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Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, erläuterte am Freitag seinen Impf-Plan.

© dpa/Daniel Karmann

Update

Wer wird zuerst geimpft?: Hausärzte entsetzt über Spahns Impf-Pläne – „völlig unbegreiflich“

Deutschland beginnt kurz vor dem Jahreswechsel mit den Corona-Impfungen. Der Gesundheitsminister erläutert, wie das ablaufen soll. Und erntet Kritik.

Von Michael Schmidt

Rund zehn Monate nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa wollen Deutschland und die anderen Länder der Europäischen Union kurz vor dem Jahreswechsel mit den ersten Impfungen gegen das Virus beginnen.

Details dazu gab Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitagvormittag bekannt - und löste damit großen Unmut unter den Hausärzten aus.

Die Impfordnung regele unter anderem, wem wann das Angebot einer Impfung gemacht wird, erläuterte Spahn. "Wir können zu Beginn der Impfung nicht allen gleichzeitig dieses Angebot machen. weil es zu wenig Impfstoff gibt", sagte Spahn. Zunächst, "mit Stand heute, gehen wir von 11 bis 13 Millionen Impfdosen im ersten Quartal aus", sagte der Minister.

Deshalb müsse deren Einsatz priorisiert werden.

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Nach Spahns Plan sind die Menschen, die als erstes geimpft werden sollen, in drei Gruppen eingeordnet - damit weicht Spahn in Details von der Empfehlung ab, welche die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut vorgelegt hatte: Die Stiko hatte sechs Kategorien vorgeschlagen. "Durch die Einordnung in drei Gruppen ist eine gewisse Flexibilität vor Ort möglich", sagte Spahn. An der Reihenfolge, in der Bürger Impfungen erhalten können, habe sich jedoch nichts geändert, auch an der "Definition der Gruppen". "Das haben wir zu 99 Prozent übernommen".

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Angefangen werde bei jenen, für die der Impfschutz zusätzliche Gesundheit und Lebensjahre bringe. „Wir fangen jetzt mit den Über 80-Jährigen, den Höchstbetagten, den Pflegebedürftigen und denjenigen, die sie pflegen und betreuen, an.“ Alle anderen Bürger müsse er "weiter um Geduld bitten", sagte Spahn.

"Die Schwächsten zu schützen, ist das erste Ziel unserer Impfkampagne", sagt Spahn. Dies werde ein bis zwei Monate dauern. Erst dann könne man darüber nachdenken, Zug um Zug das Angebot zu verbreitern. „Das heißt für uns alle: Der Winter wird noch lang.“

Die drei Gruppen sehen so aus:

  • Zur ersten Kategorie von "höchster Priorität“ gehören auch medizinisches Personal auf Intensivstationen, in Notaufnahmen, im Rettungsdienst sowie Personal im ambulanten Pflegebereich.
  • Zur zweiten Kategorie zählen demnach Personen ab 70 Jahren, Demenzkranke, Menschen mit Trisomie 21 und Transplantationspatienten, zudem Bewohner von Obdachlosen- oder Asylbewerberunterkünften und enge Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen.
  • Die dritte Kategorie umfasst über 60-Jährige, chronisch Kranke, Personen „in besonders relevanter Position in staatlichen Einrichtungen“ sowie Erzieher, Lehrer und Mitarbeiter im Einzelhandel.

Massive Kritik der Hausärzte

An dieser Priorisierung entzündet sich teils massive Kritik. Schon im Vorfeld gab es Forderungen nach Berücksichtigung weiterer Bevölkerungsgruppen wie Lehrern, Polizisten und anderen. Nachdrücklich hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sich dafür ausgesprochen, auch die Praxisärzte frühzeitig zu impfen. „Sie behandeln nicht nur in großer Zahl Hochrisikopatienten, sie stehen auch bei der Versorgung von Corona-Infizierten in der ersten Reihe", sagte Reinhardt der "Rheinischen Post". Das sei für die Bewältigung der Pandemie riskant, „denn die Praxen bilden einen wichtigen Schutzwall für die ohnehin schon stark belasteten Kliniken.“ Spahn sagte dazu, "ich kann den Ärzten und Ärztinnen sagen, dass wir sie so schnell wie möglich impfen wollen". Aber zuallererst gehe es darum, diejenigen zu impfen, bei denen das Risiko besonders hoch sei - und die sich zum Teil nicht selbst schützen können. Das sei keine Frage von Wertschätzung, sondern es gehe um den Schutz der Schutzbedürftigsten.

Das nannte der Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, Berthold Dietsche, "völlig unbegreiflich". Er kritisierte am Freitag im Radioprogramm SWR Aktuell. Hausärzte hätten von früh bis spät Kontakt mit teils hochinfektiösen Erkrankten.

Den Umgang der Politik mit den Hausärzten nannte Dietsche skandalös: „Wir hatten im März keine Schutzausrüstung, keine vernünftigen Informationen und wurden ständig mit neuen Verordnungen konfrontiert.“ Es fehle ihm jedes Verständnis, dass Hausärzte nun bei der Impfung nicht höchste Priorität hätten. Viele Kollegen seien älter als 60 Jahre und zählten damit zur Risikogruppe.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte, Spahn müsse die pflegenden Angehörigen auf die gleiche Prioritätsstufe setzen wie den Pflegebedürftigen selbst, erklärte Vorstand Eugen Brysch am Freitag in Dortmund. „Damit werden die Pflegepersonen mit den Pflegeberufen gleichgesetzt. Das macht auch praktisch Sinn, denn in der Regel bringen die pflegenden Angehörigen die hochbetagten Menschen zu den Impfzentren.“

Ebenso müssten intensivbeatmete, schwerkranke Patienten, die zuhause versorgt werden, auf die Prioritätsstufe 1 gesetzt werden, forderte Brysch. „Es ist unverantwortlich, dass diese kleine, aber schwer belastete Gruppe erst im Sommer geimpft werden soll.“

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FDP-Generalsekretär Volker Wissing kritisiert die Bundesregierung dafür, dass die Impfstrategie per Verordnung und nicht durch ein im Bundestag beratenes Gesetz festgelegt wird. "Unsere Verfassung sagt, die wesentlichen Grundrechtsfragen muss das Parlament entscheiden. Für mich ist das eindeutig eine wesentliche Grundrechtsfrage", sagte Wissing am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin". Eine größere zeitliche Verzögerung des Impfbeginns hätte eine Bundestagsberatung nicht bedeutet, sagte Wissing.

Spahn betont: Lockdown ist das eine - es braucht weiter Vorsicht auch im Privaten

Spahn unterstrich noch einmal, dass neben allen öffentlichen Maßnahmen im Rahmen des Lockdowns, weiterhin auch im Privaten höchste Vorsicht geboten sei: Maske tragen, Abstand halten, Kontakte reduzieren. Die Zahlen entwickelten sich dramatisch, "wir müssen diese Dynamik brechen", sagte Spahn. Die Möglichkeit von Impfungen zeige: "Es gibt Hoffnung". Aber auch die Impfung, das machte der Gesundheitsminister deutlich, erspare den Bürgern nicht die Einhaltung der Hygieneregeln.

Der Plan für die nächsten Tage sieht so aus: Nach der erwarteten Zulassungsempfehlung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs durch die EMA am kommenden Montag (21. Dezember) will bis Mittwoch die EU-Kommission über die Zulassung entscheiden.

Danach müssen nach Spahns Angaben vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut noch die Impfchargen geprüft, freigegeben und schließlich ausgeliefert werden. Das erkläre auch die Zeit bis zum 27. Dezember, sagte der Minister.

Merkel ist „mächtig stolz“ auf Forscher

Die Bundesregierung sei „mächtig stolz“, dass es in Deutschland solche Forscher wie sie gebe, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einem Videogespräch mit den Gründern von Biontech, Ugur Sahin und Özlem Türeci. Sahin sagte: „Unsere Mitarbeiter werden über Weihnachten arbeiten, dass das wirklich möglich ist, dass in jedem Land der Impfstoff ankommt“. In Großbritannien und den USA wird damit bereits geimpft.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) warb erneut um Vertrauen in die Impfungen. An der Prüfung von Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs seien keine Abstriche gemacht worden, sagte sie in der Videokonferenz mit den Biontech-Gründern. Die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar drückte im Bundestag die Hoffnung aus, dass bis Februar 1,5 Million Menschen in Deutschland geimpft sein könnten.

Die Lage in den deutschen Kliniken bleibt derweil angespannt. Die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen stieg auf 4856 - 20 mehr als am Vortag, wie der Tagesreport der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) am Donnerstag zeigte. 57 Prozent von ihnen werden demnach invasiv beatmet. Anfang Dezember lag die Zahl der Covid-19-Fälle, die auf Intensivstationen behandelt wurden, noch bei unter 4000. (Tsp, mit Agenturen)

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