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Wohnhaus in Göttingen, in dem es zu einem Corona-Ausbruch kam. 

© imago images/Hubert Jelinek

Vor dem Virus sind nicht alle gleich: Warum Covid-19 die Ärmsten besonders hart trifft

Mieter an sozialen Brennpunkten, Leiharbeiter in Schlachthöfen. Warum trifft Covid-19 so oft Menschen, die ohnehin benachteiligt sind?

Sie arbeiten dicht an dicht gedrängt, leben in engen Wohnungen oder mitten in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Die Corona-Ausbrüche der vergangenen Wochen in Schlachthöfen und in Mietshäusern in Neukölln und in Göttingen haben den Blick auf einen bisher unterbelichteten Aspekt der Pandemie gelenkt: den Zusammenhang zwischen sozialem Status und Corona. 

Betroffen waren Leiharbeiter aus dem Ausland, Menschen, die zum Teil schlecht Deutsch verstehen, Arme. 

Der Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel fasste es so zusammen: „Dieses Virus hat in den Skigebieten begonnen und ist jetzt in den Mietskasernen angekommen.“ 

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sagt: „Nur auf den ersten Blick sind vor dem Virus alle gleich. Mittlerweile zeigt sich viel deutlicher als zu Beginn der Pandemie: Menschen sind je nach ihrer sozioökonomischen Stellung unterschiedlich stark betroffen.“

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Erkranken Arme eher an Corona?

Klar ist: Die Lebensverhältnisse können eine Infektion mit Corona begünstigen. Butterwegge hält die Arbeits-, Lebens- und Wohnverhältnisse sogar für ganz entscheidend dafür, ob das Virus zuschlagen kann oder nicht. Das zeige sich in den Mietskasernen, in den Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete oder bei den Vertragsarbeitern der Fleischindustrie deutlich.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie in Deutschland finden Sie hier in unserem Newsblog]

So machten es beengte Wohnverhältnisse schwerer, den Lockdown zu bewältigen, als wenn man diese Zeit in der Luxusvilla verbringe. „Und statt mit der U-Bahn zu fahren, in der ein Ansteckungsrisiko besteht, können Wohlhabende das Auto nehmen.“

In Schlachthöfen und Fleischfabriken gab es mehrere Corona-Ausbrüche.
In Schlachthöfen und Fleischfabriken gab es mehrere Corona-Ausbrüche.

© dpa

Auch ein Papier des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigte, wie die Corona-Maßnahmen die Arbeitssituation der Erwerbstätigen in Deutschland verändert haben. Rund 35 Prozent der Erwerbstätigen hätten in der Krise im Homeoffice gearbeitet – darunter aber vor allem Besserverdienende. 

„Das bedeutet aber auch, dass diejenigen Beschäftigten, die geringere Einkommen haben und weniger gebildet sind, geringere Möglichkeiten haben, das Ansteckungsrisiko bei der Arbeit zu verringern“, heißt es beim DIW Berlin. 

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An der Supermarktkasse ist das Risiko nun mal höher als mit dem Laptop am heimischen Küchentisch. Und für die Arbeiter in den von Corona-Ausbrüchen betroffenen Fleischfabriken und Schlachthöfen war es offenbar schwer möglich, Abstände einzuhalten oder sich vor einer Ansteckung ausreichend zu schützen.

Trifft das Coronavirus Arme härter?

Es gab bereits Untersuchungen aus den USA und Großbritannien, die zeigten, dass Menschen mit einem niedrigerem Einkommen und geringerer Bildung ein höheres Risiko haben, an Covid-19 zu sterben. Für Deutschland existierten solche Daten bislang nicht. 

Das Institut für medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Düsseldorf und die AOK Rheinland-Hamburg haben nun für das ARD Mittagsmagazin Versichertendaten ausgewertet, über die in dieser Woche berichtet wurde. 

In einer Stichprobe von 1,3 Millionen Versicherten seien die Empfänger von Arbeitslosengeld I und Hartz IV verglichen worden mit Erwerbstätigen. Dabei habe sich gezeigt, dass beide Gruppen ein erhöhtes Risiko gehabt hätten, mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. 

Für die Arbeitslosengeld-I-Empfänger sei das Risiko um 17,5 Prozent erhöht gewesen. Hartz-IV-Empfänger hätten sogar ein um 84 Prozent höheres Risiko gehabt. Das heißt, dass Arbeitslose mit höherer Wahrscheinlichkeit einen schweren Verlauf von Covid-19 erleben.

Armutsforscher Christoph Butterwegge hat unter dem Titel „Die zerrissene Republik“ ein Buch über Ungleichheit in Deutschland geschrieben. Er sagt: „Wir wissen seit dem frühen Industriezeitalter: Wer arm ist, muss früher sterben. Für Corona lässt sich das abwandeln: Wer arm ist, muss eher sterben.“ Bei Armen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine Covid-19-Erkrankung tödlich verlaufe.

Ein wichtiger Faktor für die schwereren Corona-Verläufe dürften die Vorerkrankungen sein. „Armut geht einher mit einem höheren Risiko für Krankheiten wie Asthma, Bluthochdruck, Diabetes oder Adipositas“, sagt Butterwegge. Die ökonomische Ungleichheit setze sich also fort bei der Gesundheit. „Die Immunschwächsten sind oft auch die Finanzschwächsten.“ 

Einige Gründe dafür liegen auf der Hand: So können sich Menschen mit wenig Geld schlechter Lebensmittel wie Obst oder Gemüse leisten, griffen zu preiswerteren aber eben auch ungesünderen Produkten. Dazu kommt, dass das Einkommen auch beeinflusst, welchen Wohnort man sich leisten kann oder welche Sportarten man ausübt. 

„Menschen sind zudem sozial vernetzt. Wo ein weniger gesundheitsförderliches Verhalten common sense ist, verstärkt sich das gegenseitig“, sagt Markus Grabka, der am DIW Berlin zu Einkommens- und Vermögensverteilung sowie Gesundheit forscht.

Verstärkt das Virus soziale Ungleichheit?

Armutsforscher Butterwegge befürchtet das. Zumindest zeigt sich, dass Corona zu einer Zunahme von Armut führen könnte. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Tafeln beobachten bereits jetzt einen Anstieg der Hilfsbedürftigkeit in Deutschland. 

[Alle aktuellen Entwicklungen infolge der Coronavirus-Pandemie in Berlin finden Sie hier im Newsblog.]

Von Woche zu Woche kämen mehr Menschen erstmals zu den Tafeln. Sie suchten Unterstützung, weil sie selbstständig seien, in Kurzarbeit oder ihren Job oder Nebenjob aufgrund der Corona-Pandemie verloren haben. Gleichzeitig blieben Ältere bedürftige Menschen aus Angst vor Ansteckung zu Hause.

Kritisiert worden war auch die neue Corona-Warn-App. Diese funktioniert nur auf neueren Smartphones, weil ältere nicht über die notwendige Technologie verfügen. Als ein „Spielzeug für die digitale Oberschicht“ kritisierte der Leiter des Gesundheitsamtes in Berlin-Reinickendorf, Patrick Larscheid, die App deshalb in der „Süddeutschen Zeitung“.

In der Politik ist die Frage, wie sich Corona-Risiko und sozialer Status bedingen, nun jedenfalls angekommen. So räumte etwa der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ein, dass Armut ein Risikofaktor sei und mehr in diese Richtung getan werden müsse. Er schlug unter anderem die kostenfreie Versorgung mit hochwertigen Masken vor.

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