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Robert Habeck zu Gast beim Tagesspiegel

© Marie Staggat für den Tagesspiegel

Exklusiv

Vizekanzler zu Gast beim Tagesspiegel: Habeck schließt Einigung auf Basis des Lindner-Papiers aus

Verantwortungslosigkeit, die ihm „auf den Keks“ geht, ein Finanzminister mit einer völlig falschen Weltsicht: So sieht Robert Habeck die massive Krise der Ampel – und diese rote Linie zieht er.

Stand:

Will Christian Lindner raus aus der Ampel? „Ich bin am Ende so schlau wie Sie alle“, so beantwortete der grüne Vizekanzler Robert Habeck auf der Future Sustainability Week des Tagesspiegels diese Frage von Chefredakteur Christian Tretbar. Um dann natürlich doch viel mehr zu verraten zum Zustand der Koalition.

Dabei zog Habeck eine rote Linie, und zwar mit einem Kommentar zum Grundsatzpapier des FDP-Finanzministers, das das Regierungsbündnis seit Freitag in Aufruhr versetzt: „Die Lösung wird sicherlich nicht auf der Basis des Papiers erfolgen können.“

Die Lösung wird sicherlich nicht auf der Basis des Papiers erfolgen können.

Vizekanzler Robert Habeck

Zwei Prinzipien seien nämlich nicht berücksichtigt: die soziale Gerechtigkeit als Kriterium für Handelsmaßgaben sowie der Klimaschutz.

Dieses Problem hat die deutsche Wirtschaft nicht

Habeck nutzte seinen Auftritt, um Christian Lindners Weltsicht als grundfalsch darzustellen. Das sagte er zwar so nicht wörtlich, aber er musste den Namen des Kabinettskollegen gar nicht nennen, um klarzumachen, um wen es ihm in seiner Keynote ging. Der Gedanke, erst müsse man die relevanten Probleme lösen, dann könne man sich um den Klimaschutz kümmern, „frisst sich in den politischen Diskurs rein“. Doch er sei „völlig falsch“.

Tagesspiegel Live 05.11.24

Der größte Fehler wäre es, so Habeck, „wieder zu schwanken oder wieder zu ignorieren, was wir schon einmal verstanden haben“. Klima und wirtschaftliche Entwicklung würden zusammengehören, der Klimawandel sei die größte Gefahr sowohl für die Weltwirtschaft als auch für die globale Sicherheit.

Robert Habeck im Gespräch mit Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar.

© Marie Staggat

Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass etwa China und Indien bei den Erneuerbaren Energien in gigantischem Ausmaß zubauen würden. Das Reden von einem deutschen Sonderweg sei falsch. „Wenn es ein Problem gibt, das die deutsche Wirtschaft nicht hat, dann dass wir bei der Transformation zu schnell sind“, sagte Habeck.

Doch Finanzminister Lindner sieht das verbrieftermaßen anders. Seine wirtschaftspolitische Agenda, die Ende der vergangenen Woche öffentlich wurde, ist nicht weniger als ein Frontalangriff auf alles, was Robert Habeck und den Grünen in der Klima- und Energiepolitik lieb und heilig ist.

Und so ist die Frage aller Fragen, die Habeck von Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar gestellt wurde: Wie viel Gemeinsamkeit steckt eigentlich noch in dieser Ampel? „Wenn Sie eine freche Antwort hören wollen, dann würde ich sagen: Ist egal“, gab Habeck zurück.

Egal? In der Tat, so seine Lesart. „Weil wir diesen Haushalt hinkriegen müssen. Und wenn wir danach nicht mehr weiterkommen, dann müssen wir halt damit umgehen.“

Doch der Haushalt müsse stehen, argumentierte Habeck, und zwar mit Verweis auf die globale Lage: „Wir laufen also, wenn es schlecht läuft, auf ein halbes bis dreiviertel Jahr ohne Haushalt zu. In einer Zeit, wo Putin Gelände in der Ukraine gewinnt, wo die amerikanischen Wahlen es vielleicht nicht leichter machen. Es ist nicht so, dass Deutschland mal seine Sonderlocken drehen könnte.“

Es geht um etwas Größeres als die Haltungsnoten der Ampel.

Vizekanzler Robert Habeck

Erst ein Wahlkampf, dann komplizierte Koalitionsverhandlungen, und das alles ohne Haushalt, das ist für Habeck ein unbedingt zu vermeidendes Szenario. Und er appellierte, wiederum ohne den Namen zu nennen, an Lindner: „Wir sind doch im Amt, weil wir eine Pflicht haben. Es geht mir so auf den Keks, wenn das gegenüber Taktik und Strategie keine Rolle spielt.“

In Sachen Haushalt zeigte sich Habeck flexibel: „Die Lücke ist schließbar, wenn man es denn will. Es geht um etwas Größeres als die Haltungsnoten der Ampel.“

© Marie Staggat

In Sachen Haushalt zeigte sich Habeck flexibel: „Die Lücke ist schließbar, wenn man es denn will. Es geht um etwas Größeres als die Haltungsnoten der Ampel.“ So ein Haushalt sei nie genau planbar. Das sei, wie wenn wenn sich ein Urlauber ein Budget für Mallorca vornehme.

Einem FDP-Politiker zollt Habeck Respekt

Der wisse auch nicht vorher, wie viele Eis er essen werde, ob es ein Bier mehr oder eines weniger werde und wie sich das eine mit dem anderen verrechne. „Es gibt genug Möglichkeiten, unter Wahrung der strengen deutschen Haushaltsregeln Annahmen zu treffen und Puffer zu schaffen beziehungsweise Flexibilitäten zu haben, die uns die Möglichkeit geben, den Haushalt abzuschließen.“

Ob der Wahlkampf lang oder kurz ist, ist fast egal: Bring it on.

Vizekanzler Robert Habeck

„Hohen Respekt“ zollte Habeck dem FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der sich in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für den Verbleib seiner Partei in der Ampelkoalition ausgesprochen hatte. Wissing habe „aus dem Amtseid heraus argumentiert“, sagte Habeck. „Das heißt: Ich stehe hier nicht alleine mit meiner Staatsräson-Rede.“

Und doch seien die Grünen jederzeit bereit für die Auseinandersetzung. „Ob der Wahlkampf lang oder kurz ist, ist fast egal: Bring it on.“ Auch die nächste Regierungsbildung werde nicht in einer anderen Wirklichkeit stattfinden. „Unsere Politik reicht im Moment nicht heran an die Größe der Herausforderung.“ Die Ampel sei nach der Ära Merkel angesichts der fundamentalen globalen Umwälzungen „irgendwie ein Interregnum gewesen“.

Wie lange dieses Interregnum noch andauert: Das ist die große Frage der kommenden Tage.

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