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Stefan Weber

© Joachim Bergbauer

Vorbehalte der Union gegen Brosius-Gersdorf: Das hat es mit den Vorwürfen des österreichischen Plagiatsjägers auf sich

Stefan Weber ist für seine Recherchen über Publikationen von Prominenten bekannt. Nun schaltet er sich in die Wahl zum Verfassungsgericht ein. Aber so einfach wie er scheint, ist der Fall nicht.

Stand:

Jetzt knallt es in der schwarz-roten Koalition. Die Unionsfraktion wollte am Freitagmorgen plötzlich die Wahl für das Bundesverfassungsgericht absetzen. Und so kam es dann auch. Die Abstimmung wurde kurz vor Mittag von der Tagesordnung genommen.

Der Grund, warum die Union die Abstimmung verhindern wollte: Es gebe Plagiatsvorwürfe gegen die von der SPD nominierte Professorin Frauke Brosius-Gersdorf. Diese Vorwürfe, bekannt geworden am Donnerstag, müssten zunächst aufgeklärt werden. 

„Unser Hauptargument als Fraktionsführung war, dass die Kandidatin über jeden juristischen Zweifel erhaben ist – das war mit den neuen Vorwürfen infrage gestellt“, erklärte die Unionsfraktion dem Tagesspiegel.

Wer hat eigentlich bei wem abgeschrieben?

So weit, so klar, könnte man meinen. Brosius-Gersdorf wäre nicht die erste Person, die sich mit solchen Vorwürfen auseinandersetzen muss. Im Detail entpuppt sich der Fall aber als kompliziert.

Die mutmaßlichen Plagiatsvorwürfe, auf die sich Mitglieder der Union beziehen, wurden am Donnerstagabend um 20:10 Uhr vom ebenso bekannten, wie umstrittenen Österreicher Stefan Weber auf seinem Blog veröffentlicht (hier nachzulesen). Schon am Nachmittag hatte er bei „X“ ein erstes Ergebnis seiner Recherchen veröffentlicht.

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Weber prüft seit Jahren wissenschaftliche Arbeiten, aber auch Bücher auf Plagiate. Auf „X“ bezeichnet er sich selbst als „Plagiatsjäger“. Im Fall Brosius-Gersdorf spricht er aber gar nicht von Plagiaten, sondern von „Textparallelen“.

Weber meint nun, in der Doktorarbeit von Frauke Brosius-Gersdorf 23 Stellen gefunden zu haben, die Parallelen zu der Habilitationsschrift des in Leipzig lehrenden Juristen Hubertus Gersdorf aufweisen. Gersdorf, wie der Name nahelegt, ist der Ehemann von Brosius-Gersdorf. Verheiratet sind die beiden seit 1995.

  • Der Titel der Arbeit von Frauke Brosius-Gersdorf: „Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip. Eine verfassungsrechtliche Studie zur Bundesbankautonomie vor und nach der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion“
  • Der Titel der Arbeit von Hubertus Gersdorf: „Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip. Eine Studie zur verfassungsrechtlichen Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung der Öffentlichen Hand“

Tatsächlich gleichen sich die von Weber gefunden Stellen in den beiden Arbeiten, die jeweils rund 500 Seiten stark sind, teilweise im Wortlaut. Auch Kapitelüberschriften sind teilweise gleich bis ähnlich.

Ein Detail, auf das der „Plagiatsjäger“ Stand Freitagfrüh in seinem Gutachten nicht genauer eingeht: Die Arbeit von Frauke Brosius-Gersdorf ist im Jahr 1997 erschienen, die ihres Mannes im Jahr 2000. Weber gibt an einer Stelle das Datum 1998 als Erscheinungsdatum an. Aber auch das würde dafür sprechen, dass der Mann von der Frau abgeschrieben hat und nicht umgekehrt.

Stefan Weber ist Kommunikationswissenschaftler, Publizist und Privatdozent.

© PR/Joachim Bergauer

Beim genauen Lesen von Webers Blogeintrag wird außerdem deutlich: Weber behauptet nirgendwo explizit, dass Frauke Brosius-Gersdorf von ihrem Mann abgeschrieben hat. Er legt schlicht die entsprechenden Stellen aus den beiden Arbeiten nebeneinander und markiert die Ähnlichkeiten farblich. Wie Mitglieder der Union darauf kommen, dass die Professorin in diesem Fall plagiiert hat und nicht der Professor, ist bisher unklar.

Auch Weber erklärt am Freitag in einem Post auf „X“, dass er keine direkten Vorwürfe gegen Frauke Brosius-Gersdorf erhoben habe.

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Am Donnerstag in seinem ersten Posting zu dem Fall Brosius-Gersdorf auf „X“ klang das aber noch anders: „Ich hätte das meiner damaligen Freundin an der Uni, die auch zeitgleich zum ähnlichen Thema schrieb, jedenfalls nicht erlaubt“, schreibt er da und unterstellt, dass die Juristin vom Juristen abgeschrieben hat.

Auf Anfrage des Tagesspiegels weist Weber darauf hin, dass die beiden Arbeiten ungefähr zeitgleich entstanden seien, nämlich 1997. Das geht nachweislich aus den entsprechenden Publikationen hervor. So klar wie am Vortag will er die mutmaßliche Plagiatsinitiative aber nicht mehr bei der Frau sehen. Laut Weber gebe es nun drei Möglichkeiten:

„Erstens: Herr Gersdorf hat von Frau Gersdorf abgeschrieben. Zweitens: Frau Gersdorf hat von Herrn Gersdorf abgeschrieben. Drittens: Beide haben zusammengearbeitet, aber dann hätte dies im Vorwort deklariert werden müssen, was nicht der Fall ist.“

„Erklärungsbedarf hätte Frau Gersdorf freilich nur bei Fall 2 oder 3“, schreibt Weber. Für sein Gutachten habe es keinen Auftraggeber gegeben, schreibt Weber an den Tagesspiegel. Angefangen mit der Recherche habe er erst am Mittwoch dieser Woche. Inzwischen habe er 26 Stellen gefunden, die aus seiner Sicht problematisch sind.

Offen ist auch, ob das, was Weber anprangert, überhaupt Plagiate sind. Weber scheint sich da selbst nicht ganz sicher zu sein. Er schreibt in seinem Blogeintrag: „Verstoßen die folgenden 23 dokumentierten Parallelen gegen die vor der Jahrtausendwende gültigen juristischen Zitiernormen?“ Eine Antwort gibt er nicht. Ihm gehe es in dem prominenten Fall vorrangig um eine Kritik der juristischen Dissertationspraxis, sagte Weber dem „Spiegel“, einen Plagiatsvorwurf erhebe er definitiv nicht.

Ob Plagiat oder nicht, muss am Ende – wie in ähnlichen Fällen – die Universität Hamburg entscheiden, an der beide Arbeiten entstanden.

Die will aber erst einmal nichts in dem Fall unternehmen. Die Ombudsstelle der Universität werde erst tätig, wenn hinreichend belegte Hinweise auf einen möglichen Verstoß gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis an sie herantragen würden, erklärte die Hochschule am Freitag. Eine Veröffentlichung von Hinweisen auf einer externen Website sei keine Meldung im Sinne der Satzung und stehe nicht im Einklang mit der satzungsgemäßen Vertraulichkeit, hieß es gegenüber der Deutschen Presseagentur. 

Weber arbeitete auch mit dem rechtspopulistischen Portal „Nius“ zusammen

Weber sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für Kontroversen. Er war derjenige, der der späteren Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock vorwarf, in ihrem Buch aus Quellen im Internet abgeschrieben zu haben, ohne dies kenntlich zu machen. Die Debatte über ihr Buch belastete Baerbocks Wahlkampf massiv. Auch gegen den grünen Vizekanzler Robert Habeck erhob er schon Vorwürfe, wegen angeblich unsauber zitierten Stellen in seiner Doktorarbeit. Eine Prüfung der Universität Hamburg kam aber zu dem Ergebnis, dass nichts zu beanstanden sei.

Eine politische Motivation streitet Weber ab. Tatsächlich hat er auch schon im Auftrag der Grünen gearbeitet. Zuletzt warf Weber Bundeskanzler Friedrich Merz vor, in seinem Buch aus dem Jahr 2002 ohne Quellennachweise abgeschrieben zu haben.

In einem anderen Fall, in dem es nicht um Plagiate ging, wurde Weber von einem Gericht in Linz im Februar in erster Instanz wegen übler Nachrede auf einen Universitätsrektor verurteilt.

Die „Zeit“ schreibt in einem Porträt über Weber: „Mehr als 500 Texte hat Weber nach eigenen Angaben in den vergangenen 15 Jahren auf Plagiate überprüft, darunter 300 akademische Arbeiten. Mehr als ein Dutzend Magister und Doktoren in Österreich und Deutschland sind seinetwegen heute keine Magister und Doktoren mehr.“ Für seine Arbeit nutzt Weber unter anderem eine Software, die ein riesiges Quellenarchiv nach möglichen Plagiaten durchsucht.

Berüchtigt würde der Österreicher im vergangenen Jahr im Fall der ehemaligen stellvertretenden Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, Alexandra Föderl-Schmid. Weber beschuldigte sie, in ihrer Dissertation von 1996 plagiiert zu haben. Föderl-Schmid stand zu dieser Zeit schon wegen Vorwürfen in der Kritik, sie habe für ihre Artikel ohne Quellenangabe abgeschrieben.

Nach den Plagiatsvorwürfen schrieb Föderl-Schmid einen Abschiedsbrief und verschwand für einen Tag. Die Polizei befürchtete einen Suizidversuch. Beauftragt hatte die Recherche das rechtspopulistische Krawallportal „Nius“, des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt.

Eine interne Kommission der „Süddeutschen Zeitung“ kam im Nachgang zu dem Schluss, dass Föderl-Schmid zwar gegen journalistische Standards verstoßen, aber nicht systematisch plagiiert habe. Auch ihren Doktortitel behielt sie.

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