zum Hauptinhalt
Lothar Wieler (l.), Chef des Robert Koch-Instituts, und Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, am Freitag im Haus der Bundespressekonferenz.

© dpa/Wolfgang Kumm

Vor der Herbst- und Winterwelle: Wo Lauterbach warnt und wo er optimistisch ist

Die nächste Coronawelle beginnt, Karl Lauterbach und Lothar Wieler informieren wieder gemeinsam über die Lage. Ihre Prognose fällt gemischt aus.

| Update:

Die Reihen der Bundespressekonferenz sind nur spärlich gefüllt, als Karl Lauterbach und Lothar Wieler den Saal betreten. Der Krieg, die Gaspipelines, die Inflation: Das Land treiben gerade andere Sorgen um als die Pandemie. Doch Karl Lauterbach besteigt das Podium, nimmt seine Maske ab und erinnert daran, morgen trete das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft. „Ein guter Zeitpunkt, auf die Infektionslage hinzuweisen“, befindet er.

Die nämlich hält Lauterbach für durchaus problematisch: „Wir befinden uns ganz klar am Beginn einer Herbst- und Winterwelle.“ Der R-Wert liege mittlerweile ungefähr bei 1,4, was bedeutet, dass die Zahl der Fälle stark wächst. Die wahre Zahl an Infizierten sei derzeit schätzungsweise vier Mal so hoch wie offiziell ausgewiesen. Ist er da wieder, der Mahner und Warner Lauterbach? Nicht nur. „Ich bin zuversichtlich: Wir werden das im Griff haben. Wir werden erreichen, dass Corona im Herbst nicht das dominierende Thema ist“, sagt er.

Bald wieder Alltag? Das Testen auf Corona ist mittlerweile Routine.
Bald wieder Alltag? Das Testen auf Corona ist mittlerweile Routine.

© Foto: Britta Pedersen/dpa

Vier Ansatzpunkte nennt Lauterbach: Erstens die Impfkampagne. Derzeit würden pro Tag nur 60.000 Dosen verimpft. „Das ist weit weniger, als wir benötigen.“ Bisher ist nur ein Viertel der Über-60-Jährigen durch eine vierte Impfung geschützt. In spätestens zwei Wochen will das Gesundheitsministerium wieder auf allen Kanälen für das Impfen werben. „Wir haben uns bemüht, eine innovative Kampagne auf den Weg zu bringen“, sagt Lauterbach. Knapp ein Viertel der Bevölkerung wurde noch nie gegen Covid-19 geimpft. Der Minister glaubt, ein „nicht unerheblicher Teil“ dieser Gruppe könne in den folgenden Monaten „noch erreicht werden“.

Der neue Pandemieradar des RKI ist nun online

Zweitens will der Minister es schaffen, dass mehr Menschen als bisher in der Frühphase ihrer Infektion das antivirale Medikament Paxlovid einnehmen. Seit neuestem hat er einen prominenten Kronzeugen: Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich jüngst infizierte, nahm es ein und ist schon wieder auf dem Weg der Besserung.

Drittens setzt Lauterbach auf den neuen Pandemieradar des Robert Koch-Instituts. Seit Freitagmorgen ist er für die Öffentlichkeit im Internet verfügbar, im Laufe der nächsten Wochen soll er noch verbessert werden, zum Beispiel mit Daten aus Abwassermonitoring. Im Pandemieradar sind verschiedene aktuelle Kennziffern zu finden, von der Sieben-Tage-Inzidenz bis zur Intensivbettenbelegung.

Und als Viertes appelliert der Gesundheitsminister an die Bundesländer: Der Herbst werde nicht leicht werden, sagt er, das Infektionsschutzgesetz ermögliche die richtigen Maßnahmen. Die Frage sei: „Wann steigen die Länder mit den Maßnahmen ein?“ Es gebe sehr hilfreiche Modellierungen, die auch die Bundesländer zur Verfügung hätten. Es komme darauf an, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen.

Die Ratschläge werden öffentlich vorgetragen, während ich die gleichen Protagonisten mit dem Maßkrug in der Hand sehe.

Gesundheitsminister Lauterbach in Richtung Bayerns

Öffentliche Ratschläge, was wann zu tun sei, will Lauterbach aber nicht geben. Und verweist darauf, dass er auch umgekehrt auf ungefragte Tipps verzichten könne: „Die Ratschläge werden öffentlich vorgetragen, während ich die gleichen Protagonisten mit dem Maßkrug in der Hand sehe.“ Und dann warnt er wieder: „Wenn wir die Welle nicht begrenzen, kann es sein, dass wir in ein paar Wochen Probleme bei der kritischen Infrastruktur haben.“

Um das zu verhindern, wirbt er erneut für die vierte Impfung. Sie reduziere für alte Menschen die Sterblichkeit im Fall einer Infektion noch einmal um 90 Prozent. „Es macht für ältere Menschen einen riesigen Unterschied, ob sie dreimal oder viermal geimpft sind.“

Mitgefeiert: Markus Söder in Begleitung auf dem Oktoberfest 2022.
Mitgefeiert: Markus Söder in Begleitung auf dem Oktoberfest 2022.

© dpa / dpa/Sven Hoppe

RKI-Chef Wieler gibt anschließend einen allgemeinen Überblick zu den derzeit kursierenden Atemwegserkrankungen. Unter denen liegt Covid-19 nämlich nur auf Rang zwei. Am stärksten kursieren derzeit Rhinoviren, die normale Erkältungen verursachen.

Wieler zufolge sind in der vergangenen Woche 7,7 Millionen Menschen in Deutschland neu an einer akuten Atemwegsinfektion erkrankt, 1,2 Millionen Menschen haben deshalb sogar eine Arztpraxis aufgesucht. Die Zahlen seien höher als in den Vorjahren und auch höher als in den Vor-Pandemiejahren, sagt Wieler. Für durchaus möglich hält er, dass es wegen des Infektionsschutzes in den vergangenen beiden Jahren nun Nachholeffekte gibt.

Diese Menschen brauchen nach wie vor unsere Solidarität.

RKI-Chef Lothar Wieler über Menschen mit Vorerkrankungen

Die Pandemie sei nicht vorbei, aber die Situation sei „relativ günstig und stabil“, findet Wieler. „Auch in der jetzigen Situation sollten wir uns bewusst sein, welches Risiko wir eingehen wollen und welches wir vermeiden können.“ Wer Symptome eines Infekts habe, solle zu Hause bleiben und insbesondere den Kontakt zu Vulnerablen meiden. „Diese Menschen brauchen nach wie vor unsere Solidarität.“

Wie viel Rücksicht noch auf Menschen mit besonderem Risiko genommen werden soll, ist bekanntlich umstritten. Minister Lauterbach hält an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, bei verschiedenen Landesregierungen unbeliebt, nach wie vor fest. Die Menschen zum Beispiel in Pflegeheimen müssten besonders geschützt werden. Und auch die Pflicht für Corona-Infizierte, sich zu isolieren, will er nicht aufweichen. „Sie ist immer sinnvoll gewesen und wird bei den hohen Fallzahlen, die wir jetzt erwarten, umso sinnvoller“, sagt er.

Am Freitag geht es auch um die Kontrolle der Abrechnungen von Corona-Testzentren. Im Sommer hatte sich Wieler vergeblich gegen Lauterbachs Ansinnen gewehrt, diese Aufgabe dem Robert Koch-Institut zu übertragen. Nun sagt er, derzeit seien fünf Mitarbeiter für diese Aufgabe abgestellt. Lauterbach weist darauf hin, dies sei nicht die einzige Kontrollinstanz, sondern nur eine zusätzliche „epidemiologische Plausibilitätsprüfung“. Die Kassenärztlichen Vereinigungen würden nach wie vor die eigentliche Abrechnung vornehmen und dabei die Unterlagen prüfen.

RKI-Chef Wieler sagt, er sei glücklich, „dass wir inzwischen eine unaufgeregte Diskussion über die Corona-Situation haben“. Und Minister Lauterbach bekundet, die Bevölkerung dürfe nicht „mit Krisen überwältigt“ werden. Er sei sehr glücklich über die jüngsten Beschlüsse für weitere Milliarden-Entlastungen angesichts der Energiekrise. Corona soll in diesem Herbst nur ein Problem unter vielen sein. Sorgen schließlich hat das Land genug.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false