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Bayerns grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze

© picture alliance/dpa/Lino Mirgeler

Landtagswahl in Bayern: Warum die Grünen jetzt die Wirtshaussäle füllen

Geerdet, optimistisch und heimatverbunden – die bayerischen Grünen bestreiten einen erfolgreichen Landtagswahlkampf. Sind sie die neue Bayern-Partei?

Ein Volkstanz im blau-weißen Festzelt, grüne Weinberge mit Kirchturm, ein röhrender Hirsch: Nein, mit diesem Wahlspot wirbt nicht etwa die CSU für sich, sondern die bayerischen Grünen. Und bei Auftritten trägt Spitzenkandidatin Katharina Schulze, 33 Jahre alt, gerne auch mal Dirndl.

Geerdet, optimistisch und heimatverbunden – so präsentiert die Ökopartei sich im Landtagswahlkampf. Eine Strategie, die offenbar verfängt: Mit Umfragewerten um die 18 Prozent haben die Grünen sich den zweiten Platz erarbeitet.

Die absolute Mehrheit der CSU brechen

Die absolute Mehrheit der CSU zu brechen war erklärtes Ziel für die Landtagswahl am kommenden Sonntag. Wie weit sie damit kommen würden, hätten die Grünen vermutlich selbst nicht erwartet. Vor knapp zwei Monaten muss Parteichef Robert Habeck einen ersten Eindruck bekommen haben, was in diesem Wahlkampf möglich werden würde. Als er im August zu einem Auftritt mit Spitzenkandidatin Schulze nach Dachau reiste, kamen 1800 Leute ins Bierzelt.

Auch Anton Hofreiter ist in diesen Tagen viel in Bayern unterwegs. Der Chef der Grünen-Bundestagsfraktion ist gebürtiger Münchner und hat schon mehrere Landtagswahlkämpfe erlebt, aber noch nicht so einen wie diesen. „Die Stimmung ist so entspannt und positiv wie noch nie zuvor“, sagt Hofreiter. „Bei Veranstaltungen am Nachmittag, bei denen früher 20 Leute kamen, ist jetzt der ganze Wirtshaussaal voll.“ Die Leute kämen auch, wenn es abstrakt um Klimaschutz gehe („Warum es keinen Planeten B gibt“), dauernd werde er auf die Klimakrise angesprochen. „Durch den Dürresommer hat das Thema eine andere Dringlichkeit bekommen.“

Bei seinen Wahlkampfterminen beobachtet Hofreiter einen Zustrom aus unterschiedlichen Richtungen. „Da kommen auch Leute, die früher CSU gewählt haben oder sogar Parteimitglied waren und inzwischen ausgetreten sind.“ Er hat den Eindruck, dass seine Partei und ihre Themen nun „neu entdeckt“ würden. Schließlich gebe es sogar etliche CSU-Landräte, die Schweineställe mit 10 000 Tieren nicht in Ordnung fänden und es für einen Verlust hielten, dass es früher mehr Blumen auf den Wiesen und mehr Insekten gegeben habe.

Die Grünen als neue Bayern-Partei

Weniger Ackergifte, nicht noch mehr Beton, ein dritter Nationalpark – die Ökothemen stehen bei den bayerischen Grünen weit vorne. Aber auch das Soziale spiele eine große Rolle, etwa die Frage, wie bezahlbarer Wohnraum entstehen könne, berichten Wahlkämpfer. Doch dass die Grünen der CSU den Rang als Bayern-Partei streitig machen, hat auch andere Gründe.

Einer liegt in der Flüchtlingspolitik und den harschen Tönen, die im Sommer von CSU-Chef Horst Seehofer und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu hören waren („Asyltourismus“). Lange war es der CSU gelungen, als Volkspartei Bindekraft in unterschiedliche Schichten der Gesellschaft hinein zu entfalten. Doch jetzt könnte sie einen Teil ihrer christlichen, wertkonservativen oder liberalen Wähler an die Grünen verlieren. Etwa diejenigen, die in den letzten Jahren zur Integration von Flüchtlingen beitrugen und nun ihr Engagement von der CSU nicht richtig gewürdigt sehen.

"Kein Land gehört nur einer Partei allein"

Es gibt aber auch noch einen anderen Grund. Im Bierzelt in Dachau bekommt Grünen-Chef Habeck für einen Satz viel Applaus: „Kein Land gehört nur einer Partei allein“, sagt Habeck. Manch einer bei den Grünen fühlte sich in den letzten Wochen an Baden-Württemberg erinnert. Dass Winfried Kretschmann im Frühjahr 2011 erster grüner Ministerpräsident werden konnte, hatte viel mit der Atomkatastrophe in Fukushima zu tun.

Es lag aber auch an einer gewissen Arroganz der Macht: Nach fast 60 Jahren an der Macht dachten viele in der CDU damals, die Partei gehöre als Regierungspartei ebenso zum Land wie die Spätzle. Und auch in Bayern haben die Grünen in den letzten Monaten gemerkt, dass viele Menschen mit ihnen gegen die Politik der Staatsregierung auf die Straße gingen, sei es beim umstrittenen Polizeiaufgabengesetz oder bei der Demo „Ausgehetzt“.

Nun können die Grünen in Bayern zwar keinen Kretschmann vorweisen, der die Brücke zwischen konservativem und linksliberalem Bürgertum sowie Stadt und Land schlagen kann. Aber der Erfolg der Ökopartei hat dennoch auch mit den beiden Spitzenkandidaten zu tun. Da ist zum einen Katharina Schulze, die „Rampensau“ im Duo. Bierzelt kann die 33-Jährige, der Verband der Redenschreiber kürte sie gerade zur besten Wahlkampfrednerin. Bevor sie 2017 Chefin der Grünen-Landtagsfraktion wurde, profilierte sie sich als Innenpolitikerin ohne Berührungsängste zur Polizei. Das zweite Grünen-Gesicht an der Spitze ist Schulzes Co-Fraktionschef Ludwig Hartmann.

Eine neue Generation an der Spitze

Beide gehören zu einer neuen Grünen-Generation, die nicht mehr als Bürgerschreck taugt. Die erbitterten Kämpfe gegen die CSU kennt der 40-jährige Hartmann vor allem von seinen Eltern, die ihn als Kind zu Anti-Atomkraft-Demos mitnahmen. Als der langjährige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß starb, war er gerade mal zehn Jahre alt.

Heute zitieren seine Grünen den einstigen Erzfeind wieder. Vor dem ersten Abstecher in den Landtagswahlkampf kramte Parteichef Habeck alte Strauß-Zitate heraus, Ministerpräsident Söder hatte da gerade das Ende des Multilateralismus verkündet. Habeck mahnte die CSU, wieder stärker auf ihren einstigen Vorsitzenden zu hören: „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft .“

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