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Gerade in Großstädten ist Einsamkeit ein Problem.

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Wenn allein sein zur Last wird: Was hilft gegen die Einsamkeit ?

Soziale Kontakte auf Rezept, Besuch vom Postmann oder eine Hotline einfach zum Reden: Weil sich immer mehr Menschen isoliert fühlen, sind neue Lösungen gefragt.

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Sie fährt gerade mit der Linie U7, als die Berliner Studentin Linh im Frühjahr ein Plakat entdeckt: Der Verein „Freunde alter Menschen“ sucht per Anzeige Freiwillige, die für einsame alte Menschen eine Besuchspatenschaft übernehmen wollen. Linh ist sofort interessiert. Vor drei Jahren ist ihre Großmutter gestorben, bei der sie aufgewachsen ist. „Ich war immer schon ein Omakind. Nach ihrem Tod fehlte mir dieser Part“, erzählt die 26-Jährige.

Linh beschließt, sich zu engagieren, und meldet sich als Freiwillige für eine Besuchspatenschaft. Und so sitzt sie einige Zeit später auf dem Sofa von Helga, einer über 80-jährigen Rentnerin, die weder Mann noch Kinder hat und, weil sie etwas schlecht zu Fuß ist, selten das Haus verlässt. Bei Kaffee und Kuchen lernen die beiden sich kennen. „Es herrschte direkt eine angenehme Stimmung“, sagt Linh.

Angebote für einsame Menschen haben in den letzten Jahren einen deutlichen Zulauf erlebt. Das ist kein Zufall: Wie die Bundesregierung nach einer Anfrage der FDP in diesem Jahr bekannt gab, ist bei den 45- bis 84-Jährigen die Quote derer, die sich einsam fühlen, deutlich angestiegen. Im Jahr 2017 fühlten sich 9,2 Prozent der Menschen dieser Altersgruppe einsam. Bei Jugendlichen zeigten sich ebenfalls Probleme. Und auch wenn es manchen gerade jetzt zu Weihnachten bewusst wird, macht vielen die Einsamkeit gerade im Alltag zu schaffen.

„Können Sie mir sagen, warum ich noch leben soll?“

Zunächst die Fakten: Einsamkeit ist nicht gleich allein sein. Einsamkeit kann man auch empfinden, obwohl man von anderen umgeben ist. Maike Luhmann, eine der profiliertesten Forscherinnen auf dem Gebiet, beschreibt Einsamkeit in einer Veröffentlichung als „empfundene soziale Isolation“. Diese betreffe alle Altersgruppen, sei aber am höchsten bei jungen Menschen unter 30 und alten Menschen über 85. Bei den Alten liegen die Gründe klar auf der Hand: So sind Menschen im hohen Alter häufiger single – oft durch den Verlust des Partners. Sie haben ein geringeres Einkommen und sind häufig nur eingeschränkt mobil.

Elke Schilling kann das bestätigen. Sie betreibt in Berlin das „Silbertelefon“ – eine Nummer, die Menschen wählen können, die einfach nur reden wollen. Das Thema Einsamkeit von älteren Menschen treibt sie bereits seit rund fünfzehn Jahren um, erzählt Schilling.

Vor der Gründung des „Silbertelefons“ habe sie bei einem Krisentelefon gearbeitet, da rief nachts um 3 Uhr ein Herr an und sagte: „Junge Frau, ich bin 85, die Reihen um mich herum sind leer. Können Sie mir sagen, warum ich noch leben soll?“ Das sei der erste Schritt, der zweite sei ihr Nachbar gewesen, in Berlin. Er half sogar beim Einzug, dann verschwand er und war nicht mehr sichtbar. Schilling klingelte, bot Hilfe an. Er sagte, die brauche er nicht. „Vier Monate später wurde er aus der Wohnung getragen.“

Doch was hilft gegen die Einsamkeit? Initiativen wie „Silbernetz“ oder „Freunde alter Menschen“ können das Problem lindern, doch viele glauben, dass auch die Politik aktiv werden muss, um die Ursachen anzugehen. „In einer unübersichtlichen, fragmentierten Welt braucht es Rahmenbedingungen, damit sich Fürsorge, Verbindungen und Verbindlichkeit lohnen“, sagt Diana Kinnert. Die 28-jährige CDU-Politikerin und Unternehmerin hat unter anderem für das weltweit erste Einsamkeitsministerium in Großbritannien gearbeitet und will das Thema in ihrer Partei weit oben auf die Agenda bringen. Sie sagt: „Wir brauchen Strukturen dafür, dass wir insgesamt alle mehr miteinander zu tun haben.“

Einsamkeit ist schlecht für die Gesundheit

Ein gutes Argument für die Politik, sich stärker mit dem Thema Einsamkeit auseinanderzusetzen, sind nach Meinung von Kinnert die horrenden Gesundheitskosten. Dass Einsamkeit nämlich ganz konkrete gesundheitliche Folgen hat, gilt als belegt. So werden chronisch einsame Menschen eher depressiv, entwickeln eher Erkrankungen wie Bluthochdruck und sterben sogar früher im Vergleich zu nichteinsamen Menschen. Ein Faktor dabei: Wer einsam ist, führt nachweislich einen ungesünderen Lebensstil. So neigen einsame Menschen zu mehr Alkoholkonsum, mehr Tabakkonsum und treiben weniger Sport.

Gleichzeitig ist belegt, dass soziale Kontakte sich positiv auf den Verlauf bestimmter Krankheiten auswirken. „Wenn krebskranke Menschen in Beziehungen leben, leben sie länger. Unabhängig von der jeweiligen Krebstherapie. Das ist eine Ressource, die wir gar nicht nutzen“, sagte Jalid Sehouli, der Direktor der „Klinik für Gynäkologie mit dem Zentrum für onkologische Chirurgie“ an der Charité.

Er sprach auf einem „Einsamkeitsgipfel“ der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Anfang der Woche. Sehouli kritisierte das bestehende Gesundheitssystem. Schon in Studium und Ausbildung spiele die Vorsorge in der Medizin kaum eine Rolle. Bekämpfung von Einsamkeit sei aber genau das: medizinische Vorsorge.

In Großbritannien ist man da schon etwas weiter. Dort setzt die Politik jetzt auf das „soziale Verschreiben“. Bis 2023 soll das Programm ausgerollt sein: Hausärzte verordnen dann nicht mehr nur Medikamente, sondern auch soziale Teilhabe. Sie können ihr Patienten auf lokale Angebote aufmerksam machen – seien es Sportvereine, Kunstkurse oder Seniorentreffs. Damit soll auch einem Trend entgegengewirkt werden: Britische Ärzte beobachteten nämlich, dass einige einsame Menschen nur deshalb in die Praxis kamen oder anriefen, weil sie plaudern wollten – was zu längeren Wartezeiten für andere Patienten führte. Ähnliches berichten auch Ärzte in Berlin.

Die richtige Stadtplanung kann helfen

Vorsorgen gegen Einsamkeit kann man laut Michael Krenz schon im Kindesalter. Der Kinder- und Jugendpsychotherapeut ist Präsident der Berliner Psychotherapeutenkammer und arbeitete lange als Schulpsychologe. „Einsamkeit kann Erscheinungsformen haben, die man gar nicht vermutet“, sagt Krenz. Etwa das Kind, das in der Kita die Mutter nicht loslassen kann. Manche Kinder hätten nicht gelernt, mit sich allein zu sein oder mit anderen Kontakte zu knüpfen. „Der entscheidende Punkt in der Bewältigung der Einsamkeit liegt in der Fähigkeit, allein sein zu können, ohne sich einsam zu fühlen“, sagt Krenz. Kinder lernten aber nur dann, sich mit sich selbst zu beschäftigen, wenn die wichtigen Beziehungen sicher seien – sonst fühlten sich Kinder vom Alleinsein bedroht, sobald die Mutter oder der Vater den Raum verlässt. Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen sei eine Vorsorge gegen Einsamkeit.

Der Unternehmerin und CDU-Politikerin Kinnert schweben aber noch ganz andere Ansätze vor, um Einsamkeit zu bekämpfen. So könne man etwa bei der Stadtplanung ansetzen. Wichtig sei , dass es Plätze gebe, an denen Menschen verweilen und einander wirklich begegnen könnten. „Es kommt auch auf Rekommunalisierung an, auf das Subsidiaritätsprinzip“, sagt Kinnert. Was das heißt? „Ich denke an Nachbarschaftsgenossenschaften. An die Bewohner einer Straße, die sich gemeinsam fünf Autos teilen und das zusammen organisieren. Die sich aber auch gemeinsam darum kümmern, dass ihre Alten nicht einsam sind. Neue Einheiten abseits von Ehe und Zweikindfamilie.“ Ein anderes Beispiel sind Mehrgenerationenhäuser.

Kinnert hält es für enorm wichtig, dass ältere Menschen weiter aktiv an der Gesellschaft teilhaben können. „Es ist verschwendetes wirtschaftliches Potenzial, wenn ältere Menschen, die noch Energie hätten, von 40 Stunden auf der Woche auf null runtergehen“, sagt sie. Es lohne sich, etwa über Weiterbildungen im Alter nachzudenken.

Eine Plauderkasse im Supermarkt

Wenn es darum geht, wie sich Einsamkeit bekämpfen lässt, ist der Blick in andere Länder lehrreich. So hat die „Royal Mail“, die Post in Großbritannien, zunächst testweise ein Programm gestartet, bei dem Postboten auf ihrer Runde regelmäßig bei älteren Menschen klingeln, die allein leben und sich für das Programm gemeldet haben. Dabei sollen die Postangestellten auch herausfinden, ob den älteren Menschen etwas fehlt.

Kinnert berichtet von einem Besuch in Japan. Dort gebe es mehrere Kommunen, wo 60- bis 80-Jährige für 80- bis 100-Jährige einkaufen gingen. „Sie sammeln dadurch Punkte, damit später auch jemand für sie einkauft. Und in dem Moment, in dem die Einkäufe übergeben werden, findet ein sozialer Kontakt statt“, sagt Kinnert. In Japan sei außerdem die Morgengymnastik Volkssport – in Betrieben, auf öffentlichen Plätzen und in Einkaufszentrum wird gemeinsam geturnt. „Auch hier begegnen sich Menschen.“

In den Niederlanden hat mittlerweile eine Supermarktkette den Bedarf für soziale Interaktion erkannt. In der Stadt Vlijmen wurde in einer Filiale die erste „Plauderkasse“ – „Kletskassa“ – für einsame Menschen eingerichtet. Dort kann man sich beim Bezahlen Zeit lassen und mit der Kassiererin ins Gespräch kommen. Weil das Angebot gut ankommt, soll es auf weitere Filialen ausgeweitet werden.

Elke Schilling von der „Silbernetz“-Hotline kämpft seit Längerem dafür, die deutsche Politik und Wissenschaft für das Thema Einsamkeit zu sensibilisieren. Das sei zunächst schwierig gewesen. Die Einrichtung des britischen Einsamkeitsministeriums habe dem Thema aber eine Menge Aufmerksamkeit gebracht.

Schilling sagt dennoch: „Das, was wir leisten müssten, ist nicht, was wir leisten können. Auf jeden Anruf, den wir entgegennehmen, kommt mindestens einer, der uns durch die Lappen geht.“ Das sei so, weil sie bei „Silbernetz“ keine Kapazitäten dafür haben, so einzusteigen wie die Briten, die ein soziales Callcenter einrichteten, das schon nach eineinhalb Jahren über eine Million Anrufe hatte.

Im Treppenhaus ein bisschen kommunikativer sein

Vergebens ist die Arbeit der vielen Ehrenamtler aber keineswegs. Die 26-jährige Studentin Linh etwa hat sich nach ihrem ersten Besuch bei Helga mit der Rentnerin angefreundet. Sie sieht sie nun regelmäßig, schreibt ihr Postkarten aus dem Urlaub und telefoniert mit ihr. Diese Woche hat Linh gleich mehrfach bei Helga angerufen, weil sie bei der Jobsuche einen Rat brauchte.

Die Studentin glaubt, dass es auch nicht unbedingt ein Ehrenamt braucht, um einsamen Menschen eine Freude zu machen. „Man kann auch einfach mal überlegen: Wen kenne ich denn, der vielleicht ein wenig einsam ist? Sollte ich mich vielleicht mal wieder bei meinen eigenen Großeltern melden?“ Sie selbst plaudere häufiger mit einer älteren Nachbarin. „Manchmal reicht es schon, im Treppenhaus ein bisschen kommunikativer zu sein.“

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