
© dpa/Petty Off 2. Cl Zachary Grooman
US-Raketen in Deutschland?: Die SPD zwischen Mützenich und Trump
Sozialdemokraten wie Ralf Stegner zeigen Unbehagen über neue US-Raketen in Deutschland. Dahinter steckt Ärger über Olaf Scholz.
Stand:
Innerhalb der SPD wächst die Kritik an der Außen- und Sicherheitspolitik von Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD). Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner sagte, man dürfe „die Welt nicht gefährlicher machen, nicht in einen neuen Rüstungswettlauf eintreten“. Der deutsche Verteidigungsetat soll nach dem Willen der Ampel-Koalition im kommenden Jahr um 1,25 Milliarden Euro wachsen.
Stegner forderte die Bundesregierung zu Verhandlungen mit Russlands Präsident Wladimir Putin auf. „Wir müssen sehen, dass wir mit Russland in Verhandlungen eintreten. Das ist schwierig, das ist mir klar, aber Aufrüstung ist die schlechteste Variante, die wir gebrauchen können“, sagte er dem WDR 5-„Morgenecho“. Die Bundesregierung sieht bislang keine Grundlage für Gespräche mit Putin. Die offizielle Linie lautet, man tue nichts, ohne die Ukraine zu konsultieren.
Abgeordnete fühlen sich überrumpelt
Auslöser der Äußerungen Stegners ist die geplante Stationierung von weitreichenden US-Waffen in Deutschland. Am Rande des Nato-Gipfels Mitte Juli in Washington hatten die USA und Deutschland die Stationierung von Tomahawk-Marschflugkörpern, SM-6-Raketen und neuen Hyperschallwaffen von 2026 an angekündigt und als Reaktion auf Bedrohungen durch Russland rechtfertigt. Ob es zu der Stationierung unter einem US-Präsidenten Donald Trump kommt? Fraglich.
Etliche Abgeordnete, nicht nur der SPD, sehen sich von der Entscheidung überrascht, teils überrumpelt. Kanzler Scholz hatte sich erstmals während des Nato-Gipfels im fernen Washington zu dem Schritt geäußert. Er sprach von einer „sehr guten Entscheidung“. Deutschland müsse „einen eigenen Schutz haben mit Abschreckung“. Dazu seien die Präzisionswaffen notwendig.
Wir haben 100 Abgeordnete, die irgendwelche Funktionen innehaben, von der Regierung abhängig sind. Und 100 neue Abgeordnete, die wenig bis keine Ahnung haben.
Ein ehemaliger SPD-Parlamentarier
Scholz neigt dazu, Entscheidungen im Alleingang zu treffen und die eigene Politik, einschließlich Kurswechseln, nicht zu erklären. Die SPD weiß um den kargen Kommunikationsstil des Kanzlers. Zuweilen versuchen Sozialdemokraten diesen Stil als „norddeutsch“ zu bemänteln. Weitgehend haben sich die Sozialdemokraten mit diesem Ihr-müsst-Euch-nicht-kümmern-Stil abgefunden. Die Bundestagsfraktion gilt als Scholz-loyal bis Scholz-ergeben. „Wir haben 100 Abgeordnete, die irgendwelche Funktionen innehaben, von der Regierung abhängig sind“, sagt ein früherer SPD-Parlamentarier, „und 100 neue Abgeordnete, die wenig bis keine Ahnung haben.“
Mützenich stand für Kreml-freundliche Außenpolitik
Warum aber wühlt ausgerechnet die mögliche Stationierung weiterer US-Raketen die SPD auf, anders als andere Fälle? Hier zeigten sich die Amerika-skeptischen und Pazifismus-anfälligen Traditionslinien der Sozialdemokratie. Den Anfang hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gemacht, der bis 2022 die Kreml-freundliche Außenpolitik der SPD geprägt hat, neben zwei ehemaligen Außenministern der SPD: dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und dem heutigen Vorsitzenden der Atlantik-Brücke, Sigmar Gabriel.
Mützenich hatte vor zehn Tagen mit Blick auf die US-Raketenpläne gesagt, die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation sei beträchtlich. Zwar gelte es, angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die eigene Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Die Risiken aber dürfe man nicht ausblenden. Es bleibe offen, warum allein Deutschland derartige Waffen stationieren solle, sagte Mützenich. Unter Lastenteilung innerhalb der Nato habe er bisher etwas anderes verstanden.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Mützenich, 65, seit Anfang 2022 allerhand abverlangt. Scholz hatte ihm in zentrale Elemente seiner Zeitenwende-Rede nicht eingeweiht. Mützenich trug das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr mit. Mützenich sieht durch den Krieg sein Wertegerüst infrage gestellt. Der Politikwissenschaftler war an der Uni Bremen zum Thema „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“ promoviert worden. Er versteht die SPD als „Friedenspartei“, was für ihn über Jahrzehnte mit dem Bemühen um weniger Waffen einherging.
Bereits im März hatte der SPD-Fraktionschef im Bundestag appelliert, dass „wir“ darüber reden, wie „man“ den Ukraine-Krieg „einfrieren und später auch beenden kann“. Wäre es nicht an Putin, den Krieg zu beenden? Mit dem Begriff vom Einfrieren des Krieges forderte Mützenich faktisch die Anerkennung des Status quo, mithin für die Ukraine eine Akzeptanz von Gebietsverlusten, eine Teilung ihres Landes. Das war für die deutsche Außenpolitik bis dahin ein Tabu. „Beifall bei der SPD, der Linken und dem BSW sowie bei Abgeordneten der AfD“ erhielt Mützenich, so nachzulesen im Protokoll des Bundestages von jenem 14. März 2024.

© dpa/Kay Nietfeld
Flankiert wurde Mützenichs jüngste Kritik an möglichen US-Raketen jetzt durch einen Aufruf einiger ehemaliger SPD-Funktionäre, unter ihnen der Ex-SPD-Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans, 71, der in der Partei angesehen ist.
Kritik von Ex-SPD-Chef Walter-Borjans
Die Mitglieder eines Erhard-Eppler-Kreises, der bisher einer größeren Öffentlichkeit verborgen geblieben war, zeigten sich „tief besorgt über die Schlagseite, mit der gegenwärtig über Pro und Contra einer Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland und Wege zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine debattiert wird“. Der SPD-Linke Erhard Eppler (1926-2019) galt als Russland-freundlich. Einst hatte er den „Dialog“ der SPD mit der DDR-Staatspartei SED geführt. Auf Unmut stieß Eppler parteiintern, als er im Juni 1989 der SED Reformunfähigkeit vorwarf.
Die Gruppe um Walter-Borjans und die Ex-SPD-Abgeordneten Gernot Erler, 80, und Ernst-Ulrich von Weizsäcker, 85, werfen den Medien Einseitigkeit vor und gewähren Mützenich Rückendeckung.
„Der Großteil der medial verbreiteten Einschätzungen geht davon aus, dass ein Waffenstillstand in der Ukraine und der Schutz Europas vor Putins imperialistischem Streben nur durch Abschreckung und gegenwärtig ohne damit einhergehende Aufforderung zum Eintritt in Abrüstungsverhandlungen gelingen kann“, heißt es in ihrem Papier: „Wie Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, warnen wir eindringlich davor, die Gefahren einer Stationierung von Langstreckensystemen mitten in Europa zu unterschätzen.“
Ob der Aufruf mit Mützenich vereinbart worden war? Die älteren SPD-Politiker zeigen sich „befremdet“ vom „Schweigen der Führungen von SPD und SPD-Bundestagsfraktion zu der von Rolf Mützenich angestoßenen Debatte“. Mützenich spreche der sozialdemokratischen Parteibasis aus der Seele. Auf Lob für den Ukraine-Kurs von Scholz verzichten die Autoren. Von der Führung von Partei und Fraktion verlangen sie, „Farbe zu bekennen und den Fraktionsvorsitzenden gegenüber abqualifizierenden Vorwürfen zu verteidigen“.
Es gebe „ein Unbehagen, dass nur noch kriegsrelevante Dinge beredet werden“, heißt es in SPD-Fraktionskreisen. Kanzler Scholz habe mit der Raketen-Stationierung „natürlich alle überrascht“. Die Abgeordneten hätten davon aus den Medien erfahren.
„Es geht nicht um Rolf gegen Olaf“
Mützenich habe mit seinen vor zehn Tagen öffentlich geäußerten Bedenken („Eskalation“) ein Signal an die eigenen Leute senden wollen, die Bedenken ernst zu nehmen. „Wir wollen kein Sommertheater über die Raketen. Und es geht auch nicht um Rolf gegen Olaf“, wird in SPD-Fraktionskreisen argumentiert.
Den „Flügel der Russland-Versteher“ in der SPD gebe es glücklicherweise nicht mehr. Sehr wohl aber seien Mützenich oder der ehemalige Parteichef Norbert Walter-Borjans, der sich ebenfalls kritisch zu den US-Raketen äußerte, „Garanten der SPD als Friedenspartei“.
Mancher bei den Sozialdemokraten indes reagiere auf die neuartigen Bedrohungen „mit dem Vokabular der 1980er Jahre“. Das sei ein Problem. „Wir müssen klar sagen, dass die Aggression von Russland ausgeht, nicht von den USA.“ Die SPD müsse zudem erklären, dass Putin die Menschen in der Ukraine terrorisiere und den Status quo zugunsten von Russland ändern wolle, anders als die Status-quo-Macht Sowjetunion.
Mitglieder des Erhard-Eppler-Kreises standen am Mittwoch für eine weitere Einordnung vorerst nicht zur Verfügung. In der SPD rätseln sie derweil, ob Mützenich 2025 abermals für den Bundestag kandidieren will. Er selbst äußert sich auf Tagesspiegel-Anfrage nicht, hält sich auch Parteifreunden gegenüber bedeckt. „Es fällt Rolf schwer“, sagt ein SPD-Insider, „eine Entscheidung zu treffen.“ Nicht nur die Kölner SPD wartet auf eine Entscheidung.
- Boris Pistorius
- Deutscher Bundestag
- Donald Trump
- Frank-Walter Steinmeier
- Nato
- Russland
- Ukraine
- USA
- Wladimir Putin
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: