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Von Nachverhandlungen bis Vertrauensfrage: Wie geht’s weiter im Rentenstreit?
In der Union gibt es weiter heftige Vorbehalte gegen die geplante Rentenreform, der Koalition fehlen die nötigen Stimmen. Diese Möglichkeiten bleiben dem Kanzler.
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Nun also auch Karin Prien. Gegenüber dem „Handelsblatt“ warb die Familienministerin für eine Verschiebung der strittigen Abstimmung über die Rentenreform, es brauche noch eine Debatte „über die Generationen hinweg“. Nach Wirtschaftsministerin Katherina Reiche ist es bereits das zweite CDU-Kabinettsmitglied, das dem Kanzler im Rentenstreit von der Stange geht.
Spätestens seit dem Deutschlandtag der Jungen Union kann Friedrich Merz die Bedenken in der eigenen Partei nicht mehr ignorieren. Der Kanzler scheint sich in eine Sackgasse manövriert zu haben, doch er hat noch Optionen. Eine Übersicht.
Die Rentenrebellen knicken ein
Im „Bericht aus Berlin“ machte er seinen renitenten Abgeordneten ein Angebot. Zwar lehnte er ab, das Gesetz so zu ändern, dass es nach 2031 nicht mit 48 Prozent Rentenniveau, sondern mit einem niedrigeren Wert weitergeht. Allerdings bot er an, dass sich Union und SPD in der Gesetzeserklärung oder einem „Begleittext“, etwa einem Entschließungsantrag, zu einer grundlegenden Rentenreform ab 2032 bekennen.
Damit machte Merz aber offenbar nur öffentlich, was er der Jungen Gruppe schon zuvor angeboten hatte. Entsprechend ablehnend reagiert die am Tag nach dem TV-Auftritt des Kanzlers. „Die Sicherung der Haltelinie bis zum Jahr 2031 machen wir – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – mit. Für die Zeit danach darf es aber keine Vorfestlegungen geben, die der Rentenkommission vorweggreifen“, sagte der CSU-Abgeordnete Konrad Körner, Vize-Chef der Jungen Gruppe, dem Tagesspiegel.

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Nach dem Deutschlandtag der Jungen Union scheinen die Rebellen Rückenwind zu spüren. Aus allen Teilen der Partei gibt es Lob für die Kritik der Parteijugend. Auch innerhalb der Unions-Fraktion, in der noch nicht offen über das Paket debattiert wurde, wächst offenbar der Unmut über das Rentenpaket. Der Widerstand gehe inzwischen weit über die Junge Gruppe hinaus, heißt es aus der Fraktion. Dass die 18 Rebellen durch den Druck der Fraktionsspitze zum Aufgeben bewegt werden können, glaubt in der Union kaum jemand.
Nachverhandlungen mit der SPD
Es war ein SPD-Fraktionschef, der ein ungeschriebenes parlamentarisches Gesetz formulierte. Kein Gesetz verlasse den Bundestag so, wie es hineinkomme, hatte Peter Struck einst gesagt. Doch davon will die SPD nun offenbar nichts mehr wissen. „An diesem Gesetz wird nichts mehr geändert“, hatte Parteichef Lars Klingbeil am Wochenende klargemacht.
In der Union fühlen sich davon viele Abgeordnete provoziert. „Es muss zwischen Union und SPD im parlamentarischen Verfahren weiterverhandelt werden, um zu einer guten Lösung zu kommen“, sagt etwa Konrad Körner.
Das sind Ausgaben, die sich die Menschen erarbeitet haben.
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf über die Mehrausgaben beim Rentenpaket
Davon wollen die Sozialdemokraten jedoch nichts wissen: „Das sind Ausgaben, die sich die Menschen erarbeitet haben“, sagte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf am Montag über die 120 Milliarden Euro, die laut Junger Gruppe an Mehrkosten anfallen würden. Das Rentenniveau sei in Deutschland im internationalen Vergleich schon jetzt gering und vor allem in Ostdeutschland seien viele Menschen allein über die gesetzliche Rentenversicherung abgesichert. Die SPD habe deshalb „ein klares Stopp-Zeichen“ gesetzt.
Jens Spahn verzögert die Abstimmung
Bereits seit Mitte Oktober liegen Teile des Rentenpakets im Deutschen Bundestag, in erster Lesung haben die Abgeordneten bereits darüber debattiert. Auch in den Anhörungen gab es bereits Statements von Experten und Lobbyverbänden. Doch ohne politische Einigung droht der Stillstand.
Ein Zustand, der länger anhalten könnte, so spekulieren in der Unionsfraktion bereits einige Abgeordnete. Die Idee: Fraktionschef Jens Spahn lässt die Reform so lange nicht auf die Tagesordnung setzen, bis die Expertenkommission zur Rente ihre Arbeit abgeschlossen hat. Ein Ergebnis wird bis Mitte 2026 erwartet.

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Doch davon will der Kanzler nichts wissen: „Ich wünsche mir, dass wir diese Diskussion zum Jahresende abgeschlossen haben“, sagte der CDU-Chef beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ in Berlin. Schließlich gibt es in der Union ein Interesse daran, dass die Aktivrente, die Anreize zum längeren Arbeiten schaffen soll, bereits zum 1. Januar in Kraft tritt.
Unterstützung kommt von CSU-Chef Markus Söder. Er halte eine Vertagung für grundlegend falsch, die CSU würde dies „auf keinen Fall unterstützen“, sagte der bayerische Ministerpräsident bei einem Termin in München. „Wir glauben, dass es sinnvoll ist, dass wir das dieses Jahr auf den Weg bringen.“ Auch Söder verfolgt ein Kalkül, schließlich fehlt auch für das CSU-Prestigeprojekt Mütterrente ein Beschluss.
Grüne und Linke helfen mit ihren Stimmen aus
Das Gespenst Minderheitsregierung wabert seit Monaten durch die Unionsfraktion. Die Abhängigkeit von der SPD macht viele Konservative mürbe. Im Rentenstreit ist es aber zumindest theoretisch denkbar, dass sich Friedrich Merz die fehlenden Stimmen bei Grünen oder Linker leiht.
Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Sören Pellmann, hält sich die Zustimmung zum Rentenpaket offen: „Erst wenn wir sehen, welche Änderungen der Gesetzentwurf im Zuge der Ausschussberatungen womöglich noch erfährt, kann sich unsere Fraktion abschließend über ihr Abstimmverhalten verständigen“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Debatte zum Abstimmungsverfahren in der Fraktion sei „noch nicht abgeschlossen“.
Die Linke als Mehrheitsbeschafferin für die Koalition? Für die Union, die an ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken festhält, wäre es die absolute Blamage. Und auch Merz hält von der Idee nichts: „Glaubt denn irgendjemand ernsthaft“, fragt Merz, „wir könnten in diesem Deutschen Bundestag mit wechselnden Mehrheiten arbeiten und dann noch vernünftige Gesetzgebungsarbeit machen? Das ist aus meiner Sicht ausgeschlossen“, sagte er bei der „Süddeutschen Zeitung“.
Merz stellt die Vertrauensfrage
Um Abgeordnete auf Linie zu bringen, gibt das Grundgesetz dem Kanzler ein mächtiges Werkzeug an die Hand. Laut Artikel 68 kann er den Bundestag bitten, ihm das Vertrauen auszusprechen und dies mit der Zustimmung zu einem Gesetz zu verbinden. Das würde im Falle des Rentenpakets die Frage beantworten, ob die Kritik der Jungen Gruppe am Regierungsentwurf so grundsätzlich ist, dass die Regierung daran scheitern soll – oder eben nicht.
Als „Quatsch“ wird dieses Szenario am Montag in Gesprächen mit Abgeordneten von CDU und CSU bezeichnet: „An diesem Punkt stehen wir noch lange nicht.“ Zur Begründung heißt es, dass zu dem Thema noch kaum Gespräche unter Krisenbedingungen stattgefunden hätten. Außerdem muss Kanzler Merz mittlerweile mitbekommen haben, dass große Teile der Fraktion seiner Logik vom Wochenende nicht folgen können, etwas im ersten Schritt zu beschließen, um es im zweiten zu verhindern. Darauf nicht mit Gesprächen, sondern mit einem Machtinstrument zu reagieren, hielten vieler in seiner Fraktion für einen noch größeren Fehler.
Aus Sicht des Kanzlers mag es eine Option sein, weil er bei der SPD im Wort steht und sich auch selbst Zeitdruck macht, um etwa den Plan einer zum 1. Januar beginnenden Aktivrente durchzusetzen. Die Vertrauensfrage zu einem so frühen Zeitpunkt einer Kanzlerschaft stellen zu müssen, könnte politisch auch als Schwäche ausgelegt werden – auch bei einem positiven Ausgang.
Schwarz-Rot wagt die große Rentenreform
Das war nicht immer so. Aber es gibt mittlerweile eine große Einigkeit darüber, dass die Alterssicherung ganz grundsätzlich reformiert werden muss und Pläne wie die sogenannte Frühstart- oder Aktivrente nur erste Bausteine dafür sind. „Wir werden in dieser Wahlperiode die Entscheidungen treffen, die notwendig sind, damit unser Altersversorgungssystem zukunftsfest ist“, verspricht Merz.
Entsprechende „Verabredungen“ will er auch mit der SPD getroffen haben. „Wir sind gesprächsbereit“, sagte Generalsekretär Klüssendorf am Montag mit Blick auf grundsätzliche Reformen. So könnten auch Politiker, Selbstständige und neue Beamte in das System einzahlen, um es zu entlasten. In der Kommission dürfe zwar „in alle Richtungen“ gedacht werden, für die SPD sei aber klar, dass das Rentenniveau gehalten werden müsse.
Ob diese grundsätzliche Reformbereitschaft jedoch im aktuellen Konflikt dazu führt, alle Absprachen aus dem Koalitionsvertrag fallen zu lassen und ein völlig neues Paket zu schnüren, ist fraglich. Die SPD müsste auf die Haltelinie verzichten, die CSU auf die Mütterrente, die CDU auf Aktiv- und Frühstartrente.
Die Koalition bricht
Dieses Szenario könnte theoretisch am Ende einer verlorenen Vertrauensfrage stehen. Im Dunstkreis der Union kursiert bei manchen Konservativen jedoch eher die Vorstellung, dass Merz die Minister und Ministerinnen der SPD entlässt, die mehr Union in der Regierung verhindern – und eine Minderheitsregierung bildet.
Dieser Idee hat der Kanzler am Montag jedoch selbst jede Wahrscheinlichkeit abgesprochen. „Das ist doch nicht zu Ende gedacht“, sagte er am Montag. Im gegenwärtigen Bundestag sei es nicht möglich, mit wechselnden Mehrheiten eine „vernünftige Gesetzgebung“ zu machen.
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