
© REUTERS/LIESA JOHANNSSEN
Verspätungen, marode Infrastruktur, Bürokratie: Künftige Bahnchefin dämpft Erwartungen
Minister Schnieder hat Evelyn Palla als neue Bahnchefin vorgeschlagen. Verbesserungen können Kunden aber erst einmal kaum erwarten. Die Bahngewerkschaft EVG spricht sich weniger gegen sie als eine andere Personalie aus.
Stand:
Wie schwierig die Aufgabe für Evelyn Palla wird, macht eine Störmeldung am Morgen vor der offiziellen Vorstellung der künftigen Bahnchefin deutlich. Wegen eines Schadens an der Oberleitung fahren keine ICE zwischen Berlin und Hamburg. Zwischen Hamburg und Hannover haben die Fernzüge 50 Minuten Verspätung.
Als neue Bahnchefin muss Palla erreichen, dass solche Horrormeldungen bei der Bahn nicht mehr die Regel sind. Daran wird sie die Öffentlichkeit messen. „Ich glaube, sie ist die richtige“, sagt Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) bei ihrer Präsentation am Montag.
Nachdem er wochenlang mit einem Headhunter Kandidaten gesucht hatte, hat er sich für eine naheliegende Lösung entschieden. Die bisherige Vorständin für Regionalverkehr habe mit Abstand die beste Performance bei den Gesprächen gehabt.

© dpa/Harald Tittel
„Wir haben mit Frau Palla jemanden gefunden, die beide Welten kennt“, betont Schnieder. Sie kenne den Bahnkonzern, habe aber auch außerhalb der Bahn Erfahrungen in der Wirtschaft gewonnen.
Tatsächlich hat die 51-jährige Südtirolerin ihre Karriere bei Siemens, Infineon und Eon begonnen. Dann ging sie 2011 zu den Österreichischen Bundesbahnen. 2019 wechselte sie zur Deutschen Bahn.
Dort machte sie sich schnell einen Namen, indem sie ab 2022 als Chefin von DB Regio die kriselnde Nahverkehrstochter sanierte. Damit habe sie sich für den Topjob qualifiziert, erklärt Schnieder.
Heute drücken wir auf Neustart.
Patrick Schnieder, Verkehrsminister (CDU)
Schnieder hofft, dass Palla nun den gesamten Bahnkonzern wieder in die Spur bringt. „Heute drücken wir auf Neustart.“ Es beginne eine neue „Ära, in der wir uns wieder auf das konzentrieren, was uns im innersten Kern ausmacht: das Eisenbahngeschäft“, sagt Palla.
Schnieder verspricht mehr Sicherheit
Um Palla den Start zu erleichtern, nimmt Schnieder erst einmal ordentlich Druck raus: In seiner neuen Bahnstrategie, die er zusammen mit Palla vorstellt, senkt er die Pünktlichkeitsziele der Bahn.
Aktuell sind nicht einmal zwei Drittel aller Fernzüge pünktlich. Erst bis Ende 2029 will Schnieder nun die Trendwende schaffen. Dann soll die Pünktlichkeitsquote wieder bei 70 Prozent liegen. Der scheidende Bahnchef Richard Lutz wollte bereits 2026 wieder eine Pünktlichkeit von 70 bis 75 Prozent erreichen, 2027 sollten es dann 75 bis 80 Prozent sein. Diese Zielsetzung sei völlig unrealistisch gewesen, sagt Schnieder.
Seine Bahnstrategie definiert eine Pünktlichkeit von 80 Prozent jetzt nur als mittelfristiges Ziel. Langfristig sollen die ICE und Intercity zu 90 Prozent pünktlich ankommen.
Zugleich betont Schnieder, wie wichtig eine zuverlässige Bahn ist. Viele Bürger sähen die Probleme der Bahn als Ausdruck eines nicht funktionierenden Staates. „Ich halte das für brandgefährlich.“ Schnieder will die Boni der Bahnvorstände deshalb stärker als bisher von der Pünktlichkeit der Züge abhängig machen.
Um den Fahrgästen zu vermitteln, dass sich bei der Bahn dennoch einiges ändert, will Schnieder die Kundenkommunikation verbessern. Über Verspätungen müssten Reisende und die verladende Wirtschaft „unmittelbar“ informiert werden.
Zudem möchte Schnieder die Sicherheit und Sauberkeit an Bahnhöfen rasch verbessern, wie auch den Komfort in den Fernzügen. Als Ausdruck der von Schnieder gewünschten Kundenorientierung.
Mehr Verantwortung für Mitarbeiter vor Ort
Bei der Angebotsplanung im Fernverkehr plant er keine Intervention. Zuletzt hatte ein Tagesspiegel-Bericht über Preiserhöhungen von bis zu zehn Prozent und Angebotsverringerungen auf Nebenstrecken für Aufsehen gesorgt. „Ticketpreise sind nicht unsere Geschichte“, sagt Schnieder. Diese Entscheidungen treffe die Deutsche Bahn, die wirtschaftlich agieren müsse.
Die wirtschaftliche Sanierung der Bahn ist dem Verkehrsminister besonders wichtig. Bis 2028 will Schnieder mit dem Bahnverkehr in allen Geschäftsfeldern schwarze Zahlen schreiben. Außerdem soll der Vorstand der Deutschen Bahn, wie auch den der Infrastruktursparte InfraGO, von acht auf sechs Mitglieder verkleinert werden.
Die neue Bahnchefin Palla möchte den Managern und Beschäftigten vor Ort wieder mehr Verantwortung geben. Man schaffe wieder klare Verantwortlichkeiten in der Fläche, sagt sie. „Wir räumen auf“: Bürokratie, Doppelstrukturen und unnötige Beteiligungen, etwa an zahlreichen Tochterfirmen, werde man abbauen. Sie will den Eisenbahnerstolz bei den Beschäftigten zurückbringen. Dieser sei eine wichtige Antriebskraft.
Im Vorstand der Konzernholding entfällt neben dem Technikressort auch das für Infrastruktur. Stattdessen soll der Bund die gemeinwohlorientierte InfraGO, die bis 2029 über 100 Milliarden Euro Steuergelder ins Schienennetz investiert, künftig selber stärker steuern. Eine Kündigung der sogenannten Beherrschungsverträge, mit denen die Holding die InfraGO kontrolliert, soll laut Schnieders Strategie aber nur geprüft werden.
Die jetzt vorgelegte Strategie enthalte zu vielen Fragen Allgemeinplätze, die noch auszufüllen seien, meint deshalb Christian Böttger, Bahnexperte der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Für einige zentrale Punkte gebe es offenbar noch Dissens in der Koalition. „Das betrifft, das Verhältnis von Konzern und Infrastruktursparte, die Finanzierung und die Steuerung der Bahn durch den Bund, zudem die Besetzung des Aufsichtsrates.“
Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, betont, dass Schnieders im Kabinett nicht abgestimmte Strategie lediglich Eckpunkte enthalte. Der Bundesverkehrsminister solle im Bundestag um einen breiten Rückhalt werben, „damit aus dem Fundament eine Strategie wird, die auch die nächste und übernächste Legislaturperiode überdauert“, fordert Flege.
Neuer InfraGO-Chef sorgt für Eklat
Doch zunächst muss Schnieder darum kämpfen, seinen Wunschkandidaten für den Chefposten bei der InfraGO, Dirk Rompf, durchzusetzen. Die Bahngewerkschaft EVG, die auf Arbeitnehmerseite die meisten Aufsichtsratsmandate hält, ist nicht bereit, Rompf im Aufsichtsrat der InfraGO mitzutragen. Dort ist zumindest im ersten Wahlgang eine Zweidrittelmehrheit nötig.
Die EVG droht wegen Rompf sogar damit, auch Palla im Bahn-Aufsichtsrat an diesem Dienstag nicht zu der wohl nötigen Zweidrittelmehrheit im ersten Wahlgang zu verhelfen. Man lehne das Personalkonzept in Gänze ab, sagt EVG-Chef Martin Burkert am Montagmittag. Dies richte sich aber nicht primär gegen Evelyn Palla.
Der Name Rompf hat bis weit in den Konzern hinein für Unverständnis gesorgt.
Martin Burkert, EVG-Chef
Die mit der EVG nicht abgestimmte Auswahl von Rompf sei grundfalsch. Als ehemaliger Vorstand der früheren Infrastrukturtochter DB Netz AG habe Rompf einen Sparzwang verordnet. Er sei damit mitverantwortlich für den schlechten Zustand der Schiene. „Der Name Rompf hat bis weit in den Konzern hinein für Unverständnis gesorgt.“
Damit habe Schnieder Evelyn Palla einen Fehlstart beschert, so Burkert. Ohne die Unterstützung der Arbeitnehmer könnte ihr tatsächlich das Mandat für durchgreifende Reformen fehlen.
Für Dirk Rompf ist laut Martin Burkert auch in weiteren Wahlgängen nicht die nötige absolute Mehrheit im InfraGO-Aufsichtsrat erkennbar. Denn auch der Vertreter des SPD-geführten Finanzministeriums werde Rompf nicht wählen.
Dass Schnieder für Rompf so ins Risiko geht, verwundert. Denn an den vom scheidenden InfraGO-Chef Philipp Nagl initiierten Korridorsanierungen will Schnieder festhalten. Warum durfte Nagl dann nicht weitermachen?
„Wir setzen die Generalsanierungen fort“, betont auch Rompf. Er will sogar mehr auf dieses Konzept setzen. In den kommenden zehn Jahre werde man zudem 1000 Bahnhöfe sanieren, sagt er.
Die Sanierung der Infrastruktur stünde weiter an oberster Stelle, sagt Evelyn Palla. Sie räumt zugleich ein: „Nichts wird schnell gehen. Das ist kein Sprint. Die Sanierung der Eisenbahn-Infrastruktur ist ein Marathon.“ Zum Schluss ihres Statements dankt Palla wie auch Schnieder ihrem Vorgänger Richard Lutz. Dieser sei ein Eisenbahner mit Leidenschaft.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false