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Unterstützung für den Coup. Männer in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, feiern Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba.

© REUTERS/Anne Mimault

Die Pandemie als Brandbeschleuniger: Wer stoppt das Militär?

Myanmar, Mali, Burkina Faso: Die Serie von Staatsstreichen wird auch durch allzu zahme Reaktionen der Weltöffentlichkeit befördert. Ein Gastbeitrag.

Michael Bröning ist Politikwissenschaftler und leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung bei den Vereinten Nationen in New York. Er ist Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

Im Brettspielklassiker Junta konkurriert die Runde der Mitspieler darum, den westlich finanzierten Staathaushalt der fiktiven „Republica de las Bananas“ möglichst umfänglich auf private Konten in der Schweiz zu transferieren. Der gewählte Staatpräsident des Landes wird dabei regelmäßig aus dem Amt gejagt – feierliche Beschießung des Regierungspalastes inklusive.

Es ist so bezeichnend wie dramatisch, dass diese spielerische Satire immer häufiger von der Wirklichkeit eingeholt wird. Zuletzt putschte sich das Militär im westafrikanischen Burkina Faso an die Macht. Offiziere in Tarnanzügen verhafteten die Regierung, lösten das Parlament auf und verhängten eine Ausgangssperre. Bilder von Checkpoints, schwer bewaffneten Soldaten und von der kugeldurchlöcherten Wagenkolonne des geschassten Präsidenten machten die Runde.

Eine solche fast schon schulbuchmäßige Beseitigung einer gewählten Regierung aber ist längst kein Einzelfall mehr. Bereits im vergangenen Jahr war es in Guinea, dem Tschad, in Mali und im Sudan zu gewaltsamen Machtübernahmen gekommen – auch in Myanmar putschte das Militär. Laut Statistik muss man bis ins Jahr 1980 zurückgehen, um auf eine vergleichbare Häufung der Gewalt zu treffen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte deshalb schon im Oktober vor einer „Epidemie der Coups“. Doch der Trend scheint sich im neuen Jahr ungebrochen fortzusetzen.

Fragile Demokratien

Die Gründe dürften mit der Schwäche der Demokratie in fragilen Staaten wie mit einer Krise des Multilateralismus zu tun haben. „Wir befinden uns in einem perfekten Sturm“, warnt Clayton L. Thyne, der an der Universität Kentucky zu Putschversuchen forscht. „Die Ursachen liegen sowohl in der Innenpolitik als auch auf internationaler Ebene und sind insbesondere mit der Pandemie verknüpft.“

Wirtschaftskrisen und Rezessionen befeuern die Unzufriedenheit von innen, geopolitische Spannungen und der allgegenwärtige Fokus auf die Pandemie verhindern eine angemessene internationale Reaktion. „Weder Einzelstaaten noch internationale Organisationen haben derzeit die Energie oder die Ressourcen, sich eingehender mit Problemen in anderen Staaten zu befassen“, beobachtet Thyne.

Auch Richard Gowan, Leiter der International Crisis Group in New York, betrachtet die Serie von Machtübernahmen mit Sorge. „Wir erleben einen bemerkenswerten Rückfall in frühere Zeiten“, analysiert Gowan und beklagt insbesondere den häufig nur formelhaften Widerspruch internationaler Akteure.

„Militärische Führer können derzeit recht optimistisch sein, dass sie zumindest im UN-Sicherheitsrat kaum auf Widerstand stoßen“, meint Gowan. Und tatsächlich: Im vergangenen Jahr gingen dort die offiziellen Reaktionen auf die Coups in Myanmar, Mali und im Sudan monatelang nicht über handzahme Pressemitteilungen hinaus. Zwar haben regionale Organisationen wie die Afrikanische Union oder die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS auf die jüngste Gewalt reagiert, doch die abschreckende Wirkung scheint überschaubar zu bleiben.

Geopolitische Spannungen unterlaufen dabei auch vor Ort eindeutige Signale der Weltgemeinschaft. Während etwa westliche Regierungen mit Bestürzung auf die Gewalt in Myanmar reagierten, schickte Moskau im März den stellvertretenden russischen Verteidigungsminister als Zuschauer zu einer Militärparade der Putschisten.

Geopolitisches Preisschild

Die unterschwellige Botschaft lautete: Wenn der Westen sich abwendet, stehen andere bereit. In Mali sind nach jüngsten Berichten des US-Militärs Hunderte russische Söldner im Einsatz, um die entstehende Lücke im Falle eines Abzugs westlicher Militärs zu füllen. Und auch die chinesische Regierung ist dafür bekannt, durch Gewalt an die Macht gekommene Regierungen ohne großes Federlesen zu unterstützen. Diese Realität aber schwächt nicht nur westliche Sanktionen, sondern versieht diese auch mit einem geopolitischen Preisschild.

Besonders brisant ist dabei, dass der Anti-Putsch-Konsens nicht nur von außen unterlaufen wird. Auch der interne Widerstand scheint zu schwinden. „Insbesondere im Sahel stecken zivile Regierungen derzeit in einer Legitimationskrise“, analysiert etwa Jonathan Powell, der an University of Central Florida zu zivil-militärischen Beziehungen forscht.

Potenzielle Putschisten seien sich mittlerweile vielerorts darüber im Klaren, dass sie über umfangreichen öffentlichen Rückhalt verfügen. Mancherorts sitzt die Enttäuschung so tief, dass sich Teile der Bevölkerung offen auf die Seite der Putschisten stellen.

In Mali etwa genießt die von den Putschisten etablierte „Übergangsregierung“ bislang deutliche öffentliche Unterstützung. Und aktuelle Protestaufrufe der Machthaber gegen die Sanktionen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft blieben nicht ohne Rückhall. Klar ist auch: Wirtschaftliche Bedrängnisse in Zeiten der Pandemie fördern die Instabilität weiter. In Zeiten der ökonomischen Stagnation gebiert die wirtschaftliche die politische Krise.

Wachsende Instablität

Doch die Politikwissenschaft zeigt auch: Eine Historie der Gewalt fördert die Unsicherheit langfristig und begünstigt einen wahren Kreislauf von Coups. „Der unmittelbare Auslöser eines Putsches hängt stets vom Kontext ab“, fasst Joseph Wright von der Universität Pennsylvania den Kenntnisstand zusammen. „Doch die aktuelle Coup-Welle läuft nicht nur in Staaten, die relativ arm sind, sondern auch in Staaten in denen Putsche in der Vergangenheit erfolgreich waren.“

Coups führen deshalb weder kurzfristig noch auf lange Sicht zu Stabilität, sondern lediglich zu noch mehr Unsicherheit. Und auch wenn Putschisten häufig demokratische Aspirationen beschwören, zeigen zurückliegende Machtübernahmen, dass der Traum vom „demokratischen“ Putsch meist in einem autoritären Alptraum endet.

So belegt eine Auswertung von über einhundert Coups auf dem afrikanischen Kontinent, dass gerade einmal 5 Prozent einen Weg in Richtung Demokratie nach sich zogen. „Coups führen die Armee ins Herz der Macht, brechen das Gesetz und unterminieren die verfassungsmäßige Ordnung. Und sie führen meist nicht zu einer stabilen Demokratie, sondern nur zu weiteren Coups“, resümiert Nic Cheeseman von der Universität Birmingham.

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Dabei entfaltet sich die fatale Wirkung der Gewalt auch jenseits der jeweiligen Landesgrenzen. „Sind Militärcoups ansteckend?“, fragt eine aktuelle Analyse der „Washington Post“ und kommt zu dem Schluss, dass es nicht taktische Erfahrungen seien, die Putschisten voneinander übernehmen, sondern die Gewissheit, dass die internationale Gemeinschaft auf ihre Übergriffe kaum mit wirklicher Schärfe reagieren wird.

Deshalb bleiben demokratische Staaten aufgefordert, Position zu beziehen. Mit Sanktionen, aber auch mit der Erforschung der tieferen Ursachen. Denn, daran erinnert Jonathan Powell: „Der beste Weg, das Blatt gegen Staatsstreiche zu wenden, besteht darin, die Bedingungen zu beenden, die sie auslösen.“

Michael Bröning

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