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Was vom Kanzlerbesuch in Israel bleibt : Ein wenig Klartext unter Freunden – auch ohne Staatsräson
Friedrich Merz hat sich öffentlich mit Israels Premier Benjamin Netanjahu versöhnt. Über einen schwierigen Balanceakt in Jerusalem.
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Eine solche Autokolonne auf dem Weg vom Flughafen in Tel Aviv in die Berge von Jerusalem hat es seit dem Besuch von US-Präsident Donald Trump nicht mehr gegeben. Israels Regierung ist gerade nicht so erpicht darauf, hat mehrere Anfragen aus Europa abgelehnt. Bundeskanzler Friedrich Merz ist der erste Staatsgast, der seit der noch sehr wackeligen Waffenruhe im Gazastreifen empfangen wird.
Es ist kein Zufall, dass es mit der Visite erst einige Wochen nach Aufhebung des Rüstungsexportstopps klappte. Nach dem ursprünglichen Beschluss Anfang August, der Israel alle Waffen verweigerte, die in Gaza zum Einsatz kommen könnten, hatten Merz und Israels Premier Benjamin Netanjahu erst ein sehr lautes Telefonat und dann länger gar keines mehr.
Der Kanzler ist überzeugt, damals richtig entschieden zu haben – auch weil sich die innenpolitische wie auch europäische Nahostdebatte etwas beruhigt hat. Das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen hätte ihn als „langjährigen Freund Israels“ vor mehrere „Dilemmata“ gestellt, sagt Merz, als er zum Auftakt seines Besuches am Samstagabend von Präsident Jitzchak Herzog empfangen wurde. Der bescheinigt ihm trotzdem, „ein großartiger Freund Israels“ zu sein.
Deutschland hat jetzt einen „unveränderlichen Wesenskern“
Er sagt es, obwohl dieser Kanzler, anders als seine Vorgänger, nicht mehr das Wort von der deutschen „Staatsräson“ im Munde führt. Merz hält es für unpassend, weil seine Implikationen „nie vollständig ausbuchstabiert“ worden seien, wie er einmal dazu sagte.
In Jerusalem führt Merz einen neuen Begriff ein, als er nach einer bewegenden Führung durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am Sonntagvormittag die historische Verantwortung daraus betont: „Deutschland muss für die Existenz und die Sicherheit Israels einstehen. Das gehört zum unveränderlichen Wesenskern unserer Beziehungen, und zwar für immer.“ Auch der Premier wird später vom „unveränderlichen Wesenskern“ hören.
Vergessen ist die Sanktionierung nicht. Ein israelischer Journalist fragt den Kanzler auch direkt nach einer Garantie, dass es nie wieder ein Embargo geben wird. Die liefert Merz nicht, dafür gibt es eine Reihe anderer Zusicherungen. Zum Beispiel, dass man nicht das EU-Assoziierungsabkommen kündigen, sondern stattdessen die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bande noch enger knüpfen will.
Der Gastgeber redet auch lieber über den wundersamen Wandel der Geschichte, dass nun, 80 Jahre nach dem Holocaust, Israel mit Arrow-Raketenabwehrtechnologie Deutschland schützen hilft. Netanjahu erwähnt das teilweise Embargo gar nicht. Auch er hat ein Interesse daran, dass jemand wie Merz widerspricht, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan neben ihm über Israel herzieht.
Positiv erwähnt Netanjahu auch, dass Merz nach dessen Iran-Angriffen von „Drecksarbeit“ gesprochen hatte, die Israel für andere erledige.
Dir, lieber Bibi, danke ich für das gute Gespräch, das wir miteinander hatten.
Bundeskanzler Friedrich Merz zu Israels Premier Benjamin „Bibi“ Netanjahu
Demonstrativ fällt das gegenseitige Lob aus, das der Welt zeigen soll, dass die schwierigsten Beziehungstage hinter ihnen liegen. „Dir, lieber Bibi, danke ich für das gute Gespräch, das wir miteinander hatten“, flötet Merz. Der Mann mit diesem Spitznamen preist das „offene und ehrliche Gespräch unter Freunden“.
Ein Heiliger ist Netanjahu für Merz freilich auch nicht geworden. Der Kanzler versucht sich an einer guten Balance – Israels Deutschland-Botschafter Ron Prosor spricht am Rande nur halb im Scherz von „vernünftiger Disharmonie“ unter Freunden. Die öffentlich vorsichtig und hinter verschlossener Tür energischer vorgetragenen Forderungen des Kanzlers betreffen hauptsächlich die Lage im Nahost-Friedensprozess. Die zentrale Frage ist, wie man von der ersten Stufe des amerikanischen Friedensplans zur zweiten kommt.
Erst am Vorabend ist wieder Bewegung in den Prozess gekommen. Die Hamas hat sich unter Bedingungen bereit erklärt, sich entwaffnen zu lassen. Aber kann es dafür überhaupt Konditionen geben? Und wer soll der palästinensischen Terrormiliz eigentlich die Waffen abnehmen?
Die US-Regierung hat sich dazu noch nicht geäußert, der Kanzler ist zu sehr viel Unterstützung unterhalb der Ebene eines Bundeswehr-Einsatzes bereit. Deutsche Soldaten sollen gerade hier nicht Gefahr laufen, zwischen die Fronten zu geraten.
Die Zweistaatenlösung ist der mit Abstand größte Dissens
Damit der nächste Schritt auf dem Weg zu einer verhandelten Zweistaatenlösung überhaupt gegangen werden kann, drängt Merz Netanjahu dazu, das Zutrauen der Palästinenser in den Prozess nicht sofort wieder zu untergraben. Dafür müssten vor dem Winter noch mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen. Israel müsse sich am Völkerrecht messen lassen.
Vor allem darf Israel aus Sicht des Gastes nicht mit einer aggressiven Siedlungspolitik im Westjordanland einem künftigen Palästinenserstaat schon jetzt das Fundament entziehen.
Die Sorge hat Merz gegenüber auch Mahmud Abbas, dem Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, in einem Telefonat unmittelbar vor seiner Reise geäußert. Ihn wiederum forderte der Kanzler auf, durch Reformen seiner Behörde, die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Die Furcht, dass weitere Palästinenser aus der Westbank und aus Gaza vertrieben werden könnten, treibt auch den jordanischen König Abdallah um, den Merz zum Auftakt seiner Nahost-Reise am Samstagnachmittag getroffen hat.

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Es ist der absehbar größte Dissens mit Netanjahu. Für Merz bietet eine Zweistaatenlösung „vermutlich die beste Aussicht“ auf einen neuen friedvollen Nahen Osten. Die Chance sieht auch der Premier, wie er sagt, er hat nur völlig andere Vorstellungen davon.
Aus einer Aussöhnung mit den arabischen Nachbarn soll eine mit den Palästinensern im eigenen Land erwachsen: „Aber wir werden keinen Staat vor unserer Haustür schaffen, der sich unserer Zerstörung verschrieben hat.“ Den gab es Netanjahus Ansicht nach bereits – in Gaza. Auf Netanjahus harte Linie angesprochen, kann Merz nur entgegnen, das Ergebnis des Prozesses sei offen.
Ganz unterschiedliche Töne schlagen die beiden Regierungschefs auch an, als es um die heikle Frage eines möglichen Gegenbesuchs von Netanjahu in Deutschland geht. Noch vor seinem Regierungsantritt hat Merz immer wieder betont, dass der Empfang eines israelischen Premiers möglich sein müsse – trotz des vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgestellten Haftbefehls.
Die beiden hätten das Thema gar nicht erörtert, sagt Merz: „Dafür gibt es im Augenblick auch keine Veranlassung, darüber zu sprechen. Wenn es die Zeit erlaubt, dann würde ich gegebenenfalls eine solche Einladung aussprechen, aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt für uns beide kein Thema.“
Netanjahu dagegen sagt, dass er „hocherfreut wäre, wieder nach Deutschland zu kommen“, am besten im Rahmen deutsch-israelischer Regierungskonsultationen beider Kabinette. Aber das gehe wegen des „absurden“ und „verrückten“ Haftbefehls derzeit nicht. So weit geht die neue alte Freundschaft dann noch nicht, dass Merz als Kanzler einfach darüber hinwegsehen würde.
Vielleicht bekommt es Merz ja nach den nächsten Wahlen in Israel mit jemand ganz Anderem zu tun. Zum Abschluss seines Besuchs trifft Merz deshalb neben dem früheren Verteidigungsminister Benny Gantz auch Oppositionsführer Jair Lapid.
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