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Abgeordnete im Deutschen Bundestag, darunter Gesundheitsminister Jens Spahn (Mitte).

© imago/Christian Thiel

Männerwirtschaft Politik: Warum sind Frauen eine Minderheit in den Parlamenten?

Ob im Bund, in den Ländern oder in den Kommunen: Frauen sind in der Politik bis heute unterrepräsentiert. Woran das liegt – und was man dagegen tun könnte.

In Deutschland regiert eine Kanzlerin, und jede Partei mit Ausnahme von FDP und CSU wird von einer Frau geführt. Derzeit sieht es danach aus, als könnte nach Angela Merkel wieder eine Frau ins Kanzleramt einziehen. Dennoch sind Frauen in der deutschen Politik nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, und zwar im Bund, den Ländern und den Kommunen.

Wie groß ist der Anteil von Frauen in der Politik?

Im Bundestag ging der Frauenanteil nach der Wahl 2017 sogar zurück: Nur 30,9 Prozent der Abgeordneten sind Frauen. Damit liegt Deutschland weltweit auf Platz 45. Während bei den Grünen (58 Prozent) und den Linken (54 Prozent) die Frauen sogar die Mehrheit der Abgeordneten stellen und die SPD-Fraktion noch auf einen Frauenanteil von 42 Prozent kommt, sind die weiblichen Abgeordneten in den Fraktionen von FDP (24 Prozent) und Union (20 Prozent) deutlich unterrepräsentiert. Schlusslicht ist die AfD-Fraktion mit einem Frauenanteil von elf Prozent.

In den Landesparlamenten zeigt sich ein ähnliches Bild, nur wenige Landtage haben einen Frauenanteil von mehr als einem Drittel. An der Spitze liegt Thüringen (40,6 Prozent). Dagegen sind ausgerechnet im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg nur 26,6 Prozent der Landtagsabgeordneten weiblich.

Auf der kommunalen Ebene ist der Anteil der Politikerinnen noch viel geringer als in den meisten Bundesländern. Von den Mandaten in den Kreistagen beziehungsweise den Gemeinderäten von kreisfreien Städten gingen im Bundesdurchschnitt nur 27 Prozent an Frauen. Dieses Ungleichgewicht erscheint in ländlichen Regionen deutlich höher als in den Städten. Noch dramatischer ist das Fehlen von Frauen in den Bürgermeisterämtern: Nur in jedem zehnte Rathaus regiert eine Frau.

Warum zieht es deutlich weniger Frauen als Männer in die Politik?

Gelegentlich heißt es, bei vielen Frauen sei das Interesse an Politik weniger ausgeprägt als bei Männern. Doch bereits ein Blick auf die Daten zur Wahlbeteiligung zeigt, dass diese These wenig aussagekräftig ist. Denn bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen gibt es in der Wahlbeteiligung von Männern und Frauen keine großen Unterschiede.

Allerdings kommen Frauen viel seltener in den Parteien an: In der CDU sind drei Viertel der Mitglieder Männer, bei der CSU und der FDP ist sogar nur etwa jedes fünfte Mitglied eine Frau. Den geringsten Frauenanteil hat mit 17 Prozent die AfD. Doch selbst bei den Grünen sind die Männer mit etwa 60 Prozent sehr deutlich in der Mehrheit, bei den Linken und der SPD liegt ihr Anteil noch höher.

Es ist auch keineswegs so, dass Frauen weniger ehrenamtlich tätig sind. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums zum freiwilligen Engagement zeigt allerdings, dass sich deutlich mehr Männer in ihrer Freizeit mit Politik und politischer Interessenvertretung befassen, während sich Frauen häufiger in der Schule ihrer Kinder oder im sozialen Bereich engagieren. An dieser Stelle kommt offenbar besonders in ländlichen Regionen eine traditionelle Rollenverteilung in Spiel.

Ein Mandat im Stadtrat oder im Kreistag ist ein Ehrenamt, für das neben Beruf und Familie noch Zeit gefunden werden muss. Sitzungen beginnen meist am frühen Abend und können sich über mehrere Stunden hinziehen. Kommen noch Ausschüsse sowie Versammlungen des Ortsvereins der eigenen Partei hinzu, sind schnell mehrere Abende pro Woche für das Ehrenamt verplant.

In der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte legte die Linken-Politikerin Anett Vietzke im Februar ihr Mandat nieder. „Familien- und Sorgearbeit, berufliche Tätigkeit und kommunalpolitische Tätigkeit sind für mich nicht mehr vereinbar“, sagte sie zu Begründung.

Welche Gründe gibt es noch, und wie erleben Frauen das politische Geschäft?

Die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) befragte vor einigen Jahren mehr als 1000 Kommunalpolitikerinnen. Auf die Frage, was ihnen nicht gefalle, zeigten sich 57 Prozent unzufrieden mit der politischen Kultur. Sie berichteten von „Grabenkämpfen“, von „Profilierungssucht“ und „Vetternwirtschaft“ und kritisierten, dass die politische Arbeit oft zu wenig an der Sache orientiert sei. Auch die Abläufe der Sitzungen sowie die Diskussionskultur wurden von vielen Kommunalpolitikerinnen kritisch bewertet: Sie monierten beispielsweise „Endlosdiskussionen“ und „monologartige Vorträge“, wie aus der Studie der in Berlin ansässigen EAF hervorgeht.

„Viele Frauen erleben in der Kommunalpolitik nach wie vor, benachteiligt zu sein. Das kann mehr oder weniger offen passieren“, sagt die Politikwissenschaftlerin Helga Lukoschat, die Vorsitzende der EAF Berlin. Beispielsweise würden ihnen automatisch Themen wie Familie und Schule zugewiesen, während die Männer im Verkehrs- oder Bauausschuss sitzen. „Eine Abwertung von Frauen kann sich aber auch darin zeigen, wie oft sie in Sitzungen zur Wort kommen beziehungsweise unterbrochen werden.“

Zudem hätten drei Viertel der befragten Bürgermeisterinnen gesagt, an sie würden andere Erwartungen gerichtet als an die Männer. „Diese Frauen haben den Eindruck, sie müssten besser sein als ihre männlichen Amtskollegen, um das Gleiche zu erreichen.“ Auch ihr Äußeres, ihr persönlicher Lebenswandel und ihr Auftreten würden viel strenger beurteilt.

Strengere Urteile fällen Frauen gelegentlich auch über sich selbst. Eine Spitzenpolitikerin in Berlin erzählt, wenn eine Frau in eine Talkshow eingeladen werde, überlege sie zuerst, ob sie überhaupt kompetent genug für das Thema sei. „Das werden Sie bei Männern eher nicht erleben.“ Nach dem Auftritt frage sie sich, ob sie gut genug vorbereitet war und ob sie ihre Argumente überzeugend dargelegt hat.

Was müsste getan werden, um den Frauenanteil in der Politik zu erhöhen?

Die SPD will es, die CDU und die FDP wollen es, und auch die CSU will es irgendwie: Ihre Parteien sollen „weiblicher“ werden. Denn mittlerweile haben die Parteien erkannt, dass ein niedriger Frauenanteil für sie zum Wettbewerbsnachteil werden könnte. Mehr Frauen in Führungspositionen, paritätisch besetzte Doppelspitzen in den Ortsvereinen und Mentoring-Programme werden als mögliche Schritte genannt.

Doch nach Ansicht von Experten sind das bisher weitgehend Lippenbekenntnisse. „Die Parteien haben den Ernst der Lage noch nicht erkannt“, sagt die Politikwissenschaftlerin Lukoschat. „Sie müssten eine kluge Nachwuchsförderung betreiben und geeignete Frauen gezielt ansprechen.“ Denn zwei Drittel der aktiven Kommunalpolitikerinnen gaben in der Befragung an, nicht von sich aus auf die Idee mit der Kandidatur gekommen zu sein, sondern einen Anstoß von außen erhalten zu haben – von Politikern oder aus dem eigenen Umfeld.

Gleichzeitig müssten die von Männern über Jahrzehnte geprägten Strukturen verändert werden, fordert Lukoschat. „Wir müssen das kommunalpolitische Engagement attraktiver machen.“ Dazu gehörten andere Sitzungszeiten, Angebote für Kinderbetreuung und ein Verzicht auf „Hinterzimmerpolitik“. Nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer könnten davon profitieren.

Um den Frauenanteil in den Landesparlamenten und im Bundestag deutlich zu erhöhen, wird derzeit in Deutschland über Paritätsgesetze diskutiert. Brandenburg hat im Januar ein Gesetz beschlossen, das die Parteien verpflichtet, bei Landtagswahlen ebenso viele Frauen wie Männer auf ihren Listen aufzustellen. In Berlin gibt es ähnliche Überlegungen.

Wer jedoch langfristig den Anteil von Frauen in der Politik erhöhen will, muss auch dort ansetzen, wo viele politische Karrieren ihren Anfang nehmen: in den Kommunen und in den Ortsvereinen der Parteien.

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