zum Hauptinhalt
Ein Muster von einem Stimmzettelumschlag für die Briefwahl bei der Bundestagswahl 2021 liegt auf einem Tisch in Hannover.

© dpa

Die Lüge vom großen Betrug: Wie AfD und Co. das Vertrauen in die Wahl untergraben

Rechte Akteure und Verschwörungsideologen versuchen mit Falschbehauptungen, Angst vor Wahlbetrug zu schüren. Besonders in ihrem Fokus: Die Briefwahl.

Björn Höcke will Misstrauen säen. Der Thüringer AfD-Chef steht auf dem Marktplatz in Meiningen, hinter ihm die Stadtkirche, neben ihm eine Deutschlandflagge. Er ruft seine Anhänger auf, nicht per Brief zu wählen und am Wahltag die Auszählung im Wahllokal zu beobachten. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA, wo es Wahlmanipulationen gegeben habe, „müssen wir auch in Deutschland davon ausgehen, dass das hier auch probiert wird“, behauptet er.

Auf dem Marktplatz in Meiningen zeigt sich, was Experten für Desinformation schon länger beobachten: Rechte Akteure und Verschwörungsideologen versuchen, Angst vor Wahlbetrug und Misstrauen gegen die Briefwahl zu schüren. Dabei nutzen sie auch die Lüge von der „gestohlenen Wahl“ – also die Falschbehauptung von Ex-US-Präsident Donald Trump, er sei durch massiven Wahlbetrug um den Sieg gebracht worden. Gerade jetzt vor der Bundestagswahl tauchten wieder gezielt gestreute Falschmeldungen auf.

Die AfD ist hier aktuell vorne mit dabei. Schon seit Jahren ruft sie ihre Wähler zur Wahlbeobachtung auf. Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt in diesem Frühjahr begann sie verstärkt, die Briefwahl in den Fokus zu nehmen. Die AfD behauptet, die Briefwahl sei leicht manipulierbar. Im Landtag von Sachsen-Anhalt verbreitete etwa der AfD-Abgeordnete Robert Farle seine Verschwörungserzählung: „Diese ganze Pandemie ist ein Schwindel“, sagte er. Über die Regelung zur Briefwahl solle der „größte Wahlbetrug dieses Landes“ durchgeführt werden.

Rekordanstieg der Briefwähler erwartet

Der Bundeswahlleiter betont, die Briefwahl sei genauso sicher wie die Urnenwahl. Nur in Einzelfällen sei „bei hinreichend krimineller Energie“ Missbrauch realisierbar. So war in Stendal in Sachsen-Anhalt ein CDU-Stadtrat zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er bei der Kommunalwahl 2014 Briefwahlvollmachten gefälscht hatte. Seit der Einführung der Briefwahl 1957 tauchten aber laut Bundeswahlleiter keine Unregelmäßigkeiten in einem Ausmaß auf, dass sie das Wahlergebnis hätten beeinflussen können.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Bei der Bundestagswahl wird auch wegen der Pandemie ein Rekordanstieg der Briefwähler erwartet. Jetzt wirbt die AfD beispielsweise in Brandenburg mit dem Slogan „Steck ihn selber rein“. Gemeint ist der Wahlzettel am Wahltag. Auf Facebook veröffentlichte die AfD Leipzig einen Post, in dem es heißt: „Erhebliche Fälle von Wahlbetrug sind so gut wie jedes Wahljahr traurige Wahrheit in dem angeblich besten Deutschland, das es je gab.“ Dazu veröffentlichte sie eine Grafik, die insinuierte, dass bei der Briefwahl Stimmen, die eigentlich an die AfD gehen sollen, den Grünen zugeschlagen werden. Für beides gibt es keinerlei Belege oder Hinweise.

Die AfD verweist gern darauf, dass sie unter Briefwählern regelmäßig schlechter abschneidet als unter den Urnenwählern. Sie sieht das als Hinweis auf Manipulation. Dabei lässt sich das leicht erklären: AfD-Wähler wählen lieber an der Urne, sie greifen deutlich seltener Briefwahl als etwa Anhänger der CDU. Entsprechend ist das Wahlergebnis der AfD unter Briefwählern schlechter. Wenn sich das Stimmverhalten von Urnen- und Briefwählern unterscheide, sei das „kein Hinweis auf eine Manipulation“, erklärt auch der Bundeswahlleiter.

Tweets unter falscher Flagge

Fabian Klinker ist wissenschaftlicher Referent für Social-Media-Analysen am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Er beobachtet in rechten Kreisen zudem den Einsatz sogenannter „False Flag“-Accounts als typisches Instrument, um Zweifel am korrekten Ablauf der Wahl zu schüren. „False Flag“-Accounts sind Nutzerkonten in den sozialen Medien, die eine falsche Identität oder Gruppenzugehörigkeit vortäuschen.

So verbreitete sich in rechten Kreisen rasant der Tweet eines vermeintlichen Antifa-Aktivisten, der schrieb: „Ich kenne viele Antifaschisten, die heute beim Auszählen helfen. Das wird der #noafd einen Schlag versetzen.“ Manipulation beim Auszählen von Stimmen zu ungunsten der AfD? Wenn man die anderen Tweets des vermeintlichen Antifa-Aktivisten auswertete, konnten laut Klinker kaum Zweifel daran bestehen, dass er in Wahrheit selbst aus der rechten Ecke kommt. Der Tweet diente also zur Desinformation.

Querdenker haben die Erzählung modifiziert

Doch nicht nur in rechten Kreisen, auch in der Szene der Coronaleugner, Querdenker und Verschwörungsideologen wird Propaganda gegen die Wahl verbreitet. „Querdenker haben die Wahlbetrugs-Erzählung modifiziert“, sagt Klinker. „Sie stellen die Bundesrepublik als Diktatur dar, sehen in der Pandemie ein Instrument zur Wahlmanipulation und verbreiten die Befürchtung, dass Ungeimpfte nicht wählen dürfen.“

Der Bundeswahlleiter hat eine Seite aufgesetzt, auf der die häufigsten Falschbehauptungen widerlegt werden. Die Ausübung des Wahlrechts sei für Ungeimpfte unter Beachtung der Hygienemaßnahmen möglich, heißt es da. „Bitte tragen Sie im Wahlgebäude eine medizinische Maske oder FFP2-Maske und halten zu anderen Personen einen Mindestabstand von 1,5 Meter ein.“

Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) beobachtet aktuelle Entwicklungen bei Rechtsextremismus, Verschwörungsideologie und Desinformation. Den Expert:innen ist aufgefallen, dass verstärkt auch Sprachnachrichten verbreitet werden, in denen von Wahlbetrug die Rede ist. So verschickte der Kanal „Diplomateninterviews“ eine zehnminütige Sprachnachricht an seine mehr als 30.000 Abonnenten, in denen der Sprecher vor dem „offensichtlichsten Wahlbetrug seit jeher“ warnt.

Experten warnen vor den Auswirkungen

Auch Vertreter der QAnon-Verschwörungsbewegung mischen hier mit. Die Bewegung stammt aus den USA, sie sieht Donald Trump als ihren Heilsbringer und verbreitete seine Erzählung von der „gestohlenen Wahl“. Bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 waren QAnon-Leute ganz vorne mit dabei. In Deutschland gibt es die größte nicht-englischsprachige Community. Auch sie warnt vor Wahlbetrug gewarnt und davor, dass nur Geimpfte, Getestete oder Genese zur Wahl dürfen. Zum Teil werden auch Falscherzählungen aus den USA einfach übernommen, wonach mit Wahlmaschinen der Firma „Dominion“ die Wahl manipuliert werden soll. Dabei gibt es in Deutschland gar keine Wahlmaschinen.

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Auch wenn all diese Erzählungen in der rechten und verschwörungsideologischen Szene bislang ein Nischendasein fristen, machen sich Experten Sorgen um die Auswirkungen. „Das Ziel ist die Delegitimierung demokratischer Prozesse. Es geht darum, das Vertrauen in das politische System zu untergraben“, sagt Klinker. Die Gefahr sei, dass das immer mehr in den „Mainstream-Diskurs“ einsickere und in der breiten Bevölkerung Misstrauen etwa gegen die Briefwahl schüre.

Eine Insa-Umfrage aus dem Sommer legt nahe, dass das womöglich schon teilweise gelungen ist. Demnach rechneten 18 Prozent der Befragten mit „weitreichenden Wahlfälschungen“ bei der Bundestagswahl. Unter AfD-Anhängern lag der Anteil sogar bei 67 Prozent.

Der Partei kann das nutzen. Klinker glaubt, dass die AfD mit der Erzählung von gefälschten Wahlen auch für ein eigenes schlechtes Abschneiden bei der Bundestagswahl vorbaut. „In Sachsen-Anhalt wurde der angebliche Wahlbetrug auch als Rechtfertigungsnarrativ für den Wahlmisserfolg der AfD benutzt“, sagt er. „Ich gehe davon aus, dass das nach der Bundestagswahl ähnlich laufen wird.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false