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Abgeordnete im Bundestag

© Florian Gaertner/imago/photothek

Wahlrecht und Gleichstellung: Wie realistisch ist ein paritätisch besetzter Bundestag?

Eine Wahlrechtsreform in Deutschland soll helfen, etwa gleich viele Sitze an Frauen und Männer zu vergeben. Doch die Umsetzung könnte kompliziert werden.

Lange lautete der Slogan der Wahlrechtsreformer: Der Bundestag muss wieder kleiner werden. 709 Abgeordnete wie nach der Wahl 2017, gar mehr als 800 Mandate, die sich jetzt nach den aktuellen Umfragen ergäben – es ist zu viel. Nun hat sich, nicht erst zum Frauenwahlrechtsjubiläum, ein zweiter Satz dazugesellt: Der Bundestag soll weiblicher werden. Die Reform hat damit zwei Ziele: weniger Abgeordnete, mehr Frauen.

Die SPD hat sogar einen Vorschlag gemacht, der beides garantieren soll: die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 120 zu verringern – dafür soll es in allen Wahlkreisen zwei Direktmandate geben, und zwar eines für eine Frau, eines für einen Mann. Damit sollen einerseits die Überhänge und Ausgleichsmandate auf ein Minimum reduziert werden, und gleichzeitig sollen alle Direktmandate paritätisch besetzt sein. Für die Listen soll ein Paritätsgesetz das ebenfalls erreichen.

Der Deutsche Frauenrat mit seinen 60 Mitgliedsverbänden steht hinter dem Anliegen und fordert, schon zur Wahl 2021 die Möglichkeit zu schaffen, dass die eine Hälfte der Mandate an Männer, die andere an Frauen geht. „Parität ist möglich, muss aber gewollt werden“, sagt die Verbandsvorsitzende Mona Küppers. Frauen machten schließlich 51 Prozent der Bevölkerung aus, ihre faire Repräsentation müsse also auch im Parlament gegeben sein. In vielen Landtagen und im Bundestag wird das Ziel weit verfehlt.

„Es kann Rückschritte in der Gleichstellung geben“, warnt die SPD-Politikerin Elke Ferner, die den Fachausschuss Parität in Parlamenten und Politik leitet. Sie zog erstmals 1990 in den Bundestag ein. Damals hatte der Frauenanteil gerade 20 Prozent erreicht – und man glaubte an einen Automatismus hin zur Parität.

Doch nach 2017 fiel der Frauenanteil um fünf Punkte auf 30,9 Prozent, nicht zuletzt wegen der Männerlastigkeit der Fraktionen von AfD und FDP. Auch in den Landtagen ist der Anteil zurückgegangen: In Baden-Württemberg, Bayern oder Sachsen- Anhalt werden nicht einmal mehr 30 Prozent erreicht. In Kommunalparlamenten machen Frauen häufig nicht mal ein Viertel der Volksvertreter aus.

"Überdurchschnittlich weiß, alt, männlich"

Küppers nennt diese Ungleichheit einen „Verfassungsbruch in Permanenz“ und zitiert damit Elisabeth Selbert, die im Parlamentarischen Rat 1949 dafür sorgte, die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Artikel 3 des Grundgesetzes zu verankern. Erst 1994 wurde der Artikel um den Satz ergänzt, der den Staat dazu verpflichtet, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern. Daran knüpft der Frauenrat an. Denn heute, so Küppers, sei der Bundestag „immer noch überdurchschnittlich weiß, alt, männlich und christlich besetzt“.

Für die Kampagne „Mehr Frauen in die Parlamente“ hat der Frauenrat auch erfahrene Politikerinnen gewonnen, wie die ehemalige Frauenministerin Rita Süssmuth (CDU), die stellvertretende DGB- Bundesvorsitzende Elke Hannack oder Ex-Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Ferner und ihre Kolleginnen wollen das Zeitfenster nutzen: Die Gespräche zur Wahlrechtsreform sollen auch zur Durchsetzung der Gleichstellung genutzt werden. Der SPD-Vorschlag liegt auf dem Tisch, Linke und Grüne müssen nicht überzeugt werden. Bei der Union herrscht Zurückhaltung, aber Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Nachfolgerin an der Spitze der Partei, Annegret Kramp-Karrenbauer, haben sich für eine Paritätsregelung ausgesprochen.

Freiwilligkeit oder lieber Vorgaben?

Die CDU-Politikerin Ingrid Petzold, viele Jahre Vorsitzende der Frauen- Union in Sachsen, gibt zu, dass das Thema Chancengleichheit in der Union schwierig sei. Doch mit Blick auf die Landtagswahlen im September zeige sich, dass die Geduld der Frauen in der CDU zu Ende sei. Erstmals tritt die CDU in Sachsen mit quotierter Liste an.

Eine Kernfrage ist, ob man die Gleichstellung über das Wahlsystem voranbringt und in einem Paritätsgesetz Vorgaben macht, oder auf Freiwilligkeit setzt. Die Frauenrats-Kampagne präferiert kein Modell, hat aber mehrere Vorschläge für einen höheren Frauenanteil. Dabei müsse man sowohl Listen- als auch Direktmandate berücksichtigen, sagt Ferner. Eine Option sei, auf ein reines Verhältniswahlrecht umzusteigen. Eine andere ist der SPD-Vorschlag, der von Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann ins Gespräch gebracht worden ist und den auch Justizministerin Katarina Barley schon mehrfach gelobt hat.

Chancengleichheit ist, wenn das Geschlecht egal ist. Und das soll durch Quotierung erreicht werden?

schreibt NutzerIn Charybdis66

An erster Stelle steht der politische Wille

Doch ist es nicht einfach mit der Parität, wenn man in die Vertracktheiten des Systems mit Wahlkreisen und Landeslisten eintaucht. Der Aachener Wahlexperte und Mathematiker Sebastian Goderbauer gibt zu bedenken, dass bei einer Verringerung auf 120 Wahlkreise das Saarland nur noch einen hätte, der aber deutlich zu groß wäre – mit einer deutschen Bevölkerung von 900.000 bei einer Durchschnittsgröße der Wahlkreise von 600.000 Einwohnern. Nach dem Wahlgesetz sind bisher nur Abweichungen von bis zu 25 Prozent erlaubt. Goderbauer betont, dass man die Ländergrenzen nicht außer Acht lassen dürfe, wenn man im bisherigen Wahlsystem bleibe, wie im SPD-Vorschlag. „Bei der Auswahl einer Wahlkreisanzahl muss auf die Bevölkerungsanteile der Bundesländer geachtet werden“, sagt er.

Ein zweiter Punkt: Listen können zwar paritätisch besetzt werden, führen aber nicht zwangsläufig zu paritätischen Fraktionen. Bei ungeraden Mandatszahlen ergibt sich zwangsläufig ein Vorrang für ein Geschlecht. Das dürfte sich zwar bei einer Bundestagswahl bundesweit irgendwie ausgleichen, aber bei 16 Ländern und derzeit sechs Parlamentsparteien (CDU und CSU mal zusammengefasst) ergibt sich ein gewisses Verzerrungspotenzial.

Elke Ferner sagt, wichtig sei zunächst der politische Wille, dann bekomme man auch eine verfassungsrechtlich wasserdichte Lösung hin. Sie hofft nun auf eine überfraktionelle Initiative im Bundestag.

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