihres Landes bei verschiedenen Themen im Allgemeinen optimistisch oder pessimistisch beurteilen, äußern sich im Mittelwert lediglich 31 Prozent der Befragten optimistisch über die Art und Weise, wie ihr politisches System funktioniert.

Die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung sehen viele Menschen mit großer Sorge. Nur 37 Prozent der Befragten (Mittelwert) sind optimistisch, dass künftig gut bezahlte Arbeitsplätze verfügbar sein werden, und lediglich 23 Prozent sind der Ansicht, dass Ungleichheit beseitigt wird. Die finanziellen Aussichten der nächsten Generation werden pessimistisch beurteilt. Dies gilt nicht nur für Staaten wie Griechenland, in denen die meisten Menschen die Wirtschaft als schwach darstellen, sondern auch für Länder wie die Niederlande, wo die wirtschaftliche Entwicklung positiv gesehen wird und 59 Prozent der Befragten trotzdem der Ansicht sind, dass die nächste Generation schlechter gestellt sein wird als deren Eltern.

Auf die nächste EU-Kommission wartet viel Arbeit

1989 strömten die Menschen auf die Straßen von Berlin und anderen Städten, um ihrem Wunsch nach einer freien demokratischen Zukunft Ausdruck zu verleihen und das Ende eines geteilten Europas zu feiern. Drei Jahrzehnte später wollen die Europäer nach wie vor Demokratie und freie Märkte; und die meisten von ihnen glauben weiterhin an gemeinsame europäische Werte. Doch in ihrer Begeisterung für diese Grundsätze und Werte mischt sich Enttäuschung darüber, wie Demokratie und Kapitalismus heute funktionieren, sowie die Sorge um die Zukunft.

Mit diesen Gegebenheiten ist die neue Europäische Kommission konfrontiert, wenn sie am 1. November ihre Arbeit aufnimmt. Sie wird sich einer Menge von Herausforderungen gegenübersehen, unter anderem dem Brexit, euroskeptischen Populisten und den unvermeidlichen Spannungen zwischen Brüssel und den nationalen Hauptstädten. Doch viele der grundlegenden Ideen hinter dem breit angelegten europäischen Projekt finden bei den Bürgern der Europäischen Union nach wie vor Anklang, wie die neue Umfrage zeigt. Diese Unterstützung für Europa wird allerdings nur Bestand haben, wenn es den politischen Eliten in Brüssel und andernorts gelingt, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie auf deren Sorgen und Hoffnungen eingehen.

Michael Dimock, Thomas Paulsen

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