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Beschädigt sie mit der „feministischen Außenpolitik“ die deutsche Diplomatie? Die Union warnt Annalena Baerbock, hier auf Sommerreise, davor.

© John MACDOUGALL/AFP

Diplomaten-Auslese: Union sieht Qualitätszerfall im Außenministerium

Das Auswärtige Amt hat probehalber zwei Tests für die Auswahl von Diplomatinnen und Diplomaten abgeschafft. CDU und CSU werfen Baerbock ideologische Gründe vor.

Von Hans Monath

Stand:

Nach einer Reform der Einstellungstests für das Auswärtige Amt (AA) fürchtet die Union um die Qualität deutscher Diplomatinnen und Diplomaten. Vertreter von CDU und CSU wittern in dem von Annalena Baerbock (Grüne) geführten Haus deshalb „grüne Vetternwirtschaft“. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), sagte dem Tagesspiegel, Deutschland habe „einen der besten diplomatischen Dienste der Welt“. Dies sei das Ergebnis eines anerkannten Auswahlverfahrens.

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„Wer Deutschland in der Welt repräsentiert, muss umfassend gebildet und geeignet sein“, verlangte der CDU-Politiker: „Gerade in einer unübersichtlichen globalen Lage dürfen die hohen Standards der Diplomatenauswahl keinesfalls geschliffen werden.“ Sonst riskiere die Außenministerin „eine Schwächung ihres wichtigsten Instruments“, um jenseits von Regierungskonsultationen nachhaltig im Ausland zu wirken.

Hardt weiter: „Es wäre fatal, wenn nach der fragwürdigen Beförderung der Lobbyistin Jennifer Morgan ohne diplomatische Erfahrung zur Staatssekretärin der Ruf unseres Diplomatischen Dienstes unter Baerbock weiter infrage gestellt würde.“ Morgan war zuvor Geschäftsführerin von Greenpeace.

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Der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), warnte in der „Bild“-Zeitung: „Die Ministerin muss aufpassen, ihre vermeintlich feministische Außenpolitik nicht ins Lächerliche zu ziehen.“

Die Union hatte schon die Berufung der früheren Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan (ganz links) zur Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt hart kritisiert.

© IMAGO/photothek

Das AA ist das einzige Ministerium, in dem Anwärter für den höheren Dienst eine hauseigene zwölfmonatige Ausbildung durchlaufen müssen, wenn man von Militärs im Verteidigungsministerium absieht, die die Generalstabsausbildung absolviert haben.

Dies sorgt für einen Corpsgeist und auch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein vieler Diplomatinnen und Diplomaten, die ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen müssen. Rund 90 sollen in diesem Jahr angenommen werden, 2021 waren 1600 Bewerbungen eingegangen. Die Teilnehmer eines Ausbildungsjahrgangs („Crew“) lernen sich gut kennen und bleiben sich oft in ihrer ganzen Laufbahn eng verbunden. 

Tatsächlich hat das AA unter Baerbocks Leitung nun den unter Bewerberinnen und Bewerbern gefürchteten Allgemeinbildungstest sowie den psychologischen Eignungstest zumindest vorübergehend abgeschafft. Hintergrund war auch die Benachteiligung von Frauen, die nach dem Willen der Ministerin und auch ihres Vorgängers Heiko Maas (SPD) gefördert werden sollten und sollen. Gegenwärtig liegt der Frauenanteil in Führungspositionen des Außenministeriums bei 24 Prozent.

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Mit der zunächst als Pilotprojekt geplanten und damit noch nicht endgültig beschlossenen Abschaffung zweier Testverfahren wertete das Auswärtige Amt die Bedeutung der Fachtests in den Fächern Politik, Recht, Wirtschaft und Geschichte auf. Zum Urteil über die Bewerberinnen und Bewerber tragen zudem die Auswertung einer von ihnen geforderten schriftlichen Analyse und intensive Auswahlgespräche bei. Bei der Personalauswahl hat sich das Auswärtige Amt auch soziale Diversität als Ziel gesetzt, will aber dafür keine Standards senken.

Der Umgang der Union mit der Außenministerin ist nicht frei von Widersprüchen. Außenpolitiker von CDU und CSU haben der Grünen im Bundestag mehrfach eine bislang gute Leistung bescheinigt und sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in diesem Zusammenhang aufgefordert, ihrem Beispiel zu folgen. Anerkennung in der Union fand auch, dass Baerbock und andere Grünen-Vertreter früher und entschiedener als weite Teile der SPD für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine eintraten.

Spiegelt die Auswahl der Diplomatinnen und Diplomaten noch die deutsche Gesellschaft wider? Im Bild der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Botschafterkonferenz 2014 im Auswärtigen Amt.

© Bernd von Jutrczenka/DPA

Auf der anderen Seite arbeiten sich Vertreter der Union wie nun Thorsten Frei immer wieder am Bekenntnis Baerbocks zum Konzept einer „feministischen Außenpolitik“ ab. Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte im März im Bundestag im März davor gewarnt, die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr dürften nicht in eine „feministische Außenpolitik“ investiert werden. Mit abfälliger Geste sagte Merz damals: „Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen, feministische Entwicklungshilfepolitik, das können Sie alles machen, aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr.“

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Allerdings ist das Konzept in der Fachwelt längst etabliert und wird auch vom Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, verteidigt, der lange außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war.

Das Nachdenken über einen höheren Dienst, der nicht nur bestimmte gesellschaftliche Gruppen repräsentiert, hat im AA lange vor Baerbock begonnen. So hatte die damalige Staatssekretärin Emily Haber, die heute Botschafterin in Washington ist, bei ihrer Abschiedsrede im Januar 2014 „außenpolitisches Revierverhalten“ beklagt, eine Öffnung des Dienstes für Seiteneinsteiger gefordert und einen „Verzicht auf die Perlenschnursicherheit von Postenfolgen im Binnengeüge“ des AA verlangt. 

Sie forderte schon im Januar 2014 eine radikale Durchlüftung des höheren Dienstes  im Auswärtigen Amt: Emily Haber war damals Staatssekretärin, seit 2018 ist sie deutsche Botschafterin in Washington. 

© Johnny Shryock

Die deutsch-amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver-Ashbrook verteidigte den Ansatz der Außenministerin. Die Diplomatie-Forschung zeige, dass Eignungstests, die in ihrer Struktur zum Teil vor 30 Jahren entwickelt worden seien, eine Voreingenommenheit aufweisen: "Sie bevorzugen bestimmte Bewerbergruppen nachhaltig", sagte sie dem Tagesspiegel.

Clüver Ashbrook hatte an der Harvard Kennedy School gemeinsam mit dem US-Diplomaten und  Botschafter seines Landes in Peking, Nicholas Burns, das Projekt „Future of Diplomacy“ aufgebaut. Ziel war es, eine neue Generation von Diplomatinnen und Diplomaten auf eine veränderte Weltlage vorzubereiten, nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Der Außenpolitikexpertin zufolge befinden sich viele westliche Außenministerien, darunter das State Department in Washington und der Quai d'Orsay in Paris, gerade im personellen Umbau. "Um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden - Klimawandel, Pandemiebekämpfung, Migrationskrisen, Ressourcenknappheit - braucht man neues, speziell für die Lösung dieser Probleme qualifiziertes und vor allem diverses Personal", sagte Clüver Ashbrook.

Und weiter: "In der diversen Perspektive - mehr Frauen, mehr qualifizierte Kandidaten mit anderen Qualifikationsschwerpunkten (auch etwa mit technologischem Hintergrund für die daten- und digitalgestützte Außenpolitik), mit Migrationshintergrund, etc. - liegen die neuen Lösungsansätze ganzheitlicher Außenpolitik." 

Viele Ministerien seien zu dem Schluss gekommen, dass ihre Eignungstests auf "Gleichheit" und nicht auf Kapazität filtern. "Es gilt diese also zu modernisieren und anzupassen, sodass neue Attaché-Jahrgänge nicht lediglich z. B. aus weißen, männlichen Juristen bestehen", empfahl sie. Clüver Ashbrook war zeitweise Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und ist nun "Non resident fellow" am Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin.

Die Ansage des AA, in diesem Jahr den psychologischen Eignungstest auszusetzen, sei "ein Zeichen dafür, dass das Ministerium mittelfristig die Verfahren überdenken und neue Eignungstests einführen möchte, die darauf abzielen, neue Perspektiven und neue Qualifikationen für das Ministerium zu gewinnen". Es gehe dabei "in keiner Weise um eine Qualitätsminderung".

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