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Nachdenklich nach 50 Jahren SPD-Mitgliedschaft. Helmut Schmidt wünscht sich einen neuen Kurs.

© Georg Ismar

SPD-Basis entscheidet über Parteiführung: Warum Helmut Schmidt „NoWaBo“ wählt

Helmut Schmidt ist seit 50 Jahren in der SPD. Beim Entscheid über den Parteivorsitz setzt er auf einen Neuanfang mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Helmut Schmidt hat sein Kreuz gemacht. Sein berühmter Namensvetter aus Hamburg, der frühere Bundeskanzler, hätte sicher für Olaf Scholz und Klara Geywitz votiert. Aber Helmut Schmidt, seit 50 Jahren in der SPD und seit 1993 Nichtraucher, sieht die neue Zeit so ganz und gar nicht mit Scholz und Geywitz ziehen. "Das wäre nur das Weiter so", sagt Schmidt bei einem Treffen in einer Pizzeria in Berlin-Lankwitz. Scholz habe gesagt, wer Führung bestelle, der bekomme sie mit ihm. "Das erinnert mich allzu sehr an Basta-Politik."

Helmut Schmidt hat sein Kreuz stattdessen bei dem linken Duo Norbert Walter-Borjans ("NoWaBo") und Saskia Esken gemacht. Der Tagesspiegel begleitet den 76-Jährigen seit einigen Monaten im 50. Jahr seiner Mitgliedschaft. Er betont, es brauche dringend eine Vitalisierung der Parteibasis, mehr Beteiligung, statt von oben durchregieren, und eine andere Politik, um Vertrauen zurückzugewinnen. Es müsse das Prinzip gelten, "nicht wichtig ist, wer was sagt, sondern was gesagt wird." Und Schmidt erinnert an die Worte von Norbert Walter-Borjans, die SPD brauche einen Busfahrer, der sie aus der "neoliberalen Pampa herausfährt".

Die Kandidaten-Duos für den SPD-Vorsitz, Olaf Scholz (l-r, SPD), Bundesminister der Finanzen, Klara Geywitz (SPD), Norbert Walter-Borjans (SPD) und Saskia Esken (SPD).

© dpa

Aber die Krise sei unabhängig von der Personalauswahl inzwischen so tief, dass es für die Mitglieder letztlich ohnehin nur die Wahl "zwischen Skylla und Charybdis" gebe, sagt Schmidt. Das sind zwei Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie. Skylla hatte sechs Köpfe mit gewaltigen Zähnen und fraß alle, die in ihre Nähe kamen. Charybdis sog so kräftig das Meereswasser ein, dass alle Schiffe in den Abgrund gerissen wurden, die in den Sog gerieten. Das hört sich nicht gerade nach Aufbruch an, auch wenn Juso-Chef Kevin Kühnert mit dem auch von Schmidt gewählten Duo erwartet.

Schmidt glaubt, dass die Zukunft der Partei "auch stark von Veränderungen im Innenleben der Partei abhängt". Früher gab es noch den Kassierer, der von Tür zu Tür ging und mit den Mitgliedern darüber sprach, wo der Schuh drückt. Heute wird der Beitrag anonym eingezogen und man kann sich an Online-Befragungen im Internet beteiligen. Schmidt, 2002/2003 Oberbürgermeister in Brandenburg an der Havel und zuvor unter anderem Rektor der Fachhochschule der Deutschen Bundespost Berlin, hat viele Ideen – oft bekommt er von der SPD auf seine Briefe keine Antwort. "Früher waren wir hunderte bei den Mitgliederversammlungen", gerät er fast ins Schwärmen.

Auch in der CDU gibt es ähnliche Problembeschreibungen, der Chef der Senioren-Union, Otto Wulff, vermisst das Hören und Einbinden der Älteren, fordert mehr Veranstaltungen und persönliche Kontakte – die Volksparteien drohen sonst langsam von innen zu zerfallen.

Schmidt ärgert sich über Scholz

Zurück zur Wahl, deren Ergebnis am Samstagabend um 18 Uhr bekanntgegeben wird. Auch das Kanzleramt versucht im Vorfeld, die Stimmung bei der SPD zu ergründen, denn verliert Scholz, könnte auch Angela Merkels Kanzlerschaft rasch zu Ende sein. Scholz ist der dienstälteste Vizechef der SPD, hat also alle Entscheidungen der Parteiführung seit zehn Jahren mitzuverantworten.

Schmidt stört vor allem dessen Festhalten an der schwarzen Null als Bundesfinanzminister und Vizekanzler, gerade in Zeiten niedriger Zinsen müsse investiert werden, was das Zeug hält. Zeige nicht die Debatte um eine Beteiligung des chinesischen Huawei-Konzerns, dass Deutschland in Sachen Kommunikationstechnologie den Zug der Zeit verpasst habe und sich nun vielleicht fremden, schwer zu kontrollierenden Konzernen ausliefern muss, die ihre Informationen an den chinesischen Geheimdienst weiterleiten könnten. "Es lässt sich gar nicht mehr zurückdrehen", sagt Schmidt. Huawei-Technik sei schließlich auch beim 4G-Netz in hohem Maße bereits eingebaut worden.

Den Bruch der großen Koalition fürchtet Schmidt nicht

Von dem neuen Milliardenprogramm, um Funklöcher zu stopfen, werden kaum deutsche Unternehmen profitieren. Früher gab auf diesem Gebiet noch Unternehmen wie Telefunken oder die Deutschen Telephonwerke. Der Staat müsse hier dringend Konzepte entwickeln, um wieder den Anschluss zu finden. Daneben ärgert ihn die auch von der SPD zu verantwortende Privatisierungspolitik im Wohnungssektor, die stillgelegten Bahnlinien, die die Stadt/Land-Kluft vergrößern. "Die Deutsche Bahn ist völlig marode." Dazu brauche es mehr Personal in den Verwaltungen, bei Polizei und Feuerwehr. "Der Staat muss wieder stärker werden."

Schmidt weiß, dass bei einem Erfolg von Walter-Borjans/Esken die große Koalition schnell platzen könnte. Er fürchtet das nicht. "Wir wählen hier keine Minister, sondern die SPD-Vorsitzenden." Bei dem früheren NRW-Finanzminister Walter-Borjans hat ihm besonders der Kampf gegen Steuersünder imponiert, so ein rigoroses Vorgehen hätte er sich von Scholz auch bei den milliardenschweren Cum-Ex-Betrugsgeschäften im Finanzsektor gewünscht. Zudem brauche es bei der Rente weniger Reparaturbetrieb, "sondern einmal grundlegende Systementscheidungen".

Frau Schmidt wählt CDU

Dass Walter-Borjans den Verzicht auf einen Kanzlerkandidaten ins Spiel gebracht hat, stört Schmidt nicht – das sei eben der erwünschte Klartext gewesen, "eine Zustandsbeschreibung, dass die SPD derzeit keine realen Aussichten hat, den Kanzler zu stellen". Wichtig sei, "zu sagen was ist, sich ehrlich machen".

Gleichwohl muss Schmidt einräumen, dass die neue Tandemkonstruktion fragwürdig ist, die Frauen spielen bei beiden Duos bisher eine sehr untergeordnete Rolle.

Neben Schmidt sitzt seine Ehefrau, sie wählt die CDU, "außer einmal, als sich mein Mann um das Oberbürgermeisteramt in Brandenburg beworben hat". Sie tippt auf einen Sieg des Duos Scholz/Geywitz, für Helmut Schmidt ist das Rennen dagegen völlig offen. Aber das eigentliche Ergebnis steht für ihn ohnehin fest: "Es wird repräsentativ sein für die Zerrissenheit der SPD."

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