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im November 2023 unterhalten sich Dietmar Bartsch (l.), Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, und Gregor Gysi (Linke) während einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag.

© dpa/Kilian Genius

Update

„Weiter so wäre eine Katastrophe“: Gysi und Bartsch fordern neue Linken-Spitze

Ihre Partei steckt in einer existenziellen Krise, nun rechnen die Altmeister ab. Nach einem denkwürdigen Abend mit Dietmar Bartsch und Gregor Gysi hat die Parteispitze am Mittwoch reagiert.

Stand:

Sie sind noch da, und zwar unüberhörbar: Gemeinsam melden sich zwei lang gediente Vorkämpfer der Linkspartei, Dietmar Bartsch und Gregor Gysi, zur existenziellen Krise ihrer Partei zu Wort.

„Ich sage das hier ganz offen: Wir brauchen eine strukturelle, politische und personelle Erneuerung“, so formuliert es Gysi. „Wenn die nicht zustande kommt, sondern wir denken, wir machen weiter so, wir bleiben bei 2,7 Prozent – das wäre natürlich eine Katastrophe.“ Nicht mehr er oder Gysi seien gefragt, sondern eine andere Generation müsse ran, sagt Bartsch. „Die möglichst manche Konflikte noch nicht mitgemacht haben.“

Dietmar Bartsch, langjähriger Fraktionsvorsitzender der Linkspartei.

© dpa/Serhat Kocak

Am Dienstagabend haben Gysi und Bartsch die Hauptstadtpresse in den Bundestag geladen. „Die Niere“, ein Besprechungsraum in prominenter Position im Jakob-Kaiser-Haus, Glasfronten ringsherum. Häppchen, Wein, Ideen für morgen und dazu Geschichten aus besseren Tagen.

Gregor Gysi im Plenum des Deutschen Bundestags.

© dpa/Serhat Kocak

Formal geht es um Außenpolitik. Bartsch, langjähriger Fraktionschef, ist mittlerweile verteidigungspolitischer Sprecher der verbliebenen Linken-Gruppe im Bundestag. Gysi, ebenfalls einst Fraktionschef, ist heute außenpolitischer Sprecher. Die beiden haben Botschaften mitgebracht zur Ukraine, zu Israel und Palästina, zu China.

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Gysi skizziert einen Friedensplan für Nahost, in dem eine Mauer durch Jerusalem als eine von drei Optionen vorkommt. Die Themenmischung ist bunt. Bartsch und Gysi aber machen von Anfang an klar, dass es ihnen bei diesem gemeinsamen Auftritt im Kern um etwas anderes geht: Was soll nur werden aus ihrer Partei?

Ihre Formulierung von der notwendigen „personellen Erneuerung“ legt einen Gedanken nahe: dass Gysi und Bartsch die derzeitigen Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler nicht mehr für die Richtigen in ihren Ämtern halten. Im Oktober wird die Parteiführung turnusgemäß auf einem Bundesparteitag neu gewählt. Schirdewan hat vor Kurzem im Interview mit dem Tagesspiegel angedeutet, dass er sich womöglich von der Parteispitze zurückziehen könnte.

Erfahrene Strategen sind Gysi und Bartsch ohnehin, mittlerweile aber auch so etwas wie eine verkörperte Erinnerung daran, was die Linkspartei einst war: eine mindestens regional erfolgreiche, bundesweit ernst zu nehmende Partei.

Gysi wünscht sich fünf Schwerpunkte

Wird sie daran noch einmal anknüpfen können? Diese Frage wird das Wahlvolk womöglich am Abend der nächsten Bundestagswahl ein für alle Mal verneinen. Aber nicht, wenn Bartsch und Gysi das verhindern können.

Fünf Schwerpunkte wünscht sich Gysi für die Neuausrichtung: reale Friedenspolitik, deutlich mehr soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, dazu Gleichstellung von Frau und Mann sowie von Ost und West. Das Thema Frieden müsse viel stärker nach vorn gestellt werden, befindet Bartsch.

Die beiden knüpfen an am ewigen Streit der Linkspartei: Soll sie versuchen, mit progressiven Themen zu punkten, wie es die sogenannten Bewegungslinken gern hätten? Oder verschreckt zu viel Wokeness das Stammpublikum, vor allem im Osten?

Letzteres ist die Sicht von Gysi und Bartsch, und sie können sich durch die jüngsten Wahlergebnisse bestätigt fühlen. 2,7 Prozent bei der Europawahl, da ist nicht mehr viel Luft nach unten.

Das Lager um Gysi und Bartsch will die Partei mit traditioneller Sozialpolitik, einem Fokus auf den Osten und dazu dem Thema Frieden retten. Schritt eins ist aus ihrer Sicht schon geglückt. Im Februar wurde die Spitze der Bundestagsgruppe neu besetzt, mit knapper Mehrheit gelang der Durchmarsch, die Bewegungslinken gingen leer aus. Heidi Reichinnek und Sören Pellmann sind das neue Führungsduo.

Doch wie die Mehrheitsverhältnisse auf dem Parteitag sein werden, ist schwierig vorherzusagen. Die „strukturelle, politische und personelle Erneuerung“, von der Gysi spricht: Vorerst ist sie nur ein Wunsch.

Und was ist mit Bartsch und Gysi selbst, werden sie noch einmal für den Bundestag kandidieren? Entschieden sei nichts, sagen beide.

Am Mittwoch folgte erst einmal eine Reaktion der Parteispitze. Es ist der Versuch, die Debatte einzufangen, bevor sie Fahrt aufnimmt: „Wir stehen kurz vor drei ostdeutschen Landtagswahlen. Darauf sollten wir gemeinsam alle Kraft verwenden. Eine Personaldebatte vor den Wahlen ist für die Unterstützung kontraproduktiv“, ließ Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert mitteilen.

Es klingt durch, dass auch die Vorsitzenden Wissler und Schirdewan die Zeichen der Zeit erkannt haben. Die Parteivorsitzenden hätten mit den Landesvorsitzenden einen Prozess verabredet, um auf dem Bundesparteitag „zu einer inhaltlichen, strategischen und personellen Aufstellung mit Blick auf die Bundestagswahl“ zu kommen. Im Übrigen seien die Probleme der Partei nicht allein auf die letzte Zeit zurückzuführen. „Bereits seit vielen Jahren gehen die Wahlergebnisse zurück.“

Und dann geht der Konter in Richtung Gysi und Bartsch: „Alle, die in den letzten Jahren Verantwortung in Partei und Bundestagsfraktion tragen oder bis vor Kurzem getragen haben, sollten sich selbstkritisch hinterfragen, statt öffentlich gegen andere auszuteilen.“

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